Populismus definieren – Eine Wissenschaft für sich.
„Ein Gespenst geht um auf der Welt – Populismus.“ Das war das erste, was der Politologe Jan-Werner Mueller von der Universität Princeton die Hörer*innenschaft am 25. November bei seinem bis auf den letzten Platz belegten Vortrag wissen ließ. Freilich war das Eingangszitat metaphorisch gemeint und nicht auf die heimelige Bibliothek des IWM bezogen. Auch nicht auf die schaurig kalten Straßen Wiens, erstaunlicherweise nicht einmal auf Österreich und weder auf dieses, noch auf die letzten Jahre. Woher das verkappte Marx-Zitat tatsächlich stammt? Natürlich aus einer sozialwissenschaftlichen Konferenz anno 1967 zum Thema Populismus.
Populismus-Definition: Fehlanzeige.
Schon damals kamen die Wissenschaftler*innen zu einem eindeutigen Ergebnis in puncto Definitionsversuche des Phänomens Populismus: es gibt keine. Zumindest keine allgemein anerkannten und das gilt bis heute, fügt Mueller hinzu. Populismus sei insofern ein recht eigentümliches Phänomen. Niemand würde wohl leugnen, dass es so etwas wie Populismus gibt. Trotzdem gibt es weder eine geradlinige politische Tradition des Populismus, noch ein populistisches Manifest, geschweige denn eine Art populistische Internationale. „Wenn wir von Populismus reden, sprechen wir eigentlich oft von etwas anderem“, sagt Mueller. „Populismus scheint ein Begriff zu sein, in dem sich alle möglichen politischen Ängste kristallisieren.“ In den späten 1960er Jahren sagten viele Leute Populismus und meinten eigentlich Dekolonialisierung, Maoismus, Kommunismus und noch vieles mehr. Auch heute noch treffe dieses Muster zu, sodass politische Parteien jeweils das Populismus schimpften, was aus ihrer Perspektive gefürchtet ist. Demokrat*innen in den USA würden dabei beispielsweise auf die Gefahr einer liberalen Technokratie verweisen, während Liberale vor einer zunehmend illiberalen Demokratie warnen.
Das Pferd von hinten aufgezäumt: Was Populismus nicht ist.
Um der Frage was Populismus denn nun ist, etwas näher zu kommen, erklärt Mueller, was es alles nicht ist. Zunächst widerspricht er der Idee, populistische Parteien markierten eine Art gesellschaftliche Klasse oder Gruppe, festzumachen beispielsweise an der Einkommenshöhe, dem sozialen Status, Berufsstand, Bildungsniveau oder ähnlichem. Dies sei aus empirischer Sicht schlicht und ergreifend nicht haltbar. Eine Ausnahme betont der Politologe jedoch mit Nachdruck. Das einzig durchgängige Muster bei Unterstützer*innen populistischer Parteien ist, dass die überwiegende Mehrheit davon männlich ist.
Zweitens zerstreut Mueller die Vorstellung, dass populistische Bewegungen immer als eine Art soziales Ressentiment zu erklären seien – das heißt von Menschen getragen werden, welche aus verschiedensten Gründen ihren sozialen Status gefährdet sehen. Nichtsdestotrotz wird eingeräumt, dass natürlich viele populistische Parteien auf dieser Basis ihren Ausgang nehmen. Trotzdem aber sei das Anprangern sozialer Missstände keineswegs eine rein populistische Agenda.
Einen dritten Irrglauben sieht Mueller in der Annahme, Populismus lasse sich anhand politischer Inhalte und Qualität (oder deren Fehlen) erkennen. Gilt landläufig auch die Meinung, Populismus sei an den einfachen, schwarz-weiß gezeichneten Universallösungen zu erkennen, gibt es doch das Problem, dass niemand eine trennscharfe Linie zu ziehen vermag. Wer kann sagen, was eine zu einfache Politik ist und was nicht?
Des Rätsels Lösung: Was ist Populismus?
Nachdem Jan-Werner Mueller sein gespanntes Publikum gekonnt um den heißen Brei ausführte und mit Tacheles hinterm Berg hielt, gab er nun seine zunächst etwas kryptisch wirkende Definition von Populismus: „Populismus ist ein bestimmtes Verständnis von Politik, eine bestimmte Art, sich Politik vorzustellen. Es ist eine symbolische Repräsentation davon, was Politik ist und es ist immer moralisierend und monistisch.“ Was diese Definition bedeutet, wird in den weiteren Ausführungen schnell klar. Ausgangspunkt sei immer ein einheitlicher, authentischer, moralischer und legitimer Bevölkerungskern, der gegen verschiedenste Minderheiten sein Recht und den Anspruch auf Allgemeingüter behaupten müsse. Es muss in dieser Logik also immer Andere geben, welche nicht zu diesem schwammigen Wir gehören. Das „legitime Volk“ sei für Populist*innen somit niemals gleichzusetzen mit der Summe aller innerhalb bestimmter Grenzen ansässiger Menschen. Das erste was populistische Parteien konsequenterweise immer und überall tun (müssen), so Mueller, ist es, Außenseitergruppen zu bestimmen.
Ob Populismus automatisch eine rassistische Komponente habe, wird aus dem Publikum gefragt? Nein, antwortet Mueller. Auch abseits rassistischer Aspekte ließen sich genügend Kategorisierungen vornehmen. Diese Logik gilt sowohl für linken, wie rechten Populismus. Lediglich die Anderen seien dabei jeweils andere (korrupte Eliten, Sozialschmarotzer*innen, Sesselkleber*innen, et cetera).
Wir sind alle. Ihr seid nicht wir.
Ein Punkt in dem sich die vielfältigen und unterschiedlichen populistischen Bewegungen allesamt treffen, ist die Ablehnung jeglichen Pluralismus. In der populistischen Logik, wie sie der Princeton Professor anschaulich darlegte, ist nur Platz für ein einziges, einheitliches, authentisches Wir. Damit ist gleichzeitig jegliche legitime Opposition ausgeschlossen. Wir sind immer (eigentlich) die 100 Prozent.
An Beispielen populistischer Slogans hat es Jan-Werner Mueller übrigens nicht mangeln lassen. Weder dies- noch jenseits des großen Teichs, der Alpen oder der Donau.
Viel Spaß beim Selbersuchen.
Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.