No silver bullet solution needed
GBW
Am 5. September 2014 fand im Wiener Rathaus die Auftaktveranstaltung des Green European Foundation (GEF)-Projekts „Socioecological Reindustrialisation: Striking the balance of local and global dynamics“ statt. Am Vormittag wurde die Frage erörtert, was von bereits existierenden Initiativen und Projekten gelernt werden kann. Die Vortragenden am Nachmittag waren sich einig, dass voneinander lernen wichtig ist, es aber keine „silver bullet solution“, keinen Königsweg zum Lösen der europaweiten Probleme gebe. Innovation und Diversität waren die Stichworte des Nachmittags.
Lokal, sozial, Hightech.
Die zwei Vorträge von Dirk Holemans (belgische Denkfabrik für sozial-ökologische Veränderung Oikos) und Gerhard Schumacher (Unternehmensberater) beleuchten unterschiedliche Ansätze und Sichtweisen zum Thema europäische Reindustrialisierung. „Es ist durchaus ein politisches Statement zu sagen, dass es nicht eine alleinige Wunderlösung für ähnlich komplexe Probleme gibt“, so Holemans. Gerade bei EU-weiten Projekten mit mehreren Partnern sei es wichtig, räumlich differenzierte Strategien zu entwickeln. Das Wort Innovation wird zum Leitbegriff seines Vortrags: „Wir brauchen neue Brillen, um die Realität zu lesen.“ Innovative Projekte müssten in eine ganz andere Richtung zeigen, die Fortführung des derzeitigen Systems sei nicht erstrebenswert, so Holemans weiter. Deshalb definiert er als eines der wichtigsten Ziele innovativer Projekte, wie des vorgestellten GEF-Projekts, das bestehende System zu „stören“. Am effizientesten kann das innerhalb von Netzwerken passieren, wie er am Beispiel eines Genter Bürger*innen-Netzwerks zeigt, bei dem leere Shampoo-Flaschen als Werkstoff für 3D-Drucker wiederverwertet werden. Das Netzwerk ist damit materialtechnisch unabhängig und kann neue Produkte nach eigenen Bedürfnissen herstellen. Für ähnlich partizipative und innovative Projekte müsste jedoch der Umgang mit geistigem Eigentum im Patentwesen verändert werden.
Soziale Innovation ist für Holemans wichtiger als technische. Gelebte Solidarität und Gemeinschaftsgefühl können eine neue ökonomische Idee, weg vom kapitalistischen Individualismus des „schneller, weiter, höher“ beflügeln. Eine Kooperation zwischen einem Waschsalon und einem Café zeige, dass soziale Inklusion nichts Kompliziertes oder Unrealisierbares ist. Durch die Einrichtung eines „Waschcafés“ müssen Menschen, die sich keine private Waschmaschine leisten können, die Wartezeit nicht wie bisher alleine in der tristen Salon-Atmosphäre verbringen. Das gemütliche Café-Flair bietet Raum zum Austausch und Treffpunkt, so Holemans. Dabei steige die Attraktivität von Waschsalons, was einen positiven ökologischen Nebeneffekt habe: Immer mehr Menschen nutzen die energieeffizienten Waschmaschinen der Salons, statt ihre Wäsche zu Hause mit hohem Energieverbrauch zu waschen. Dies sei ein gelungenes Beispiel sozial ökologischer Innovation.
Als Beispiel technischer Innovation nennt er das „Power to the hour-Konzept“ von Rolls-Royce. Das neue Konzept erlaubt der Firma von langlebigen Flugzeugmotoren zu profitieren. Sie verkauft nicht den Motor als Ganzes, sondern rechnet dem Flugunternehmen den Verbrauch pro Stunde ab. Das führe das standardmäßig eingebaute Verfallsdatum von Maschinen zur Absatzförderung ad absurdum und verhindere viele damit zusammenhängende Umweltprobleme, so Holemans.
Als Zukunftsziel sieht Holemans sozioökologischen, globalen Problemen durch innovative, lokal angepasste Lösungen entgegenzuwirken: Hin zu einer sozioökologischen Reindustrialisierung.
