Nachhaltig leben und innere Konflikte.

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Paul Kolm vom Vorstand der GBW Wien begrüßt die Referentin und Leiterin des Seminars, Ines Omann. Die ausgebildete Volkswirtin und Projektleiterin am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung forscht und lehrt seit neun Jahren in den Bereichen Nachhaltige Entwicklung, ökologische Ökonomie, Transformationsprozesse und Lebensqualität. Stationen ihrer Laufbahn waren unter anderem die Uni Graz, Uni Wien, Wirtschaftsuniversität Wien, Universität für Bodenkultur, aber auch Universitäten im Ausland.
Raum des Vertrauens.
Zu Beginn der Veranstaltung vereinbaren Omann und die Teilnehmer*innen, dass alles Persönliche, das im Seminarraum geäußert wird, auch innerhalb dieser vier Wände bleibt. Über innere Konflikte zu sprechen, ist eine sehr sensible, individuelle und persönliche Angelegenheit. Daher wird im Folgenden auch der Artikel nichts Persönliches der Teilnehmenden wiedergeben, sondern den Fokus auf den theoretischen Teil und Ablauf des Seminars legen.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wartet die erste Aufgabe auf die Teilnehmenden. Sie sollen den jeweiligen Sitznachbar*innen von ihrem größten inneren Konflikt berichten. Danach werden die Gesprächspartner*innen gewechselt und sollen ihrem neuen Gegenüber erzählen, welche Strategie sie wählen, mit ihrem größten, inneren Konflikt umzugehen.
Beispiel-Konflikt: Flugreisen.
Zur Veranschaulichung eines inneren Konflikts in Zusammenhang mit einem nachhaltigen Lebensstil sei ein allgemein bekannter Konflikt aus dem Seminar-Ankündigungsschreiben angeführt: Reisen mit dem Flugzeug. Auf den Konflikt deutet jenes Gefühl hin, das entsteht, wenn man in ein Flugzeug steigt, um auf Urlaub zu fliegen, oder um einen neuen Kulturkreis kennenzulernen – auf Kosten zukünftiger Generationen. „Dieses Gefühl weist auf einen intrapersonalen Konflikt hin, der entsteht, wenn nicht alle Werte und Bedürfnisse in Einklang zu bringen sind.“(1)

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Innere Konflikte.
Laut Omann würden innere Konflikte entstehen, wenn Menschen sich bewusst seien, dass verschiedene Handlungen verschiedene soziale und ökologische Wirkungen haben, aber sich für die nachhaltigere Option zu entscheiden aus mehreren Gründen nicht möglich sei. Quellen innerer Konflikte würden typischerweise Wissen, Einstellungen, Werte und Interessen zugrunde liegen. Ein weiteres Beispiel für solch einen Konflikt wäre: Öffis benutzen statt mit dem Auto zu fahren. Hier stünden „Schutz der Ressourcen“, „Teilhabe an einer bestimmten Gruppe“ und „Kreativität eines neuen Lebensstils“ den Bedürfnissen „Identität“ und „Freiheit“ entgegen.
Bedürfnisse.
Eine wichtige Rolle in Zusammenhang mit Konflikten spielen Bedürfnisse. „Bedürfnisse sind fundamentale Dimensionen menschlicher Entwicklung“, erklärt Omann. „Bedürfnisse hat man, sie sind nicht kreierbar.“ Die Erfüllung oder Nichterfüllung von Bedürfnissen drücke sich in Gefühlen aus. „Ihre Erfüllung ist die Basis für subjektives Wohlbefinden.“
Nach dem Ökonomen Manfred Max-Neef würden zehn Bedürfnisse unterschieden. Sie betreffen die Bereiche Beziehungen, Liebe, Muße, Subsistenz und lauten: Schöpfung, Zuwendung, Vergnügen, Identität, Verstehen, Lebensunterhalt, Schutz, Freiheit, Transzendenz und Teilhabe. Anhand dieser zehn zentralen Bedürfnisse könne die Bedeutung der Bedürfnisse hinterfragt werden. „Man schaut, welcher Wert steckt hinter einem Bedürfnis“, sagt Omann, und inwieweit die Bedürfnisse, zum Beispiel im Fall einer Flugreise „verletzt, erfüllt, oder davon nicht berührt werden“.
THANCS, ein Werkzeug für den Umgang mit Konflikten.
