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Perspektive Europa 2019.

Von 13. bis 17. Juni fand im Ottakringer Yppenpark zum zweiten Mal das Kulturkuppelfest statt. Im Rahmen dieses „Festivals der Vernetzung“ hat die IG-EuroVision am 17. Juni einen Europa-Tag veranstaltet. Europäische BürgerInnen-Initiativen (EBI), Machtfragen und ein „Raumschiff Erde“ waren die spannenden Themen.

„Europa – was sind die Schritte bis zum Ende des Jahrzehnts?“, eröffnet Moderator Gerhard Schuster die erste Podiumsrunde an diesem brütend heißen Sommertag. Angesichts Euro-, Wirtschafts- und Demokratiekrise wird offenbar, die derzeitigen Strukturen in Europa seien nicht ausreichend, diese Krisen zu bewältigen. „Entweder wir vertiefen die europäische Integration, oder aber die Europäische Union könnte zerbrechen.“ Und mit ihr der Frieden in Europa.

„Mister Grundeinkommen“ und die EBI.

Schuster begrüßt im ersten Teil der Veranstaltung den „österreichischen Mister Grundeinkommen“, Klaus Sambor vom Runden Tisch Grundeinkommen. Sambor, seiner Frau Ulrike und anderen engagierten Menschen aus der Zivilgesellschaft ist es zu verdanken, dass derzeit die EBI zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) läuft. „Was braucht es dazu, so eine Europäische BürgerInnen-Initiative auf den Weg zu bringen?“, fragt der Moderator.

Ausdauer, Optimismus, Frustrationstoleranz.

Das relativ junge Instrument der EBI wurde am 12. Juli 2012 ins Leben gerufen, informiert Sambor. „Es gibt Bürger*innen die Möglichkeit, sich mit Themen an die EU zu wenden, die aus Bürger*innensicht interessant sind.“ So geschehen beim Bedingungslosen Grundeinkommen.
Kritik am Instrument der EBI äußert Sambor dahin gehend, dass zum Beispiel eine Änderung an den nicht möglich sei, da dies (noch) nicht in Kommissionskompetenz liege. „Auch bei unserer BürgerInnen-Initiative zum BGE, die in den Bereich Soziales fällt, haben wir im ersten Versuch erlebt, dass sich die EU-Kommission als nicht zuständig erklärt hat und auf Zuständigkeit der Nationalstaaten verwies“, berichtet Sambor. „Daher haben wir in einem zweiten Versuch unser Anliegen umformuliert, indem wir die Kommission auf Förderung zunächst einer wissenschaftlichen Untersuchung des BGEs samt Koordinierung in den Mitgliedstaaten angerufen haben. Erfolgreich, denn am 14. Jänner 2013 wurde unsere EBI akzeptiert und am EU-Server registriert“, freut sich Sambor.

Vernetzung für 1 Million Unterschriften in Europa.

Seit damals geht es aufwärts. „Von ursprünglich 14 Ländern, die mitgemacht haben, sind wir inzwischen auf 22 angewachsen“, so Sambor. Auf kann jede*r unterschreiben und tagesaktuell mitverfolgen, wie viele Unterschriften aus welchen Ländern neu dazu kommen.
Diesbezüglich sei Vernetzung sehr wichtig, wie zum Beispiel Anfang Juni beim Alter Summit-Gipfel in Athen: „Im Stadion von Athen konnten wir vor 180 europäischen Organisationen, die alle eine alternative europäische Politik zur neoliberalen fordern, unsere BürgerInnen-Initiative vorstellen“, sagt Sambor.

BGE – ein Menschenrecht als Baustein zur Krisenlösung?

