Leopold Kohr und das menschliche Maß.
Stärkere Beachtung gebührt in diesem Sinn den Analysen, welche Leopold Kohr, Träger des Alternativen Nobelpreises, und Rupert Riedl anzubieten hatten. Einst viel beachtet, werden diese Erkenntnisse inzwischen eher als "News von gestern" behandelt. Immerhin gibt es aber noch Kreise, die die Erinnerung daran pflegen. So auch am 18. April 2013, als sich der Club of Vienna im Karl Kraus Saal des Café Griensteidl zum Vortrag "Das menschliche Maß – Zur Aktualität der Ideen von Leopold Kohr" traf. Trotz des sommerlichen Wetters füllte sich der Saal mit etwa 60 Besucher*innen - die Vorträge des Klubs sind per Anmeldung öffentlich zugänglich.
Dr. Michael Breisky, langjähriger Mitarbeiter des Außenministeriums, zuletzt österreichischer Botschafter in Irland (1993-1999) und österreichischer Generalkonsul in New York (2003-2005) berichtete in seiner Eigenschaft als Mitbegründer der Leopold Kohr Akademie in Salzburg.
Eröffnet wurde der Abend durch Prof. Hermann Knoflacher, emeritierter Verkehrsexperte der TU und Präsident des Club of Vienna.
Die Idee zum Club entwickelte sich aus dem "Altenberger Kreis" um den Biologen Rupert Riedl, der die "Evolutionäre Erkenntnistheorie" erarbeitete. Sie war ein Durchbruch zum Verständnis der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens und der Gefahren, die daraus drohen, da uns allmählich die technische Zivilisation über den Kopf wächst. Die Schere, die sich da auftut, führt zu folgenschweren unerwünschten Nebenwirkungen, verursacht durch die komplex gewordenen Finanz-, Verteidigungs- und Kommunikationssysteme, die der menschlichen Erkenntnisfähigkeit "davonwachsen".
In der Praxis trug Riedls Status als prominenter Wissenschaftler etwa dazu bei, dass er mithelfen konnte, die entscheidende "Denkpause" auszuverhandeln, welche zu Weihnachten 1984 die Lage um die Besetzung der Hainburger Au entschärfte.
Menschengerechte Größen.
An Riedl erinnerte Botschafter Breisky zu Beginn seines Vortrags ebenfalls, und erwähnte jene Anekdote von 1979, in der die Journalistin Marion Gräfin Dönhoff dem Professor den sehr treffenden Begriff der "Abklärung" vorschlug, als Ersatz für seine Bezeichnung "zweite Aufklärung", mit der er die Tragweite seiner Thesen zu umschreiben versuchte.
Die Thesen des Leopold Kohr (1909-1994) sind nun zweifellos ebenfalls Teil dieser Abklärung. Popularisiert wurde sein Ansatz zwar durch das 1973 erschienene Buch "Small is Beautiful" seines Freundes Ernst Schumacher, der darin für eine menschengerechte Ökonomie eintrat. Kohrs eigene Werke sind laut Dr. Breisky aber schon deswegen besonders empfehlenswert, da sie so gut geschrieben sind, dass sie einem das Erlebnis eines "Vollbades in humanistischer Bildung" vermitteln. Die inhaltlichen Schwerpunkte von Kohrs Arbeiten fasste Breisky in folgendem Überblick zusammen:
Die generelle Basis ist die Kritik am Übersteigen des menschlichen Maßes in vielen Bereichen. Dazu gesellen sich noch drei Bestimmungen:
1. Der konkrete Mensch soll im Mittelpunkt stehen
2. Komplexität wächst mit jedem Wachstumsschub
3. Der Mensch muss darauf bedacht nehmen, nie zu weit zu gehen
Kohr pflegte ein vorsichtig optimistisches Menschenbild, konstatierte aber einen verhängnisvollen Konnex: Es sei grundsätzlich eine mühevolle Aufgabe, die eigene Persönlichkeit zu entfalten – in der Anonymität der modernen Massengesellschaft aufzugehen, sei hingegen bequemer. Je kleiner aber nun die soziale Einheit, in der man lebt, desto eher finden sich Möglichkeiten die eigene Persönlichkeit zu entfalten, das Kleinere sei daher das Lebensfreundlichere.
Ein vortrefflicher Prophet.
Es gibt auch eindrucksvoll zutreffende Prognosen von Leopold Kohr. Im Zuge der Entkolonisierung afrikanischer Staaten in den 60er Jahren ging von Kohr die Empfehlung an diese Staaten aus, definitiv nicht zu schnell in den Welthandel einzusteigen, nicht zu abrupt in die Demokratie zu wechseln und eine zu schnelle Hochtechnologisierung zu vermeiden. Eine nachholende Entwicklung sei zu empfehlen. Dörfliche Gesellschaften sollten sich schrittweise zu regionalen Gesellschaften wandeln, ein Überspringen der Entwicklung brächte ein definitives Scheitern.
Auch die US Entwicklung sah Kohr treffend voraus, als er in den 50er Jahren im Buch "Breakdown of Nations" prognostizierte, dass die Sowjetunion mit der Zeit als Gefahr überwindbar sein würde, danach aber zu erwarten sei, dass die USA den Fehler machen würden, auf "Präventivkriege" zu setzen. Dieses aufgrund eines fehlenden Bewusstseins für die Notwendigkeit der Selbstbeschränkung.
Auch Kohrs lokaler Einsatz erwies sich als zukunftsträchtig: So setzte er sich für die Rettung einer Molkerei in Maishofen ein und legte damit den Grundstein zur Erhaltung regionaler Anbieter. Eine Idee, die später von der Marke „Ja! Natürlich.“ aufgegriffen wurde.
Schließlich fasste Dr. Breisky das Prinzip der Kohr'schen Philosophie zusammen: Zu beachten sind die Gegenpole "Wert" und "Gegenwert".
Durch Fracking zum Beispiel wird eine zusätzliche Energiequelle erschlossen. Darin liegt der Wert der Technologie im Sinne von Vorteil. Gleichzeitig aber ist Fracking unverhältnismäßig teuer, nicht nachhaltig und jedenfalls umweltschädigend, was den Gegenwert darstellt. Was wiegt mehr?
Erschwert wird die Antwort, wenn grundsätzlich die Überschaubarkeitsgrenze überschritten wurde, wie das in heutigen Gesellschaften der Fall ist. Fehler werden nicht mehr bemerkt. Leopold Kohr und Rupert Riedl wollten Wege aus dieser Gefahr aufzeigen - die Relevanz ihrer Analysen ist ungebrochen.
Der Autor Alan Severa hat Politikwissenschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.