Mit feministischer Perspektive Vielfachkrise entschlüsseln.

GBW
„Entgegen den Reden vom Ende der Krise sind Folgen bis heute spürbar”, beschreibt Katharina Hajek – mit Gundula Ludwig und Elmar Flatschart Teil des Organisationsteams – die Motivation der Tagung. Während zweier Tage wollen sie in der Konferenz des Instituts für Politikwissenschaften der Universität Wien die Krise entschlüsseln.
„Ein feministischer Blick auf die Krise zeigt, dass wir es mit einer Vielfachkrise zu tun haben“, so Hajek. Damit begründet sie Ziel und theoretische Perspektive der Tagung: Die Vielschichtigkeit der Krise in den Blick nehmen und ihre Phänomene zusammendenken.
Krise des Care-Bereichs.
Julia Dück lehrt an der Humboldt-Universität zu Berlin und organisiert Arbeiter*innen im Care-Bereich. Im ersten Vortrag geht sie auf den krisenhaften Bereich der Sorgearbeit ein: Erziehung der Kinder, Betreuung der Erwerbsarbeitenden, Pflege der Kranken und Alten. Sie will damit einen Blick auf die Krise stärken, der Herrschaftsverhältnisse umfassend denkt. „Denn die gesellschaftliche Organisation des Care-Bereiches ist wesentlich für die herrschaftsförmige Gesellschaftskonstitution”, betont Dück.
Dück sieht zwei Dimensionen der Reproduktionskrise: die Erschöpfung des Subjekts und die Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge.
„Es gibt keine eindeutige unhinterfragbare Zuständigkeit von Frauen für Care-Arbeit mehr”, so Dück. Gleichzeitig stiegen aber die Anforderungen in diesem Bereich und der Druck am Arbeitsmarkt, so dass angemessene Sorgearbeit immer weniger geleistet werden könne. Private, unbezahlte Sorgearbeit werde immer stärker entgeltlich an migrantische Arbeitskräfte delegiert. „Damit werden die Sorgeökonomien der Herkunftsländer geschwächt“, problematisiert Dück.
Auch in der bezahlten Care-Arbeit gibt es nach Dück starke Zuspitzungen: Der Care-Bereich werde stärker in Wert gesetzt, Privatisierungen, staatliche Einsparungen, Lohndumping und höherer Kostendruck führen zu steigender Erschöpfung der Arbeiter*innen und sinkender Qualität. „Damit ist die Reproduktion der Arbeitskraft gefährdet, aber auch die öffentliche Daseinsvorsorge kann nicht mehr ausreichend gewährleistet werden”, beschreibt Dück die Konsequenzen und eine drastische Folge: „Die Sterberate in Krankenhäusern nimmt deutlich zu.“
Das Private ist ökonomisch!
Die feministische Ökonomin Käthe Knittler untersucht die Krise der Reproduktion durch die historische Analyse von Arbeitsverschiebungen in fünf Sektoren: Staat, privater Haushalt, Markt, informeller- und Non-Profit-Sektor.
Nach Zerstörung der gemeinschaftlich genutzten Allmenden, der Commons, und der weitreichenden Einführung der Lohnarbeit im Kapitalismus hätten sich auch die Geschlechterverhältnisse gewandelt, so Knittler.
„Frauen werden strukturell von der besser bezahlten Lohnarbeit ausgeschlossen und als unbezahlte Arbeitskraft abgeschoben“, wodurch sie zur „Allmende des Mannes“ werden, die seine Arbeitskraft unbezahlt wiederherstellt, fasst Knittler diesen Prozess zusammen.
Für ein ökonomisches Verständnis müsse die unbezahlte Arbeit mitgedacht werden. Pionierinnen der feministischen Ökonomie hätten diesen Aspekt schon im 19. Jahrhundert betont.
Auch heute verschwinde Arbeit nicht, wenn der Sparstift angesetzt wird, sie wird nur woanders hin verschoben. „Die Kosten der Austeritätspolitik werden ... auf die Küche abgewälzt“, konstatierte die britische Soziologin Diane Elison schon vor der Krise. Mit diesem Zitat verdeutlicht Knittler, dass Frauen Konjunkturrückgänge in Folge der ökonomischen Krise am stärksten und raschesten zu spüren bekommen. Im Angesicht der (Reproduktions-)Krise stellen sich die Fragen: „Wer kann sich Arbeit privat dazukaufen? Wird Reproduktionsarbeit verteilt, vermieden, verändert, verschoben, entfällt sie?“
Dies beleuchte, wer die Krisenlasten trage. Zum tiefergehenden Verständnis der Krise und der Veränderung der Lebensperspektiven schlägt sie vor, für die Reproduktionsarbeit aus der Commons-Perspektive zu fragen: „Wie können wir uns das Leben gemeinsam neu organisieren?“
Krise und Männlichkeit in der „Neuen Rechten“.