Was sind die Hauptanliegen der EBI zum Bedingungslosen Grundeinkommen? Dazu Ulli Sambor: „Die Grundidee ist, dass alle Bürger*innen von Geburt bis Tod monatlich und ohne Bedürftigkeitsprüfung einen Betrag in existenz- und Teilhabe sichernder Höhe erhalten, um in Würde leben zu können.“ Teilhabe sichernd heißt, der Betrag muss so hoch sein, dass uneingeschränkte Teilnahme am demokratiepolitischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben möglich ist. Derzeit würde dieser Betrag für Österreich jedenfalls über 1.000 Euro für Erwachsene liegen, für Kinder bei etwa 600. Gleichzeitig fielen andere, bürokratisch aufwendige Sozialleistungen, wie zum Beispiel Familienbeihilfe oder Mindestsicherung weg. Ausgaben für Krankenversicherung, die sich alternativ über Steuern finanzieren ließen, aber auch Bildungsausgaben blieben in jedem Fall unangetastet!
Das BGE ist ein wichtiger Baustein, um die Soziale Frage in Europa zu lösen. „Durch steigende Arbeitslosigkeit und zunehmendes Auseinanderdriften von Arm und Reich ist der soziale Frieden in Europa gefährdet“, sagt Ulli Sambor. Mit einem BGE wäre es möglich, die Wochenarbeitszeit auf 25 Stunden zu verkürzen und Arbeit gerechter zu verteilen. Da es ohnehin schon zu wenig Vollzeit-Arbeitsplätze gibt.

Unerpressbar, ökologisch und für mehr Gesundheit.

Aus dem Publikum meldet sich eine Frau zu Wort: „Die Menschen wären mit einem Grundeinkommen nicht mehr auf schlecht bezahlte Arbeit angewiesen.“ Wenn Arbeitsbedingungen zerstörerisch wirken und krank machen, könnten Menschen diese Arbeit ablehnen. Sie wären nicht länger erpressbar sondern frei, eine Arbeit anzunehmen, die ihren Neigungen und Interessen entspricht. Sie wären auch nicht mehr gezwungen in Ressourcen ausbeutenden oder unsicheren Jobs um ihre Existenz zu schuften und zu bangen. Ein BGE hätte also auch gesundheitliche und ökologische Vorteile.
Ganz abgesehen davon, dass solch eine Existenzsicherung auch (alleinerziehenden) Menschen, insbesondere Frauen, dabei helfen könnte, sich aus schwierigen Paarbeziehungen zu lösen.

Menschenbild und Mindestlöhne.

Finanzierungspläne zum BGE liegen längst vor. Auch Argumente und Studien gegen Vorurteile vom „faulen Menschen“. Ebenfalls wichtig, aber von Unternehmer*innen gerne vergessen: Selbstverständlich muss es bei Einführung eines BGEs auch einen Mindestlohn geben!
Übrigens: Die Schweizer*innen sind uns beim Bürger*innenanliegen Grundeinkommen einen Schritt voraus. Die erforderlichen 100.000 Unterschriften für eine Volksabstimmung zum haben die Initiatoren bereits erreicht. Bald wird landesweit abgestimmt. Das Ergebnis ist für die Politik bindend.

Und bei uns?

Geht es bei politischer Verbindlichkeit und Mitspracherechten für Bürger*innen ein bisschen verhaltener zu. Daher hat Stefan Schartlmüller die IG Demokratie ins Leben gerufen. „Unser Hauptanliegen ist eine Demokratiereform nach dem Motto: keine Demokratiereform ohne das Volk selbst.“ Dringend bräuchten wir einen Dialog zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Schartlmüller spricht sich für eine Projektpolitik statt Parteipolitik aus. Jedenfalls aber gehöre der Parlamentarismus um eine direkte und partizipative Bürger*innenmitsprache ergänzt. Zum Beispiel nach isländischem Vorbild. „Dort hat sich die Bevölkerung am Höhepunkt der Krise 2011 innerhalb von vier Monaten eine neue Verfassung gegeben.“ Das Ergebnis sei durchaus herzeigbar. Hohe Bürger*innenbeteiligung, Transparenz und Internetkommunikation waren dabei wesentlich. „Leider ist der isländische Verfassungskonvent bei uns oft nicht einmal Verfassungsexperten bekannt“, sagt Schartlmüller. Ein Schritt in die richtige Richtung sei aber zuletzt in Vorarlberg mit dem BürgerInnen-Rat zum Thema Bildung gelungen.
Auch Tassilo Seidl-Zellbrugg von der IG-EuroVision und Vertreter der Initiative „Volksgesetzgebung jetzt!“ fordert eine Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie: „Wir brauchen eine Volksgesetzgebungssäule und ein Mediengesetz, das für ausgewogene Pro- und Contra-Darstellung sorgt.“

Teil 2:

 

Europa auf dem Weg zu „Vereinigten Staaten“?

