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Mehr als Wohnen: gute und schlechte Beispiele

freie Zusammenfassung des Vortrags des Raumplaners und Publizisten Reinhard Seiß am 5. Dezember 2017 im Depot

 

von Elisabeth Kittl (GBW Wien)


Wohnqualität hat nichts mit Dichte oder Höhe zu tun, sondern hängt davon ab, wie Wohn- und Freiraum vorhanden und aufgeteilt sind. Die Ordnung des Raums und dessen Verwendungsmöglichkeiten nicht die Anzahl der Quadratmeter sind ausschlaggebend für qualitätsvolles Wohnen.

Reinhard Seiß veranschaulichte in seiner Präsentation anhand von Beispielen wenig bis sehr gelungene Umsetzungen von Wohnraum und Wohnumfeld.

Ganzheitliche Wohnqualität ist Wohnen innerhalb und außerhalb der eigenen vier Wände

Trete ich aus meiner Wohnung heraus, beginnt es am Gang, vor der Wohnung. Es ist nicht egal, ob dieser eng und dunkel ist oder ob sich dort Freiräume und Räume der Begegnung mit Nachbar_innen finden. Es ist auch nicht egal, ob ich weit weg gehen oder fahren muss, um an Infrastruktur und Nahversorgung zu kommen.

Der Wunschtraum von achtzig Prozent der Österreicher_innen aber ist ein freistehendes Einfamilienhaus. Es geht darum, was rundherum ist und es geht um das Eigene. Diese Heiligkeit des Eigentums ist sehr typisch österreichisch. Aufgrund der Kosten lässt sich Quantität und Wohnqualität aber selten vereinen. Eine relative große Anzahl an Quadratmetern ist oft noch zu schaffen, eine umfassende Wohnqualität aber seltener. Damit steigt der Flächenverbrauch, die Wohnqualität aber nicht.

Seiß und Architekten wie Glück, Rainer und Matzinger sehen die Lösung darin, dichter zu bauen. Ein Mehr an Qualität und ein Weniger an Bodenversiegelung. Perfekt.

Städtebauliches best practice: „Urlaubsressort“ Alterlaa

Ein gutes Beispiel dafür, dass weder die Größe noch die Höhe entscheiden darüber sind, dass ein „Mehr an Wohnen“ möglich ist, zeigt der von Harry Glück Anfang der 1970er Jahre geplante soziale Wohnpark Alterlaa. Drei Hochhäuser beherbergen 3.200 Wohnungen. Und trotzdem, hier entstand Wohnqualität auf höchstem Niveau. Innen und außen, privat und öffentlich, Erholung und Notwendigkeit stehen in einem ausgewogenen Verhältnis.

Private Grünraumqualität und öffentliche Freiflächennutzung 

Zum Beispiel wurden den Wohnungen Terrassierungen vorgelagerte, eine Art eigener „Garten“ mit freiem Blick zum Himmel. Tiefe und breite Pfanzentröge waren bei Bezug schon mit Erde befüllt, damit es grünt und wächst, mit oder ohne Zutun der Bewohner_innen. Die gestalterische Nutzbarkeit wurde aber von vielen angenommen. Urban Gardening gibt es dort also schon seit fünfzig Jahren. Die Garagen wurden unter die Häuser sowie unter die Infrastrukturachse gebaut. Damit blieb zwischen den drei Wohnscheiben die Grünfläche auf Mutterbodenerde mit fest verankertem Bewuchs erhalten.

Privater Rückzug und soziale Kontakte 

In den unteren Geschoßen der Wohnhäuser gibt es Gemeinschaftsräume, die individuell durch über dreißig Vereine - vom Theater bis zum Flugzeugmodellbau - genutzt werden und nachbarschaftliche Kontakte immens fördern.

