Postwachstumsökonomie: Befreiung vom Überfluss.
GBW
Schon im Vorfeld der Veranstaltung wurde klar, der riesige Kuppelsaal ist den über 500 Anmeldungen nicht gewachsen. Dank ZIGE TV konnten Interessierte den Abend via Live-Stream in einem Nebenraum mitverfolgen. Wegen des enormen Besucher*innenandrangs gab es diesmal auch keine Publikumsdiskussion. Was dem spannenden Vortrag Paechs und der anschließenden Podiumsdiskussion aber keinen Abbruch tat.
Gespensterdebatte: Grüne Innovation.
„Unser Wohlstandsmodell, geprägt von Konsum, Technik und Mobilität, ist unumsetzbar geworden“, beginnt Paech. „In Europa leben wir in einer Wachstums- und Konsumdiktatur.“ Wer nicht an Wunder glaubt, müsse Wirtschaft neu denken – unabhängig vom bisherigen Wachstumszwang. Grüne Innovation sei eine Gespensterdebatte: „Diese Wahl haben wir nicht.“ Daher brauche es ein neues Kulturmodell der Suffizienz, einer ökonomischen Theorie der Genügsamkeit. „Im Zentrum steht die Befreiung vom Überfluss“, sagt Paech. Ob „by design oder by disaster“ sei dabei egal, angesichts endlicher Ressourcen jedenfalls aber unausweichlich, so der Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt. „Ohne Reduktion unserer Ansprüche ist eine Zukunft undenkbar.“
Reduktion statt Wachstumsstress.
„Reduktion kann Selbstschutz bedeuten“, sagt Paech. „Durch Reduktion entstressen wir unser Leben.“ Denn auch unsere „psychischen Wachstumsgrenzen“ hätten wir längst erreicht. Paech verweist auf den Umstand, dass sich zwischen 2000 und 2010 in Deutschland der Konsum von Antidepressiva verdoppelt habe. „Das waren die Jahre von Amazon, Ebay und Ryan Air, die durch ihr Wachstum und ihre Dumpingpreise allen einen höheren Nutzen gegeben haben“, meint Paech. Und ausgerechnet in diesen Jahren seien psychische Leiden, Burnout und Aufmerksamkeitsstörungen in die Höhe geschnellt. Zugleich sei die Arbeitswelt schneller geworden.
Glücksfaktor Zeit statt Konsumverstopfung.
„Wir haben das Zeitalter der Konsumverstopfung erreicht“, rast Paech weiter durch seinen Vortrag. „Jeder Konsum kostet Zeit. Egal ob ich Angebote sondiere, Flugzeit im Flieger nach Thailand verbringe oder Bier trinke.“ Weil der Tag aber nur 24 Stunden habe und die meisten davon mit Arbeit, Körperpflege und Kinderbetreuung belegt seien, bleibe letztlich auch zu wenig Zeit für den Konsum. Das führe zu „Konsumstress“ als psychische Krankheitsursache.
Paech spricht sich in der Postwachstumsökonomie für eine radikale Reduktion der Arbeitszeit aus: „Wo steht geschrieben, dass wir 40 Stunden arbeiten müssen?“ Bei einer 20-Stunden-Woche hätten wir die anderen 20 Stunden Zeit Brot zu backen, zu nähen, Fahrräder und Computer zu reparieren, unseren Nachbarn zu helfen. „Zeit kann als Ressource für Selbstversorgung genützt werden.“
Drei Versorgungsmöglichkeiten.
„Angebotsseitig haben wir nur drei Möglichkeiten der Versorgung auf der Erde“, erklärt Paech. „Erstens das entgrenzte Industriemodell, zweitens regionalökonomische Produktion und drittens die Subsistenz, sprich alles selber machen.“ Diese drei Möglichkeiten gelte es auszubalancieren. Dazu seien handwerkliche Kompetenz, Zeit und Vernetzen mit anderen nötig: „Weil ja nicht jeder alles kann oder sämtliche Werkzeuge besitzt.“ Eigene Produktion könne im Gemeinschaftsgarten funktionieren. Gemeinschaftsnutzung wäre zum Beispiel das Ausborgen einer Bohrmaschine vom Nachbarn. Und Einwegprodukten solle längere Nutzung durch Reparatur vorgezogen werden. Sukzessive würden all diese Schritte zur Substitution entgrenzter industrieller Produktion und in eine ressourcenschonende Postwachstumsökonomie führen.
Auswege Grünes Wachstum und Energiewende?