Bemerkenswert bereits das Eintreffen von Ulrike Lunacek zu Beginn des zweiten Teils der Veranstaltung. Bei 35 Grad im Schatten ist die EU-Abgeordnete der Grünen vom 2. Bezirk herauf nach Ottakring geradelt. Nach ein paar Schlucken Wasser eröffnet sie die nächste Diskussion am Podium: „Angesichts der europäischen Probleme im Süden, wie Aufstand, Jugendarbeitslosigkeit und Staatsschuldenkrise in Spanien, Griechenland oder Zypern ist unklar, ob das Friedensprojekt Europa heute noch hält.“ Gemeint sei vor allem der soziale Frieden, für den Wohlstand, Menschenrechte und gute Standards im Arbeitsrecht Voraussetzungen seien. Zwar hätten wir seit 70 Jahren keinen Krieg mehr im EU-Raum gehabt – und dies sei in der Geschichte Europas einmalig – , betont Lunacek, aber die Abwesenheit von bewaffnetem Krieg allein sei für den Frieden, wie wir ihn uns wünschen, nicht ausreichend.

Bedrohungsimage.

Breite Teile der Bevölkerung würden Europa heute als Bedrohung, statt als Hoffnung wahrnehmen, bemerkt die Abgeordnete. „Daher kann Europa so nicht bleiben, sondern braucht eine Änderung. Andernfalls wird das Friedensprojekt endgültig scheitern.“ Für diese Änderung seien Menschenrechtsstandards ebenso wichtig wie ökologische Standards.

Strukturen, Macht und Verfassungskonvent.

Der EU-Apparat sei derzeit zu stark von hemmenden Strukturen und undemokratischen Machtbefugnissen geprägt. So könne Sinnvolles oft nicht durchgesetzt werden. Ein Problem zum Beispiel sei der mit zu viel Macht ausgestattete, „konsenssüchtige“ Ministerrat: „80 Prozent der Gesetze beschließen wir mit dem Rat. Wir haben das Recht die Kommission zu wählen, aber der Rat macht die Gesetze“, erklärt Lunacek. Daher brauche das Europa-Parlament mehr Macht gegenüber dem Rat. Auch könne das Parlament immer nur auf Vorschläge der Kommission warten. Daher schlagen die Grünen vor, das Europa-Parlament solle direkt gewählt werden können. Konkret bedeutet das,  EU-Abgeordnete einzelner Länder sollen nicht nur in ihren Ländern, sondern mittels europaweiter Wahllisten in allen EU-Ländern gewählt werden können.
„Dazu braucht es einen neuen Verfassungskonvent und eine Demokratisierung europäischer Institutionen“, fordert Lunacek. „Parallel muss die Zivilgesellschaft einbezogen werden.“

Mehr Macht dem Volk!

Tamara Ehs vom Institut für Wissenschaft und Kunst in Salzburg plädiert dafür, „dem Volk die Macht wieder zurückzugeben“. Auch früher schon waren die Wirtschaften einzelner Staaten verflochten, und es gab lange Zeit keine bewaffneten Kriege. Das hält aber nur, „solange es allen gut geht“. Das sei jetzt zunehmend nicht mehr der Fall: „Wir haben heute eine Sozial- und Solidaritätskrise.“ Spanien und Istanbul zeigen, es braucht eine neue Anrufung des Volkes.
Durch die Vetorechte der Staats- und Regierungschefs und die damit verbundene Macht, stoße aber der Grüne Vorschlag eines neuen Verfassungskonvents bereits an Grenzen, kritisiert Ehs.
Lunacek entkräftet, indem sie auf die Forderung nach einer europäischen Volksabstimmung verweist. Zählen dürften nur mehr die Mehrheit der Länder und die Mehrheit der Bevölkerung; der Einspruch einzelner Länder würde ungültig. Die Europa-Abgeordnete demonstriert die Macht einzelner Staaten anhand eines Beispiels: „Die Finanztransaktionssteuer hängt seit Jahren, weil einzelne Staaten nicht mitmachen.“ Belastend hinzu komme die konservative Mehrheit von Rot-Schwarz im EU-Parlament.

