„Ökonomie des Teilens:

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Fred Luks, Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Moderator des Abends, bittet Hauptreferent Reinhard Loske zum Rednerpult. Der Professor für Politik, Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik an der Universität Witten/Herdecke in Nordrhein-Westfalen gilt als einer der profiliertesten Akteure des deutschsprachigen Nachhaltigkeitsdiskurses. Unzählige Menschen im Publikum spitzen die Ohren.
Transformation.
Über Transformationsforschung werde derzeit in Deutschland viel gesprochen, beginnt Loske. Inzwischen wurden zum Thema auch Professuren geschaffen, etwa seine, oder jene von Harald Welzer für „Transformationsdesign“ an der Europa-Universität Flensburg. Transformation bedeute nichts anderes als „Umformung“. Vor 10.000 Jahren gab es laut dem Forscher die erste große, „neolithische“ Transformation, als wir von der Jagd zum Ackerbau übergingen. „Vor 200 Jahren erfolgte dann die zweite große Transformation, die Industrielle Revolution. Statt Hammer, Wasserkraft und Wind hieß es fortan Kohle, Öl und Gas.“ Derzeit stünden wir vor der dritten großen Transformation, die da lautet: „ressourcenschonend wirtschaften.“
Nachhaltigkeit und Verzichtsapostel.
Seit den 80-er Jahren sei die „Nachhaltigkeitsdebatte“ entflammt, und zwar mit Fokus auf der Verbindung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem, sagt Loske. Zuvor beherrschten düstere Untergangsprophezeiungen vom „Doomsday“ die Debatte. Der Club of Rome machte auf die Grenzen des Wachstums aufmerksam. Und Erich Fromms gesellschafts-, konsum- und wachstumskritisches Werk „Haben oder Sein“ erschien 1976. Als Kulturpessimist, Verzichtsapostel und Miesmacher galt, wer auf endliche Ressourcen und Umweltschonung aufmerksam machte. Die Tonalität änderte sich erst, als in Deutschland die „Wenden“-Debatten aufkamen.
Die „besseren“ Wenden.
Egal ob Energiewende, Landbauwende, Verkehrswende, Ressourcenwende, Chemiewende, es ging in allen Wenden-Debatten immer ums „besser sein“, erklärt Loske. So sollte der ökologische Landbau „besser sein“ als Landwirtschaft mit der Chemiekeule, oder der öffentliche Verkehr sollte „besser sein“ als freier Individualverkehr. Technikoptimismus prägte die Debatte, so Loske.
Derzeit herrsche eine „kulturoptimistische Debatte mit kooperativer Nutzungsform“ vor. Neue soziale Praktiken seien genauso wichtig wie technische.
Verschiedene Ökonomien.
Grüne Wachstumsoptimisten betonen laut Loske die Ökonomien der Effizienz und der Substitution (Ersatz, Austausch) nicht erneuerbarer Energien, im Unterschied zu den neuen Ökonomien der Suffizienz (Wie viel ist genug?) und der Subsistenz (Selbermachen). Der Forscher unterscheidet fünf Ökonomien: Erstens, die Ökonomie des Teilens: „Hier steht gemeinschaftliches Nutzen im Vordergrund.“ Zweitens, die Ökonomie der Langlebigkeit: „Weg von Verschleiß und Obsoleszenz durch politische Bekämpfung und Rahmenbedingungen.“ Drittens, die Ökonomie des Prosumierens: zum Beispiel bei biologischen Nahrungsmitteln (Wo kommen Pflanzen und Tiere her, die wir essen?) oder bei Social Banking (Was machen Banken mit unserem Geld?). Viertens, die Ökonomie des Regionalen und fünftens, die Ökonomie der Resilienz (Robustheit).
Sharing alt und neu.