Beruhigtes Wohnumfeld und beste Infrastruktur

Der Kaufpark mit fünfzig Geschäften, Gastronomie und Ärzten ist voll ausgelastet und bietet eine Rundumversorgung ohne Auto, ist barrierefrei begehbar und wurde im Laufe der Jahre zu einer Art Bezirkszentrum. Die U-Bahn grenzt unmittelbar an den Wohnpark.

Wünsche, die das Einfamilienhaus erfüllen soll, werden in Alterlaa, gemeinsam mit weiteren Annehmlichkeiten wie Pool am Dach mit Blick über Wien, Alterstauglichkeit in hohem Maße und soziale Aspekte erfüllt. Die Wohnzufriedenheit ist von allen geförderten Wohnungen am höchsten. Auch wenn die Häuser nicht mehr die jüngsten sind, so entsprechen sie doch den modernen Anforderungen.

Im Wohnpark Alterlaa verwirklichte sich durch effiziente Planung und aufgrund der Masse leistbarer, aber höchst qualitätsvoller sozialer Wohnbau.

best practice am Land: gemeinschaftliches Einfamilienhausglück

Roland Rainers Gartenstadt Puchenau

Auf Parzellen mit 100-270 m² - ein Viertel dessen, was das übliche Einfamilienhaus verschlingt - wurden ein- bis zweigeschossige, uneinsehbare, süd- und gartenorientierte Häuser gebaut. Innen und außen fließen ineinander. Am Siedlungsrand Richtung Straße hin sind die Garagen untergebracht. Keine befahrene Straße quert die Siedlung. Die ganze Gartenstadt ist ein hektargroßer Spielplatz, der die Kinder der Siedlung erfreut und die Eltern nicht bangen lässt, dass ihre Kinder unter die Räder von Autos geraten. Niemand vermisst einen größeren Garten, alle schätzen die Sozialkontakte. Auch zeigte sich, dass die Freizeitmobilität eine geringe ist. Weil der Erholungswert ein großer ist, bleiben die Menschen am Wochenende gerne zu Hause - wie in Alterlaa.

Aber die VermieterInnen haben Angst, die ZwischennutzerInnen halten die vereinbarte Nutzungsdauer zu günstigeren Konditionen nicht ein und ziehen nicht mehr aus. Da werden die Geschäftsflächen lieber leer gelassen. Ein weiterer wichtiger Faktor, Leben in die Altstadt zu bringen, ist die leistbare Verfügbarkeit von Mietwohnungen. Ulreich erzählt aus seinen Erfahrungen: Einen Altbau sowie die Wohnungen darin zu sanieren und kostendeckend zu vermieten, ist derzeit aufgrund des dort geltenden Richtwertmietzinses nicht möglich. Jedenfalls nicht für Private.

In Wien darf derzeit etwa EUR 6/m² für unbefristete Altbauwohnungen verlangt werden. Neuer, öffentlich geförderter Wohnraum bewegt sich um die EUR 9/m² und neue Genossenschaftswohnungen gar bei EUR 12/m². Aufgrund der Möglichkeit der freien Mietzinsvereinbarung bei Neubauwohnungen liegt die Überlegung der privaten Investorin oder des Investors nahe, das Althaus abzureißen und neuzubauen oder die Wohnungen im sanierten Altbau zu verkaufen. Steuererleichterungen oder freier Mietzins für sanierte Altbauwohnungen, noch dazu solche, die z.B. den Wärmebedarf senken, würde hier lenkend eingreifen.

Fritz Matzingers Atriumhaus-Modell

Fritz Matzinger baute nun schon mehr als vierzig Atriumhäuser in Österreich. Meist acht zweigeschossige Wohnungen umgeben einen mit Glas überdachten Innenhof, von dem aus die Wohnungen erschlossen werden. Dadurch wird das Atrium eine Art Dorfplatz, eine alltägliche Begegnungszone der Nachbar_innen, ein Spiel- und Festplatz, ein Wohnzimmer der Hausgemeinschaft. Ein weiterer Gewinn der Gemeinschaft ist das Hallenbad, denn es ist aufgrund der Kosten nur gemeinsam realisierbar und dient auch als Verbindungsband der Bewohner_innen. Alle Wohnungen haben ihren eigenen grünen Freibereich, aber auch rundherum und am Dach gibt es viel Grün. Auch hier macht es die Mischung aus Gemeinschafts- und Eigenflächen aus.