Reindustrialisierung? Wo?
Der Unternehmensberater Gerhard Schumacher macht deutlich, dass beim Thema Reindustrialisierung Europas unterschiedliche Entwicklungen mitzudenken seien: „Für Osteuropa sehe ich keine Reindustrialisierungswelle, weil es nie eine Deindustrialisierung wie im Westen gab.“ Zwar sei es von Branche zu Branche verschieden, aber in Osteuropa herrsche eine andere soziale Grundlage. Das Konsumverhalten sei ein anderes, weil die Menschen es sich nicht leisten können, ökologisch bewusst zu konsumieren, so Schumacher. Durch Schumachers Vortrag wird deutlich, was Holemans vorher angedeutet hat: Europas Industrie ist nicht homogen, daher braucht es komplexe Lösungen, wenn eine inklusive, von Kohle unabhängige, europäische Gesellschaft angestrebt wird. Eine wichtige Rolle bei solch einer Transformation können laut Schumacher kleinere und mittlere Unternehmen spielen. Deshalb sollen diese bei der Umsetzung sozialer und ökologischer Standards besonders unterstützt werden. Außerdem müsse in Zukunft bedacht werden, dass bei der Auswahl des Produktionsstandortes niedrige Lohnkosten nicht die Hauptrolle spielen. Seiner Erfahrung nach sind für die Unternehmen Produktionssicherheit, Infrastruktur und Bildung sehr wichtig. In diese Bereiche müsse in Europa investiert werden.
Auf Augenhöhe.
In ihrem Kommentar greift Aurelie Marechal (Green European Foundation) das Stichwort Netzwerk und Kooperation des ersten Vortrags auf. Für sie sind Inklusion und Empowerment wichtige Ziele des GEF-Projekts: Die Idee sozialer Inklusion sei noch zu vage. „Wir müssen uns fragen, wie wir von unserer akademischen, grünen Treppe heruntersteigen und wirklich inklusiv werden können.“ Neben dieser Herausforderung sieht sie vier „Widerstandsräume“, die angesprochen werden müssen: 1) Politiker*innen („Wir müssen Politiker*innen dahingehend erziehen, grüne Themen auf ihre Agenden zu nehmen“), 2) Die grüne Community („Viele haben Angst, ihre lokalen Projekte auszuweiten, wir müssen aber global denken“), 3) Unternehmen und 4) Soziale Bewegungen. Auf dem konfliktreichen Weg hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft müssen diese Akteure ins Boot geholt werden, um Inklusion auf mehreren Ebenen zu erreichen.
Zur richtigen Zeit ...
Johannes Jäger (FH des bfi Wien) schließt sich in seinem abschließenden Kommentar Marechal in vielen Punkten an. Auch er betont, dass unterschiedliche räumliche Ebenen betrachtet werden müssen. Auch die massive Kluft zwischen Ost- und Westeuropa, wie von Schumacher angesprochen, darf nicht ignoriert werden. Dabei sind neue Arbeits- und Lebensmodelle notwendig, die mit dem Wettbewerbsdenken brechen. Maßnahmen auf rein lokaler Ebene würden für eine Transformation nicht reichen, so Jäger. Um die Rahmenbedingungen für eine ökologische Transformation zu verändern, müsse über nationale Grenzen hinweg gedacht und ein Kampf auf mehreren Ebenen, wie von Marechal angesprochen, geführt werden. „Die Transition ist mühsam, weil die Profiteure des derzeitigen Systems Macht haben.“ Die jüngste Wirtschaftskrise habe gezeigt, dass das Interesse des Kapitals wichtiger ist als Arbeitnehmer*innen und ökologische Herausforderungen.“ Und weiter: Es brauche einen langen Atem, neue Kräfte zu mobilisieren, so Jäger. „Aber die Anfänge der Arbeiterbewegung zeigen, dass es manchmal nur richtige Konstellationen braucht, um Ziele zu erreichen.“
Die Autorin, Nadine Mittempergher, arbeitet im Paulo Freire Zentrum und studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der BOKU Wien und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.