Nationalstaatlichkeit.

Zur Nationalstaatlichkeit der Mitgliedsstaaten äußert sich Lunacek kritisch. Egal, ob wir nur von Regionen oder von ganzen Staaten sprechen, das Denken in regionalen Grenzen sei vor allem in Krisensituationen Nährboden für rechte Populisten. Ein weiterer Grund, warum Mitgliedsstaaten in ihrer Macht beschnitten gehören. Dadurch würde ein Weg mehr in Richtung „Vereintes Europa“ anstatt „Vereinigter Staaten von Europa“ nach US amerikanischem Vorbild frei.

„Raumschiff Erde“

Wolfgang Pekny von der Initiative Zivilgesellschaft und Geschäftsführer der Plattform Footprint deklariert sich ebenfalls als „kein Fan von einem United States-Konzept wie in den USA“. Laut dem studierten Chemiker und Biologen gehören die Probleme heute auf globaler Ebene mit „globalem Verstand“ gelöst. Dieser entspreche etwa dem berühmten Hausverstand. Doch sei der besonders schwer zu erreichen, denn: „99,9 Prozent unserer Menschheitsgeschichte war unser Bezugsrahmen Familie und Höhle. Daher fehlt uns jedes Gespür für Globales.“
Pekny spricht von einer „souveränen Weltgemeinschaft“ im „Raumschiff Erde“. Sein Ansatz zielt darauf ab, „mit unseren letzten noch verbliebenen Ressourcen schonend und vernünftig hauszuhalten“. Denn: „Würden alle Menschen auf der Welt so ressourcenintensiv leben wollen wie wir, bräuchten wir drei Planeten.“
Maßstab sei ein „globaler Kategorischer Imperativ“, der besagt: „Meine Freiheit endet dort, wo es für andere unmöglich wird, zu überleben“. Die einfache Rechnung lautet also: „Alles, was an Ressourcen da ist, dividiert durch die Weltbevölkerung.“
Welche politischen Strukturen brauchen wir dazu? „Ein globales Verfassungsrecht mit sozialen und ökologischen Standards“, meint Pekny.

Politik, Wirtschaft, Kultur, Finanzen.

„Zuerst müssen wir die Machtfrage in Europa lösen“, erklärt Josef Zeisel von der IG-EuroVision in der dritten und letzten Runde am Spätnachmittag. Erst wenn sie demokratiepolitisch zufriedenstellend gelöst ist, ergibt es Sinn, sich auf Soziales, ökologische Standards und alles Weitere zu konzentrieren. Zeisel weist auf die vertikale Gewaltenteilung in Europa hin: „Politik, Wirtschaft, Kultur, Finanzen und zunehmend Kommunikation und Internet sind jene Felder, auf denen sich die EU in Gestalt von politischer Union, Wirtschafts-, Finanz- und Kulturunion bewegt.“ Es sei kein Zufall, dass auch die Medien nach diesen Bereichen gegliedert sind, macht Zeisel aufmerksam. Allmählich sei es aber dringend geboten, diese politisch vertikal gegliederten Bereiche auch horizontal durch eine volkssouveräne Selbstverwaltung zu ergänzen.

Gleichgewichtswirtschaft statt Exportweltmeister.

Pekny weist darauf hin, nach dem zweiten Weltkrieg war Wachstum ein probates Mittel zu Wohlstand zu kommen. Inzwischen hätten sich die Zeiten geändert: „Unsere reife Volkswirtschaft braucht heute kein Wachstum mehr, sondern vielmehr ein Schrumpfen.“ Der Wettbewerb um den Titel „Exportweltmeister“ sei genauso falsch wie irreführend, beklagt Pekny. Denn in einer globalen Ökonomie brauchen wir eine Gleichgewichtswirtschaft. Eine globalisierte EU müsse hinsichtlich globaler Wachstums- und Rechtsstandards allerdings hinterfragt werden. Denn diese fehlten zurzeit.

Das letzte Wort hat nach so viel Denken und Diskutieren die Kunst: Die Musizierenden der Freien Musikschule Wien bezaubern mit ihrem Europa-Konzert und entlassen das Publikum in eine klangvolle Sommernacht.

Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.

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