Das Wohnprojekt Sargfabrik, die Baugruppen in Aspern und der Gartenhofverein Planquadrat sind weitere von Seiß präsentierte Beispiele für Wohnen in qualitätsvollem Umfeld. Aber leider führen solche Best Practices in Österreich ein Exotendasein.

Was wird im städtischen Wohnbau falsch gemacht?

Vorrang Auto

Mit der Zunahme des Autobesitzes und damit -verkehrs, wurde seit den 1960ern der Wohnbau autogerecht gestaltet. Das hatte zur Folge, dass Zwischen- und Freiräume betoniert und dem Autoverkehr gewidmet wurden. Aber Autos allein unter die Erde zu stellen, bringt nicht viel, wenn sich darüber nur mehr eine dünne Humusschicht, Entlüftungsschächte der Garage oder gar Erhebungen befinden und die Nutzung unmöglich machen. Eine gemeinschaftliche Nutzung wurde dem individualistischen Motorverkehr geopfert.

Aber nicht nur dem Auto, auch dem Handel wurden und werden verschwenderisch Flächen zugeteilt. Auf einer Unmenge an Fläche werden eingeschossige und zumeist hässliche und billige Bauten hingestellt (Bsp. Grossfeldsiedlung). Gleich daneben aber werden Menschen in vielen Stockwerken übereinandergestapelt. „Ein gesellschaftspolitischer Skandal, dass Kinder so aufwachsen!“ sagt Seiß und nimmt damit sämtliche beteiligte Akteur_innen in die Verantwortung – von der Politik über die Verwaltung bis hin zu allen Planer_innen.

Totalverdichtung

Ein Standard wie ihn Alterlaa bietet, wurde im sozialen Wohnbau nicht durchgehalten. Ganz im Gegenteil, in den letzten Jahren wurden auf den Dächern Luxuszonen geschaffen, die den Reichen vorbehalten sind. Das ist nicht die soziale Durchmischung, die eine bessere Wohnqualität fördert. In der Seestadt Aspern zeigt sich die unterschiedliche Wohnqualität von Baugruppenhäuser und Häusern klassischer Wohnbauträger_innen. Auf den Dächern der Baugruppen befinden sich Gemeinschaftsgärten und Gemeinschaftsküchen für alle Bewohner_innen. Die einzigen Grünflächen bei vielen Bauten des geförderten Wohnbaus sind schmale Restrasenflächen gespickt mit den Entlüftungsschächten der darunter liegenden Garagen.

Auch die geschlossene Blockrandbebauung mit ihren geschützten oft grünen Innenräumen, wie sie die Gründerzeitviertel und die alten Gemeindebauten kannten, ist nach Architekturmainstream nicht mehr zeitgemäß. Die Öffnung der Verbauung von Riesenparzellen in alle Richtungen bei gleichzeitiger Verbauung der Höfe führt zu einer Übererschließung und versiegelt noch weiteren Boden. Negativbeispiele dafür finden sich in der Seestadt ebenso wie im Sonnwendviertel oder in Monte Laa. Die Baublöcke sind zur Straße hin geöffnet und durch die dichte Staffelung der solitären Baukörper oft unzureichend besonnt. Sie bieten für Kinder kaum geschützte und frei nutzbare Grünflächen, die noch dazu von öffentlichen Wegen durchschnitten werden. Die Erdgeschoßflächen sind selten attraktiv und werden nur in wenigen Fällen gemeinschaftlich genutzt.

Größere Transparenz bei Umwidmungen ist daher dringend geboten. Doch selbst mit umfassender Teilhabe und Information der Öffentlichkeit werden sich manche der grundlegenden Probleme, die die aktuelle Hausse auf dem Wiener Immobilienmarkt mit sich bringt, nicht beheben lassen.

