Politische Lieder machen Geschichte hörbar.

GBW
Jede politische Bewegung hat ihre Musik, ihre Lieder. Sie kritisieren politische Entwicklungen und drücken Wünsche, Perspektiven und Hoffnungen aus: auf eine andere, bessere und gerechtere Gesellschaft. Musik bleibt im Gedächtnis haften und prägt Generationen.
Deshalb wurde bei der Veranstaltung der Grünen Senior*innen Wien und der Grünen Bildungswerkstatt Wien nicht nur zugehört, sondern auch mitgesungen – viele verbinden mit den Liedern auch ihre eigene Geschichte.
Vom Kampf gegen den Faschismus bis zum „neuen Frühling“.
Lieder wie „Die lebenden Steine“ und „Die Moorsoldaten“ zeugen vom Schrecken in den Konzentrationslagern, aber auch von der Hoffnung, dass er nicht für immer währt. „Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann's nicht Winter sein. Einmal werden froh wir sagen: Heimat du bist wieder mein.“ heißt es im Lied „Die Moorsoldaten“. Um 1940/41 im KZ Mauthausen getextet, beschwört das Lied „Die lebenden Steine“ trotz des Schreckens den Glauben und die Liebe zur Menschheit, um nach einem Ende des Faschismus eine neue Gesellschaft aufzubauen: „Wir Sklaven müssen doch glauben an Menschen, Menschen und Liebe ...“ Am 5. Mai 1945 befreiten die Alliierten das KZ Mauthausen und bereiteten den Boden für einen Neuanfang. An diesem hatte der Widerstand der Partisan*innen einen bedeutenden Anteil. „Bella Ciao“ ist das wohl bekannteste Lied, das von diesem Freiheitskampf kündet.
Das Lied „Ein neuer Frühling“ macht den Zeitenwechsel hörbar. In der Emigration umgeschrieben und vom Chor der Gewerkschaftsjugend bekannt gemacht, drückt diese Version eines alten deutschen Schlagers den neuen Optimismus nach Diktatur und Krieg aus. „Es erinnert an deutsche Heimatfilme“, teilt eine Veranstaltungsteilnehmerin ihren Eindruck mit. Und tatsächlich stand nach Ende des Krieges politisch die Suche nach Harmonie im Vordergrund, wie Peter Grusch erläutert: „Die heimgekehrten KZ-Häftlinge hatten sich geschworen, das Trennende beiseite zu schieben und vieles in gemeinsamen Organisationen zu machen.“ Entstanden seien vor allem drei Organisationen, führt Grusch aus: der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), eine Vereinigung der ehemaligen KZ-Häftlinge und Widerstandskämpfer*innen und die Freie Österreichische Jugend (FÖJ).
„Frohen Mutes bau'n und zimmern wir uns eine neue Welt.“ So vermittelt das „Lied der Gewerkschaftsjugend“ die Hoffnung und Zuversicht, solidarisch eine neue Gesellschaft zu errichten. Die Zusammenarbeit hielt jedoch nicht lange, so Grusch. Schon nach wenigen Monaten stiegen viele parteinahe Gruppierungen aus der überparteilichen FÖJ aus und belebten wieder ihre eigenen Jugendorganisationen – ihre eigenen Lieder natürlich im Gepäck. „Übrig geblieben sind nur einige KP-Jugendliche, linkssozialistische Jugendliche und einige Parteilose.“ Trotzdem sei es bis Ende der 1950er wahrscheinlich die größte Jugendorganisation in Österreich gewesen, schätzt Grusch.
Wo sind die Arbeiterinnenlieder?
„Und wer das Herz voll Feuer hat, sich mannhaft zu uns stellt.“ fordert das Lied „Steh auf, du Jugend der Fabriken!“ von der Katholischen Arbeiterjugend. Von Frauen und Arbeiterinnen ist kaum die Rede, wird vom Publikum – in der Mehrzahl Frauen – anhand dieses Beispiels in die Diskussion gebracht. „Es ist das Problem bei den ganzen Arbeiterliedern. Es gibt in den Liedern der Arbeiterbewegung mit ganz wenigen Ausnahmen nichts, wo es Kameradinnen oder Genossinnen gibt“, bestätigt auch Grusch. Es habe zwar 1848 in Wien schon einen Frauenverein gegeben und auch in Frankreich wären viele Frauen politisch aktiv gewesen, so Grusch, „aber in den Liedern hat es sich nicht niedergeschlagen. In Amerika war es besser.“ Als Beispiel dient das Lied „Brot und Rosen“, das vermutlich 1912 während des Kampfs von Textilarbeiterinnen in den USA entstand und zum Motto der internationalen Frauenbewegung wurde.
Wo sind die neuen Lieder?
Die traditionellen Jugendorganisationen verlieren in den 1950er Jahren an Mitgliedern und immer weniger neue Lieder entstehen. Häufig übernahm die österreichische Arbeiter*innenschaft Lieder aus der DDR und anderen „Bruderstaaten“, erläutert Grusch und spielt als Beispiele „Das Lied der Partei“ und „Stalin – Freund, Genosse“. Dass Arbeiterlieder meist nur noch an hohen Feiertagen gespielt wurden, führt er darauf zurück, dass Fragen um grundsätzlichen Wandel in den 1950er Jahren Tabu waren. Die Menschen hörten eher inhaltsleere Schlager oder Rock'n Roll.
Doch mit den politischen Ereignissen ab Mitte der 1960er Jahre beginnt eine neue Ära der politischen Lieder. „Tot sind unsere Lieder, unsre alten Lieder“ singt Franz Josef Degenhardt in „Die alten Lieder“. Doch eine neue Liedermacher*innenszene entsteht, die aktuelle politische Themen aufgreift und die Bürgerrechts- und Friedensbewegung begleitet. Auch in Österreich entstehen neue Gruppen. „Es ging dabei darum, das Lied zu einer Waffe im politischen Kampf zu machen“, so Grusch. Die Proteste gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf etwa sind ohne die Vielzahl an „Anti-AKW Liedern“ kaum zu denken.
„Das Arbeiterlied lebt, aber es ist im Wandel“.
Die 1990er Jahre passiert musikalisch wenig, erläutert Grusch. „Aber das Arbeiterlied ist nicht tot.“ Bei Organisationen der Sozialdemokratie, der Kommunisten, der Grünen und der Gewerkschaften werde es immer noch gesungen. Die letzten Jahre würden Arbeiterlieder auch wieder neu aufgelegt, führt er weiter aus. „Das Arbeiterlied lebt, aber es ist immer im Wandel.“ Als Beispiele gibt es ein Lied gegen die damalige Schwarz-Blaue Regierung zu hören und den „Gio Song“, der 2009 anlässlich der Studierendenproteste entstanden ist.
Weder gehen die Anlässe zu protestieren verloren, noch stirbt der Wunsch nach einer besseren Gesellschaft. So werden alte Lieder wohl weiter gesungen und neue geschaffen werden.
Der Autor, Raphael Kiczka, ist Sozial- und Politikwissenschaftler und Mitglied des GBW- Redaktionsteams.