Leerstände sinnvoll nutzen!
Das Phänomen des Leerstands wirft Fragen auf: Warum gibt es ihn? Wer soll leerstehende Räume nutzen? Und welche widerstreitenden Interessen bestehen? Die Expert*innen und Besucher*innen der Veranstaltung „Kulturräume statt Wettbüros - Leerstände sinnvoll nutzen!“ beleuchteten das Spannungsfeld Leerstand und betonten den Handlungsbedarf der Stadt Wien. „Wir haben auf der einen Seite die Wirtschaft, die haben Räume, die werden nicht genutzt. Und es gibt andere, die diese Räume gerne nutzen würden, aber sie kommen nicht zu ihnen“, erläutert die Moderatorin und Grüne Aktivistin Tanja Grossauer-Ristl die zentrale Problemstellung des Abends. Die Frage sei also, warum trotz der Nachfrage Räume leer bleiben.
Fehlender Einsatz der Eigentümer*innen.
Nikolaus Klenka, Mandatar der Grünen Wirtschaft, Fachgruppe Immobilien- und Vermögenstreuhänder, begründet dies durch den fehlendem Einsatz der Eigentümer*innen. Für sie wäre eine Nutzung von Leerstand wirtschaftlich sinnvoll, da es die Zone belebe und dadurch die Vermietung lukrativer mache. „Das ist ein Kreislauf, der nach oben geht. Jetzt braucht es aber die Initialzündung und die fehlt in vielen Fällen.“
Verhindert werde das häufig durch die beschränkte Perspektive auf ihr einzelnes Haus, die die Eigentümer*innen häufig haben. Klenka plädiert deshalb für die Zusammenführung der Partikularinteressen und mehr Weitblick. Als zweiten Hemmfaktor nennt er die Gesetzgebung, die wenig Raum für neue Formen der Belebung ließe. „Es bedarf Änderungen der rechtlichen Situation“, fordert er.
Der Fokus muss auf dem Bedarf liegen.
Demgegenüber legen Mara Verlic und Wencke Hertzsch, Mitautor*innen der Studie „Perspektive Leerstand“(1), den Fokus auf die Bedarfsfrage und die Ebene der Nutzer*innen. „Aus dieser Sicht kann man sagen, es gibt Leerstand, weil der Raum nicht leistbar ist für die, die ihn bräuchten“, so Verlic. Der bisherige Umgang mit Leerstand stelle nicht die Bedürfnisse der Raumsuchenden und möglichen Nutzer*innen in den Mittelpunkt. Vielmehr bestimme das Interesse Räume aufzuwerten und Gewinn zu machen, welche Räume entwickelt und welche Akteur*innen aktiviert werden.„Gewünschte Nutzungen sind kommerzielle Nutzungen“, ergänzt Wencke Hertzsch und fordert einen Perspektivenwechsel und Bruch mit dieser Logik.
Zwischennutzungen als Lösung?
Zwischennutzungen werden häufig ins Feld geführt, um die Interessen der Eigentümer*innen und der Raumsuchenden zusammenzubringen: Die kulturellen Nutzungen beleben die Zone und Kunst- und Kulturschaffende haben einen kostengünstigen Raum, wo sie für eine begrenzte Zeit Projekte realisieren können.
Als Lösung für die Raumproblematik taugen Zwischennutzungen aber kaum, argumentiert Mara Verlic, „weil in den meisten Fällen temporäre Nutzungen und prekäre Verhältnisse von den Nutzer*innen nicht erwünscht sind.“ Die Stadt Wien hat sich im Regierungsübereinkommen auf die Errichtung einer Zwischennutzungsagentur verpflichtet. „Ein Fokus auf Zwischennutzung greife aber für eine Stadt viel zu kurz“, kritisiert Hertzsch und fordert stattdessen ein nachhaltiges Leerstandsmanagement.
Viele Interessierte aus dem Publikum kennen die Schwierigkeiten mit Zwischennutzungen aus eigener Erfahrung. „Genau der Raum, wo wir waren, ist jetzt total aufgewertet. Wir haben angefangen und müssen dann weg“, beschreibt eine Kulturschaffende das Problem.
Die Haltung der Politik sei widersprüchlich: „Die Stadt Wien wünscht Zwischennutzungen, aber Geld gibt es keines.“ Ehrenamtlich sei die Arbeit und der Verwaltungsaufwand kaum zu schaffen, pflichten sowohl eine frühere Bewohnerin des Zwischennutzungsprojekts Trust 111, als auch Isabella Farkasch von der Werkstadt Meidling bei.
Hier sieht Monika Mokre, Vorsitzende der Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien, die Stadt in der Verantwortung, unterstützende Strukturen zu schaffen.
Fehlende Transparenz der Stadt.
Handlungsbedarf für die Stadt Wien wird auch in der Informationspolitik gesehen. „Es gibt keine Transparenz in Wien, dass man wüsste, wo es Leerstand gibt, worauf man zugreifen kann und an wen man sich wenden muss“, so Hertzsch. Diese erschwere häufig die Möglichkeit für Raumsuchende mit Eigentümer*innen Kontakt aufzunehmen, um ihnen Nutzungskonzepte anzubieten, kritisiert Mokre. Die Diskussionen um einen städtischen Umgang mit Leerstand fänden hinter verschlossenen Türen statt, ohne mögliche Nutzer*innengruppen einzubeziehen, wird aus dem Publikum angemerkt.
Der Umgang mit Leerstand als gesellschafts-politische Frage.
Der Umgang mit Leerstand ist von gesellschaftlicher und stadtpolitischer Brisanz, erläutert Hertzsch, denn er verweise direkt auf die Frage: Wer kann es sich leisten, an dieser Stadt teilzuhaben? In Österreich herrsche ein sehr starkes Eigentumsrecht. Dies mache es schwierig, einen anderen Zugang zum Thema Stadtgestaltung und Leerstandsnutzung zu entwickeln, so Hertzsch weiter. Klenka unterstreicht, dass es auch in Österreich möglich wäre, bei Leerstand eine Meldepflicht einzuführen und zu einer Nutzung zu verpflichten. „Natürlich geht das. Man will es nur nicht.“
Die Veranstaltung war ein Schritt, um diesen politischen Willen für eine sinnvolle Leerstandsnutzung zu befördern. „Von alleine passiert nichts!“, motiviert eine Zuhörerin zum Abschluss, selbst aktiv zu werden.
(1) Zum Download der von der IG Kultur Wien in Auftrag gegebene Studie „Perspektive Leerstand“
Raphael Kiczka lebt und arbeitet als prekärer Wissensarbeiter in Wien und ist Mitglied der GBW Redaktion.