„Thriving for Awareness for Non-Conflicting Strategies ist ein vierstufiger Ansatz, der hinter den Konflikt schaut“, so Omann. In einem ersten Schritt gehe es um ein Erkennen der Spannung, des Konflikts. Im zweiten Schritt werde darüber reflektiert, woher der Konflikt kommt und welche Bedürfnisse erfüllt beziehungsweise welche Bedürfnisse in welchem Ausmaß verletzt würden. Drittens gehe es ums Kommunizieren des Problems, „idealerweise mit ebenfalls Betroffenen“, bevor im vierten Schritt der Kreativitätsprozess zur Lösungsfindung einsetze, „zum Beispiel in Form alternativer Strategien“.
Glück und Nachhaltige Entwicklung.
In Omanns Folien-Vortrag geht es auch ums Glück (nach Aristoteles streben alle Menschen nach Glück), um Nachhaltige Entwicklung, Nachhaltigkeitstransformation und die Hypothese: „Nachhaltige(re) Lebensstile können zu einer höheren Lebensqualität führen, wenn es möglich ist, subjektives Wohlbefinden von materiellem Reichtum zu entkoppeln.“
Nachhaltige Entwicklung definiert die Vortragende als „eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der jetzigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Die Befriedigung von Bedürfnissen sei die Basis für subjektives Wohlbefinden, sagt die Forscherin, und betont als Ziel das „Gute Leben für alle.“
Nachhaltigkeitstransformation.
Für eine gelingende Nachhaltigkeitstransformation brauche es angesichts der „multiplen Krisensituation“ (z.B. Klimawandel, Ressourcenverbrauch, Pestizide, Verkehrsbelastung) und der globalen Herausforderungen komplexe Lösungen im Innen wie Außen, „auf individueller und gesellschaftlicher Ebene“, so Omann. Wachstum in seiner jetzigen Form führe in Summe nicht (mehr) zu einer höheren Lebensqualität für alle. Anstelle von Konsum und BIP-Wachstum würden Wohlbefinden und Lebensqualität in den Vordergrund treten.
Bezüglich Ziele einer solchen Transformation zitiert Omann den „Capability Approach“ des indischen Ökonomen Amartya Sen, wonach allen Menschen die gleichen Chancen gegeben werden sollen, ein Leben nach eigenen Vorstellungen innerhalb der planetaren Grenzen zu gestalten, und dadurch zu erblühen („flourishing“).
Haben oder Sein?
Omann zitiert auch den berühmten Psychoanalytiker, Philosophen und Sozialpsychologen Erich Fromm, der meinte: „Unsere Konsum- und Marktwirtschaft beruht auf der Idee, dass man Glück kaufen kann, wie man alles kaufen kann. Und wenn man kein Geld bezahlen muss für etwas, dann kann es einen auch nicht glücklich machen. Dass Glück aber etwas ganz anderes ist, was nur aus der eigenen Anstrengung, aus dem Innern kommt und überhaupt kein Geld kostet, dass Glück das „Billigste“ ist, was es auf der Welt gibt, das ist den Menschen noch nicht aufgegangen.“
Macht Geld glücklich?
Macht Geld also wirklich nicht glücklich? „Ja, nein, zum Teil“, alle Antworten seien zutreffend, sagt die Forscherin, und beruft sich auf wissenschaftliche Ergebnisse aus der Glücksforschung. „In extremer Armut ist es schwierig, glücklich zu sein“. Nachgewiesen sei, dass Menschen in reicheren Ländern glücklicher seien als in ärmeren Ländern. Auch dass Zunahmen im persönlichen Wohlstand typischerweise zu nicht mehr subjektivem Wohlbefinden führen würden, und dass Menschen, die einen starken Wunsch nach Geld und Wohlstand hätten, unglücklicher seien als jene, die diesen Wunsch nicht hätten. Weiters hätten Zunahmen von nationalem Wohlstand in den entwickelten Ländern in den letzten Dekaden nicht zur Steigerung des subjektiven Wohlbefindens geführt.
Omann verweist auf das „Easterlin Paradox“, wonach Glück über einem gewissen Einkommenslevel nicht mehr mit dem Einkommen steige. Der Gebrauch von materiellen Ressourcen über einem gewissen Level sei im Allgemeinen dem Wohlbefinden nicht mehr dienlich.
Nach drei theoretischen und sehr persönlichen Stunden geht dieses spannende Seminar zu Ende. Gewiss wird es noch lange bei den Teilnehmer*innen nachhallen. Auto oder Öffis? Fernflug oder Österreichurlaub? Supermarkt oder Foodcoop?
Links.
Ines Omann: http://www.ufz.de/index.php?de=39117
(1) Seminar-Ankündigung: https://wien.gbw.at/wien/veranstaltungen/ereignisansicht/event/nachhaltige-lebensstile-und-unser-umgang-mit-inneren-konflikten/
Die Autorin Karina Böhm hat Sozial-und Wirtschaftswissenschaften studiert. Sie ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.