Sonja Luksik und Anna Gius, aktiv in der Studienvertretung Politikwissenschaften, erläutern im Anschluss das Verständnis von Krise in der „Neuen Rechten“. Die Krise werde von dieser vor allem als eine „Krise der Männlichkeit“ interpretiert. Die Dekadenz der Gesellschaft hätte Verweiblichung, Verweichlichung und Softies zur Folge, erläutert Luksik die Gedankenwelt der „Neuen Rechten“ und stellt deren Schlussfolgerung vor: „Dekadenz soll durch Rückbesinnung auf ‚Tradition` entgegengewirkt werden.“ Im Geiste der „konservativen Revolution“ stehe so eine völkisch definierte und hierarchisch organisierte Gemeinschaft im Mittelpunkt. Die „Neue Rechte“ grenze sich aber rhetorisch und durch ihr Auftreten von Rechtsextremen ab, da sie in die konservative Mitte mobilisieren wolle: Sie wirkt als Scharnier zwischen Wertkonservatismus und Rechtsextremismus“, verdeutlicht die Vortragende und erläutert damit ihre politische Relevanz. Neben einer starken Präsenz bei den Identitären, in der FPÖ oder im Berliner Kreis der CDU werde vor allem über Medien gewirkt. Dabei nutzen und tragen sie den antifeministischen Backlash in viele Zeitschriften, haben aber auch eigene Organe, wie die Junge Freiheit, Sezession, Aula, Blaue Narzisse oder Blogs im Internet.
Im Saal aufgehängte Zitate aus diesen Zeitschriften verdeutlichen den dabei angestrebten Weg aus der Krise, der vor allem zurückführt: Männer verdienen Geld und Frauen arbeiten unbezahlt in der Küche.
„Die ‚Neue Rechte‘ versteht die Krise als Chance, um an Boden zu gewinnen und sich als Retter der Nation und der heterosexuellen Familie darzustellen“, fassen die Studienvertreterinnen die Strategie zusammen, eine „Krise der Männlichkeit“ zu propagieren.
Feministische Handlungsräume und Widerstand.
In einer abschließenden Podiumsdiskussion diskutieren Aktivistinnen mögliche Widerstandsstrategien, Erfahrungen und feministische Handlungsräume in der Krise.
Aktivistinnen vom Wiener Prekär- Café berichten von ihrem solidarischen Kampf mit Abfallberater*innen der MA 48 und Streifzügen und Organisierung in Wien.
Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Niedermoser teilt Erfahrungen der Solidaritätsarbeit mit Griechenland. Sie unterstützt mit dem Verein „weltumspannend arbeiten" ein solidarisch betriebenes Spital in Thessaloniki für Menschen, die aufgrund der Sparpolitik sonst keine Gesundheitsversorgung mehr haben. „Die solidarischen Initiativen werden vor allem von Frauen getragen“, stellt sie fest.
Darauf geht Nasia Pilakogianni, Aktivistin des griechischen „Solidarity Spaces for Women“, ein, einer Initiative von Frauen gegen die staatlichen Sparmaßnahmen: „Frauen werden zuerst gefeuert und zuletzt eingestellt, sie spüren die Krise am deutlichsten.“ Frauen erhielten ihr Baby erst dann, wenn die Rechnung der Entbindung bezahlt sei, macht sie deutlich, wie drastisch die Sparprogramme die Gesundheitsversorgung betreffen. Die Aktivistinnen organisieren sich in demokratischen Versammlungen und decken die verschiedensten Bereiche ab. Es gibt psychologische Beratung, aber auch politische Kampagnen und kulturelle Aktivitäten.
Die Krise verdichte gesellschaftliche Konflikte und Auseinandersetzungen, die zu mehr Repression führen. Sei dies in Griechenland besonders deutlich, so verweist Niedermoser darauf, dass auch in Österreich immer stärker Politiken autoritär und demokratiepolitisch fragwürdig durchgesetzt werden.
Pilakogianni weist zu Ende der Podiumsdiskussion auf die krisenbedingten starken Angriffe auf feministische Errungenschaften hin: „Es entsteht ein ganz neuer Prozess der Kontrolle der Frauen, ein Prozess der Renaturalisierung. Durch Arbeitslosigkeit sind sie gezwungen zu Hause zu bleiben. Wenn sie sich nicht um die Kinder kümmern, tut es keine*r!“
Ihre Losung ist deshalb klar: „Die Frauen müssen sich organisieren und ihr Schicksal in die Hände nehmen!“
Der Autor, Raphael Kiczka, ist Mitglied des GBW Redaktionsteams.
Links.
Artikel der GBW zu Krise - Männlichkeit – Rechtsextremismus