„Grünes Wachstum ist nicht möglich“, räumt Paech mit von Politiker*innen gerne verkauften Illusionen auf. Auch die Energiewende sei gescheitert. Nachhaltige Energieversorgung mit erneuerbaren Energien gehe nicht ohne Ressourcen- und Landschaftsverbrauch. „Die Energiewende liefert zum Beispiel keine Antwort auf Flug- oder Schiffverkehr.“ Braunkohle nehme immer noch zu in Deutschland. Gas, Öl und Kohle seien nach wie vor am bedeutendsten. „Daher ist eine reduktive Gestaltung durch Deindustrialisierung und Deglobalisierung der einzige Ausweg in eine reduktive Moderne“, bringt Paech es auf den Punkt. Auch, weil Wachstum das Volkseinkommen und somit die Kaufkraft steigert. Was wieder vermehrten Konsum zur Folge habe.
Ganz zu schweigen vom Zwei-Grad-Klimaziel: Das sei laut Paech schon jetzt nicht erreichbar. Dazu bräuchte es allein in Deutschland eine Senkung von derzeit 11 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr auf 2,7 Tonnen. Zur Verdeutlichung: „Die Flugstrecke Frankfurt-New York verursacht pro Kopf 4,25 Tonnen CO2, ein Flug von Deutschland nach Neuseeland 14,5.“ Paech selbst fährt Rad oder Bahn.
Wachstum oder Arbeitszeitreduktion gegen Arbeitslosigkeit?
„Wie geht´s Ihnen nach diesem Vortrag?“, eröffnet Plass die Diskussion. Aiginger antwortet überzeugt, Wachstum sei das wichtigste Mittel gegen Arbeitslosigkeit. „Mir ist Vollbeschäftigung durch Wachstum und die Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Europa wichtiger als die Klimaziele.“ Soziale Unruhen gebe es wegen der hohen Arbeitslosigkeit und nicht wegen dem CO2. Paechs Ziel, die Befreiung vom Überfluss, sei daher nicht vordringlich.
Paech kontert, durch Arbeitszeitverkürzung würde Arbeit gerechter verteilt. Doch das lässt Aiginger nicht gelten: „Die Menschen wollen Vollzeit arbeiten, weil sie das Geld wollen.“ Denn Glück sei „nicht immer, aber oft schon“ vom Einkommen abhängig.
Paech meint, wir müssten endlich aufhören, 20-Stunden-Arbeitende als „Leistungsverweigerer“ abzustempeln. Er sieht einen kleinstufigen, freiwilligen und schmerzfreien Übergang dorthin in den nächsten 10 bis 15 Jahren. Denn seiner Meinung nach schafft Wachstum keine Arbeitsplätze sondern Rationalisierung.
Grünes Wachstum für Eliten.
Fehlinger erklärt, bei Attac sieht man Grünes Wachstum als Krisenbewältigung der Eliten. „Es geht um Investitionsmöglichkeit in Natur. Ziel ist es, Natur zur Ware zu machen und zu verkaufen.“ So würde etwa der Regenwald als Handelsobjekt betrachtet oder das Staudammprojekt Belo Monte in Brasilien vor allem wirtschaftlichen Interessen dienen. Grünes Wachstum sei daher keine Option.
Dass Wirtschaft wachsen muss, liege daran, dass Unternehmen Gewinne machen wollen, so die 26-jährige Jungbäuerin weiter. Daher sei eine Entmonetarisierung der Wirtschaft zugunsten von Subsistenzwirtschaft und gemeinschaftlicher Nutzung anzustreben.
Grüne Wirtschaft
Und die Politik?
„Welche Hoffnung setzen Sie in die Politik?“, fragt Plass am Schluss. „Absolut gar keine“, gibt Paech unverhohlen zu. „Eine reduktive Moderne ist nicht vorgesehen, eine Strategie der Genügsamkeit politisch nicht verkaufbar.“ Die Menschen hätten Verzicht nie geübt.
Fehlinger vermisst große Konzepte in der Politik. „Neue Konzepte werden nur in Sozialen Bewegungen entwickelt.“ Dort würden Projekte der Solidarischen Ökonomie ausprobiert – und vielleicht eines Tages von der Politik übernommen.
Auch Aiginger bekennt, ein Kurswechsel sei nötig, und überrascht: „Dazu brauchen wir Vordenker wie den Herrn Paech – aber auch die politischen Parteien. Wir wollen Herrn Plass zum Bundeskanzler machen!“ Doch der lacht und winkt sofort ab.
Die Veranstaltung fand in Kooperation von Grüner Bildungswerkstatt, Grüner Wirtschaft und Attac Österreich statt.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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