Novy - Der fehlende Fokus der Steuerreform
Öffentliche Infrastruktur für alle
Nun sind schon drei Wochen seit dem Gutes Leben für alle-Kongress vergangen. Als Bildungsveranstaltung war es ein Großereignis; motivierend und voll kreativer Energie. Umso schwieriger ist es, diese Aufbruchsstimmung mit dem politischen Alltag, den aktuellen, die Medien bestimmenden Diskussionen in Beziehung zu bringen.
Zur Erinnerung: unsere Kernthese am Kongress war, dass ein Ausbau der sozialen und ökologischen Infrastruktur wichtiger ist als die weitere Kaufkraftstärkung der Wohlhabenden in einem der reichsten Länder der Welt. Die Menschen wollen gut und sozial abgesichert leben, und dies in einer Umwelt, die Lebensqualität ermöglicht. „Mehr netto für brutto“ ist hierfür ein denkbar schlechter Slogan, denn er fördert einmal mehr die Vereinzelung von BesitzbürgerInnen und suggeriert die Lösung im individuellen Konsum. Doch ohne politische Gestaltung ist weder leistbares Wohnen noch eine dezentrale Energieversorgung möglich. Das geht nur in einem gemeinsam gestalteten Gemeinwesen von und für alle: von Nachbarschaftsgärten und Begegnungszonen bis zu einem Umlageverfahren, das mit der Alterssicherung nicht den Finanzmarkt subventioniert.
Für all das braucht es Geld – in öffentlichen Kassen und für gemeinsame Ziele. Und Steuern sind genau dazu da, solche sinnvolle, notwendige Aufgaben des Gemeinwesens zu finanzieren. Die kalte Progression bei der Lohnsteuer auszugleichen ist bei den Niedrigeinkommen sinnvoll, doch die Kernfrage unserer reichen Gesellschaften, in denen sich die Schere zwischen arm und reich öffnet ist eine andere: Wie kann vorsorgend und umsichtig der soziale Zusammenhalt aufrechterhalten werden, ohne mit unkontrolliertem Wachstum die ökologischen Probleme weiter zuzuspitzen?
Es braucht einen Systemwechsel, der ja an vielen Orten schon im Gange ist. Im Verkehrsbereich heißt es: Wir brauchen gute und billige Öffentliche Verkehrsmittel, einen Ausbau der Radwege und eine Stadt der kurzen Wege. Bei Bildung, Pflege und Gesundheit gilt: wir brauchen leistbare Angebote in guter Qualität für alle, ohne dass PädagogInnen und PflegerInnen mit Billigjobs abgespeist werden.
Sehr viel kann heute, hier und jetzt umgesetzt werden, wenn der politische Wille da ist. Es braucht nur den Druck von unten und ein politisches System, das auf die Kreativität und die Energie der Zivilgesellschaft hört. Dies ist der wirksamste, vielleicht der einzige Schutz vor weiteren Polarisierungen und einer weiteren Stärkung der extremen Rechten mit ihren Strategien der Ausgrenzung und Vereinzelung.
Andreas Novy ist Professor an der WU Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt.