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Netzfeminismus – wer besetzt den digitalen Raum?

Am 27. Mai organisierte die Grüne Bildungswerkstatt Wien in Kooperation mit der Grünen Frauenorganisation und dem netzpolitischen Sprecher der Grünen, Marco Schreuder, die Podiumsdiskussion „Aufschrei, Netzfeminismus und neue Netzwerke: Wer besetzt den digitalen Raum?“ Vier Expertinnen diskutierten dazu im C3 in der Sensengasse.

Michaela Amort, Marketing Managerin und Bloggerin, Ingrid Brodnig, Redakteurin beim „Falter“, Brigitte Theißl, bloggende Feministin, Genderforscherin und Journalistin, sowie Sigi Maurer, ehemalige ÖH-Vorsitzende und Nationalratskandidatin der Grünen nehmen am Podium Platz.  Das Publikum ist gespannt, was die vielseitig engagierten Diskutantinnen in der Auftaktveranstaltung der Reihe „Netzpolitische Bildung“ zum Thema sagen werden. Durch den Abend führt eine gewandte Martina Wurzer, Gemeinderätin und Sprecherin der Grünen Frauen Wien.
„Das Netz ist nicht frei von Machtverhältnissen und es ist auch nicht frei von Ausschlüssen“, beginnt Wurzer. „Wer hat welchen Zugang zum Internet und welche Rolle spielt dabei das soziale Geschlecht?“, fragt sie die Expertinnen.

Wer nutzt welchen Zugang?

Theißl, die Gender Studies studiert und einen feministischen Blog initiiert hat, erklärt dazu, dass mehr Frauen als Männer bloggen und auf Facebook sind. Lediglich in der Generation 60 plus gebe es eher weniger Frauen im Netz.
Amort ist seit 1995 im Netz aktiv. Ihre Motivation war damals schlicht die Möglichkeit, „dass das jetzt geht und dass man ohne Programmierkenntnisse etwas ins Netz stellen kann“.
Maurer hingegen ist über die Unibrennt-Bewegung auf Twitter gekommen: „Die Treffen der Arbeitsgruppen haben wir über Twitter organisiert.“

Internet – enttäuschte Hoffnung?

Brodnig, die derzeit ein Buch zur Geschichte des Internets schreibt, erklärt, mit dem Internet sei die Hoffnung und Idealvorstellung verknüpft gewesen, endlich einen egalitären Raum für alle und für faire Strukturen zu schaffen. Diese Hoffnung sei enttäuscht worden. „Online ist es noch leichter zu schimpfen als im realen Raum, weil es keine Konsequenzen hat.“ Im realen Raum hingegen würde kaum jemand auf die Idee kommen, auf einer Veranstaltung wüste Beschimpfungen und Diffamierungen vom Stapel zu lassen. Die Anonymität des Netzes aber erlaube das – leider.

Vorteile oder Beschimpfungsplattform?

Einen Vorteil des Netzes für Frauen sieht Brodnig darin, dass sie sich dort für wenig Geld organisieren und mobilisieren können. Zum Beispiel klassisch über Facebook und Twitter, aber auch über feministische Blogs oder gestreamte Barcamps. Typisch für Barcamps ist, dass die Inhalte der Treffen erst vor Ort während der Veranstaltung entstehen. „Barcamps gibt es zu allen möglichen Themen, aber gerade bei feministischen Themen ist ein verstörender und extremer Antifeminismus sichtbar. Meist durch Genitalbeleidigungen, getätigt von anonymen Menschen“, sagt Brodnig. Studien zufolge seien es überwiegend Männer, die sich solch eines beleidigenden und hasserfüllten Verhaltens, im Netzjargon „trollen“, bedienen.

Ignorieren oder sichtbar machen?