Als Beispiel: Selbst wenn sich eine Immobiliengesellschaft verpflichtet, für eine solide Infrastruktur im Rahmen ihres Bauvorhabens zu sorgen, so ist dennoch schwer zu verhindern, dass diese Kosten letztlich wieder auf die Wohnungspreise umgelegt werden. Das treibt die Wohnkosten weiter in die Höhe.

Ungleichverteilung von Dichte und Leere

Hohe Bebauungsdichten und verschwenderische Siedlungsformen liegen in Wien oft nebeneinander. Da das Erholungsgebiet scheinbar gleich daneben liegt, scheint es naheliegend, sich die Freiflächen zu ersparen. Es werden keine großen Spielplätze mehr gebaut, Garagen liegen unter den dünnen Rasenflächen. Nahversorgung gibt es keine, wie z.B. im Wohnpark Alte Donau. Die Anbindung an öffentlichen Verkehr ist dünn in der Wienerberg City.

Unmittelbar daneben aber liegen oft hunderte Kleingärten in städteplanerisch viel zu geringer Dichte. Gewidmet wurden sie ursprünglich als Reserveflächen der Stadt Wien für eine strategische Stadterweiterung. Seit Anfang der 1990er aber werden große Teile dieser städtischen Flächen privatisiert und mit der Widmung "dauerhaftes Wohnen" verkauft. Hier wird öffentlicher Grund, welcher eigentlich dem sozialen Wohnbau dienen könnte, in hohem Maße verschwendet.

Die Totalverdichtung, welche heute gerne „Urbanität“ genannt wird, wird auch von den gehyptesten Architekt_innen geplant. Werden aber allein Verdichtungsmaßnahmen gesetzt, ändert sich nichts an der Wohnqualität und an den Effekten. Alle die es sich leisten können, fahren am Wochenende ins Einfamilienhaus aufs Land.

Gewohnt werden will, wo es ein Mehr an Wohnen gibt

Was soll nun aber getan werden, damit die Menschen gerne in den Städten wohnen, die Infrastruktur effizienter genutzt werden kann und weniger an Boden versiegelt wird? 

Die Wohnanforderungen haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich geändert.

  • Ruhe und Helligkeit im Wohnbereich
  • individuelle Gestaltungsmöglichkeiten
  • vielfältige Nahversorgung
  • vitale Erdgeschoßzonen mit Geschäften, Büros und Kulturräumen
  • autofreie Zonen und Wege
  • Naturerfahrung
  • kindergerechtes Umfeld
  • nachbarschaftliche Kontaktmöglichkeit

Die Stadtentwicklung, die Raumplanung und die öffentlichen Bauträgerinnen sind gefordert, klug und qualitätsvoll zu verdichten, beste öffentliche Infrastruktur zu gewährleisten und ein ausgewogenes Verhältnis von Grün und Beton, von privatem, gemeinschaftlichem und städtischem Freiraum mit Nutzungsmöglichkeit zu schaffen. Stehen und fahren zum Beispiel weniger Autos herum, werden die Strukturen der Nahversorgung kleinmaschiger und fußläufig erreichbar. Ein guter Kreislauf, der die Lebens- und Aufenthaltsqualität erhöht und dem Wohnideal des bodenversiegelnden Einfamilienhauses den Rang abläuft.

Wohnungsbau muss immer gesamtstädtische, ja gesamtösterreichische Verantwortung übernehmen und diese bezieht ihre Kraft aus dem Fokus auf Wohn- und Wohnumfeldqualität.

Im Detail nachzuhören ist Reinhard Seiß' Vortrag und das anschließende Podiumsgespräch, das er u.a. mit dem Architekten Rodrigo Salsedo (vom Büro Tillner & Willinger) führte, unter:

Zu Matzingers Atriumhaus vgl. auch: