Novy - Novy bloggt auf gbw.at
Jetzt eröffne auch ich einen Blog. Lange habe ich gezögert. Da reicht doch eine Website, zum Beispiel die schöne der Grünen Bildungswerkstatt, die wir über die letzten Jahre aufgebaut haben. Dort finden sich spannende Texte interessanter Menschen. Wenn immer nötig, so dachte ich lange, habe ich dort Raum, das zu sagen, was mir wichtig ist. Und dann gibt es ja noch eine Reihe anderer guter Blogs, zum Beispiel den von Arbeit&Wirtschaft der Arbeiterkammer Wien oder Beigewum, oder aber die privaten Blogs von Robert Misik und Sibylle Hamann in Österreich, oder auch Paul Krugman in den USA.
Warum also dennoch Bloggen: Da ist zum einen der Gutes Leben für alle-Kongress vom 20. – 22. Februar an der WU, den ich mitorganisieren. Mit dem guten Leben für alle beschäftige ich mich schon viele Jahre. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich der Überzeugung, dass mit diesem kurzen Slogan am besten ein positives, anzustrebendes Bild unserer Zukunft zusammengefasst wird. Dabei geht es nämlich nicht nur um „Bio für alle“, auch aktuelle Verwerfungen wie die Ukraine-Krise oder die Terroranschläge von Paris sind besser zu verstehen, wenn sie vor dem Hintergrund der Vision eines guten Lebens für alle gedeutet werden. Diese Gewaltausbrüche sind Indizien für das Versagen, Chancen eines guten Lebens für alle zu eröffnen. Gewalt und Krieg sind immer Folgen eines Politikversagens, dem Scheitern anderer, friedlicher Lösungen, allen voran einer vernünftigen Gesellschaftsgestaltung.
In seiner Abschiedsvorlesung hat Wolfgang Streeck in den Blättern für deutsche und internationale Politik das Scheitern des – mit vielen Problemen behafteten - Versuchs, Wissenschaft und Politik in den Dienst einer besseren Welt zu stellen, beschrieben. Heute schwindet am Stadtrand von Paris und an den Rändern Europas die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Als ich in Ende der 1980er Jahre Feldforschung zu meiner Dissertation machte, beschrieben Brasiliens Arme ihren Alltag mit „na luta“, „im Kampf“. Heute ist das Kämpfen ums Überleben nach Europa zurückgekehrt. An den sozialen und räumlichen Rändern kehrt der Hunger zurück. Überholt geglaubte Probleme aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg kehren genau 100 Jahre danach zurück. Aber auch für die, die keine unmittelbaren Existenzängste haben, nimmt die Verunsicherung zu, sie fühlen sich allein gelassen. Es herrscht auch in der Mittelschicht eine Stimmung, die an das Fin de Siecle der vorletzten Jahrhundertwende erinnert. Dieser Rückzug ins Private, Individualisierung und Fragmentierung des Sozialen sind Merkmale unserer Zeit.
Ist also ein gutes Leben für alle eine Illusion; wecken wir bloß Hoffnungen auf etwas, das unerreichbar ist, unrealistischer als zur Blütezeit des Sozialstaats und der Reformeuphorie in den 1970er Jahren? Das ist das Thema, mit dem ich mich in meinem Blog beschäftigen möchte. Mir soll es helfen, das eigene Denken zu schärfen. Den LeserInnen soll es Spaß machen, das eine oder andere Stück des Denkfortschritts zu begleiten.
Andreas Novy ist Professor an der WU Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt.