Lesung: Der Juli geht aufs Haus.

GBW
Die GBW Wien beginnt ihren ersten kulturellen Höhepunkt des neuen Vereinsjahrs verspätet. Doch auch die einstündige Verzögerung, geschuldet der soeben erst zu Ende gegangenen Generalversammlung, kann an diesem 30. Jänner 2015 die Stimmung im Seminarraum in der Esterházygasse nicht trüben. Im Gegenteil: Gerd Valchars von der GBW Wien leitet zu den literarischen Gästen als Krönung eines langen Abends über. Kurto Wendt ist hier, um aus seinem jüngsten, dritten Roman zu lesen: »Der Juli geht aufs Haus«. Wendt, bekannt geworden als Sprachrohr der »Donnerstagdemos« gegen die blau-schwarze Bundesregierung, hat für die Lesung Unterstützung mitgebracht: Lisa Bolyos, Redakteurin der Straßenzeitung Augustin und selbst Buchautorin.
Fiktion …
Bolyos ist es auch, die uns Zuhörende aufnimmt, zu dieser Reise rund um prekäres Wohnen und Immobilienspekulation. Abwechselnd mit Wendt liest sie Bruchstücke aus diesem Buch. So werfen sie Schlaglichter auf ein Europa voller Menschen, die um ihr Recht auf leistbares Wohnen kämpfen, ebenso wie auf unser beschauliches Wien mit dem aalglatten Immobilienhai Weninger und der lesbischen 82-jährigen Oma, die sich nicht vor die Tür setzen lassen will.
Hauptprotagonist ist jedoch einmal mehr Frank, den literarischen Wegbegleitern Kurto Wendts schon aus seinen beiden früheren Romanen bekannt. Gleich zu Beginn treibt er die Anlageberaterin einer Bank zur Weißglut, weil er als Sicherheit für seine Einlage ins Grundbuch der Bankfiliale eingetragen werden möchte. Als notgedrungener Angestellter des Immobilienhais Weninger wechselt Frank alsbald die Seiten und beteiligt sich am Widerstand jener, die er eigentlich vertreiben soll. »Der Juli geht aufs Haus« wird zur Losung ihrer Online-Bewegung – sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden, würden tausende Leute die Juli-Miete nicht bezahlen.
… und Wirklichkeit.
Kurto Wendts und Lisa Bolyos Lesung lässt kaum verblasste Ereignisse der jüngsten Zeit wieder hervorbrechen. Die „Okupas“-Bewegung in Spanien hat Wendt verarbeitet. Ganze Familien, die zu hunderten und tausenden ihre Mieten nicht mehr zahlen können und stattdessen unzählige leerstehende Häuser und Wohnungen besetzen, die sich niemand zu kaufen leisten kann. Die Behörden dulden oftmals die Besetzungen, damit die Stadtviertel nicht unbewohnt bleiben und verfallen. Absurdes Spanien der Spekulant*innen.
In der Diskussion bringt Wendt auch die Räumung der Pizzeria Anarchia samt besetztem Wohnhaus letzten Sommer in Wien zur Sprache. Der Hauseigentümer hatte Punks einquartiert, man sagt, um die Altmieter*innen zu vertreiben. Alte und neue Bewohner*innen des Hauses hatten sich aber bald zusammengefunden und einem allfälligen bösen Plan vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht; bis auf Intervention des Eigentümers die Behörden mit 1.400 Polizist*innen einschritten. Absurdes Wien der Spekulant*innen.
Auf Nachfrage aus dem Publikum räumt Wendt ein, dass die Figur des Weninger einem realen Vorbild der Wiener Immobilienszene nachempfunden ist. „Dieser Weninger ist der Prototyp des »sympathischen Spekulanten«. Der ist nicht wie ein Immobilienfonds. Der hat ein Weingut, fördert Kunst, richtet jungen Künstlern in seinen Häusern zweitweise Ateliers ein – natürlich nur um so die Altmieter zu vergraulen. Das ist die schlimmste Sorte von allen.“
Thomas Mördinger ist Redakteur der GBW Wien.
Bisher von Kurto Wendt erschienene Romane:
- Sie sprechen mit Jean Améry, was kann ich für Sie tun?
- Ich rannte aus Zitronen
- Der Juli geht aufs Haus