„Die Ökonomie des Teilens mit gemeinschaftlicher Nutzung ist eine soziale Innovation par excellence“, betont Loske. So sieht er etwa durch Carsharing ein großes Potenzial Ressourcen einzusparen. Loske zählt einige alte und neue Sharing-Modelle auf: Maschinenringe in der Landwirtschaft, Kleidertausch, Bibliotheken, Tauschringe, Urban Gardening, Foodsharing, Ridesharing, Couchsurfing, freie Software. „Derzeit nehmen Sharing-Initiativen zu“, sagt Loske und nennt zwei Gründe: „Unsere Einstellung zu Eigentum ändert sich und dank Internet finden Angebot und Nachfrage schnell zusammen.“ Außerdem würde durch Sharing vieles billiger.
Idealismus versus Kommerz.
Loske unterscheidet Idealisten-Initiativen von semi- und rein kommerziellen. Während Urban Gardening und Foodsharing idealistisch seien, habe sich etwa Couchsurfing – jemand gratis bei sich übernachten zu lassen – heute vor allem zu Airbnb hinentwickelt, einem Geschäftsmodell mit rein kommerziellem Nutzen. Ähnliches gilt für Ridesharing, heute vielfach abgelöst durch den rein kommerziellen Dienst Uber. Für Mitfahren in Wien wünscht Loske sich „kommunale Akteure“. Und wegen Airbnb, kritisiert er, würden „auf der Mikroebene bereits Nachbarschaften zerfallen.“
Politik für Standards.
Problematisch seien bei solchen Unternehmungen Arbeits-, Sicherheits- und Hygienestandards. Gründe, warum deutsche Stadtverwaltungen Airbnb und Uber bekämpfen wollen, sagt Loske, obwohl diese sozialen und ökonomischen Innovationen ein hohes Ressourceneinsparungspotenzial hätten. Seiner Ansicht nach müsse sich die Politik einmischen und für adäquate Rahmenbedingungen sorgen. „Standards-Definierung, Wirtschaftsförderung, Steuer-, Vereins- und Stiftungsrecht muss die Politik steuern.“ Sie solle das Neue ermöglichen.
Kapitalismus und Soziales.
In der anschließenden Diskussion sieht Beate Littig vom Institut für Höhere Studien (IHS) die zunehmende Ökonomisierung „hochproblematisch“. Der Staat hätte Probleme, Sharing Economy-Initiativen zu regulieren: „Wie will man das kurzzeitige Vermieten von Eigentumswohnungen politisch reglementieren?“ Laut der Wissenschaftlerin fügt sich die Sharing Economy sehr gut in Neoliberalismus und Kapitalismus: „Der Kapitalismus hat keine Probleme Carsharing und Airbnb zu integrieren.“ Eigentum gebe es nach wie vor: „Wohnungen und Autos gehören ja Menschen und Konzernen.“ Littig widerspricht auch Richard Bärnthaler, dem Mitgründer der Sharing Economy Plattform Swapstar. Der Jungunternehmer und WU-Student argumentiert, dass Asylsuchende und Arbeitslose dank Sharing Economy wieder Teil der Gesellschaft werden könnten. Littig: „Es kann doch nicht politische Motivation sein, sozialstaatliche Probleme mit Sharing Economy zu lösen!“
Verteilung und Rebound.
Sigrid Stix, Carsharing-Forscherin und Ökonomie-Expertin beim Umweltbundesamt, äußert sich kritisch zu Verteilungsfragen: Laut Studienergebnissen würden Airbnb vor allem weiße Frauen und Leute nutzen, die ohnedies schon etwas hätten. Bezüglich Rebound-Effekt zeigt eine andere Studie, dass der Besitz von Fahrzeugen in den USA bereits abnehme, doch würden jetzt kürze Strecken häufiger mit Carsharing gemacht. Das fresse Ressourceneinsparungen wieder auf. Außerdem sei die Frage zu stellen: „Was machen die Menschen mit dem eingesparten Geld? Mehr Flugreisen?“
Hoffentlich nicht, wahrscheinlich aber schon. Das bekennen zumindest einige jüngere Semester im Publikum.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Sie ist Mitglied der GBW-Redaktion.