„Ich kenne keine feministische Bloggerin, die noch nicht bedroht oder beschimpft worden ist“, sagt Theißl. Daher stellt sich die Frage: Wie sollen Feministinnen beziehungsweise Menschen generell mit Anfeindungen und Trollpostings umgehen? Welche Forenmechanismen gibt es, um sachliche und sinnvolle Postings von Unsinn zu trennen? „Denn nicht jede Meinung ist sachlich und in ihrer Qualität gleichviel wert“, betont Brodnig.
Schreuder erklärt, wie er mit Trollpostings auf seinem Blog umgeht: „Ich lasse besonders gemeine Postings oft auch stehen, damit diese Untergriffe sichtbar werden. Denn auch sie sind Teil einer Realität, die es in unserer Gesellschaft gibt.“
Brodnig hingegen warnt davor, dass wir uns an den Umgang mit Begriffen der übelsten Sorte, wie zum Beispiel „Feminazi“ und an eine Nivellierung nach unten gewöhnen könnten: „Es kann nicht sein, dass wir immer noch darüber diskutieren müssen, ob Frauen gleich klug wie Männer sind.“ Sie spricht sich dafür aus, Hasspostings einfach zu löschen. Und: „Wollen wir wirklich alles sehen, was es in der Gesellschaft gibt?“

Posting löschen – ein Angriff auf die Meinungsfreiheit?

Mitnichten, meint Brodnig und erklärt: „Es gibt im Netz viele Möglichkeiten seine Meinung kund zu tun. Das muss nicht ausgerechnet auf meinem Blog oder in einem bestimmten Zeitungsforum stattfinden.“ Jeder könne einen eigenen Blog betreiben, oder seine Meinung auf einer anderen Plattform posten, auf der sie jemand lesen will. Brodnig zitiert dazu einen „Zeit“-Redakteur, der meinte, „in der Zeitung drucken wir ja auch nur ab, was wir gut finden.“ Es gibt kein Recht darauf, seine Meinung ausgerechnet im Forum eines bestimmten Mediums zu veröffentlichen.

Strategien.

Im Falle eines hasserfüllten, antifeministischen Übergriffs sei es wichtig andere einzubeziehen, meint Maurer. Daher brauche es zum Beispiel auf Konferenzen für Betroffene Vertrauenspersonen. Aus dem Publikum meldet sich eine Frau mit schlechten Erfahrungen zu Wort: Leider sei es immer noch so, dass Opfern nicht vorbehaltlos geglaubt würde. Diese müssten sich erst einmal kritische Fragen gefallen lassen und sich ausführlich erklären und rechtfertigen, bevor sie jemand ernst nimmt. Dazu Maurer: „Skepsis und Misstrauen gegenüber Betroffenen könnten durch das Versammeln vieler Menschen und deren Solidarität abgebaut werden.“

Solidarität.

„Umso wichtiger ist es daher, dass sich Privilegierte mit den Opfern solidarisieren“, schließt eine weitere Frau aus dem Publikum an. Privilegierte, das sind Nichtbetroffene, Menschen, die keiner angefeindeten Gruppe oder Minderheit angehören. Sie sollen sich organisieren und so ihre Solidarität mit den Betroffenen signalisieren. „Denn Solidarität ist eine starke Waffe.“

Moralpolizei.

Brodnig sieht es gerade im Medienbereich als Aufgabe der Seitenbetreiber*innen, Trollpostings zu eliminieren. „Warum sollen wir Frauen auch noch Moralpolizei spielen?“ Die Verantwortung für ein sachliches und hassfreies Diskussionsklima in den Foren sollen die Betreiber*innen selbst übernehmen.

Fazit: don´t feed the troll!

„Die Währung unter Trollen ist Aufmerksamkeit“, bringt es Maurer auf den Punkt. Wenn wir Trolle ignorieren, kriegen sie keine Aufmerksamkeit mehr und ziehen weiter. Bis sie woanders wieder auftauchen ...

Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.

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Video-Aufzeichnung der Diskussionsveranstaltung <youtube>4F5ZhajUK8I</youtube>