Protest-Einmaleins: Social Media und Öffentlichkeitsarbeit.

GBW
Pünktlich um 17:30 Uhr begrüßt GBW-Vorstand Gerd Valchars Publikum und Vortragenden: „Philipp Sonderegger war lange Sprecher von SOS Mitmensch. Momentan arbeitet er unter anderem für die Wienwoche. Er ist ein bunter Hund in allen Gassen und soll sich am besten selbst vorstellen.“ Das tut Sonderegger auch gleich und betont dabei, dass er vor allem „Menschenrechtler“ sei. Im Anschluss treten Menschen aus Grünen Bezirksorganisationen, NGOs und Privatpersonen in einer kurzen Kennenlernrunde aus ihrer Anonymität hervor und freuen sich auf einen informativen und lehrreichen Abend.
Was ist Öffentlichkeitsarbeit?
Zum Auftakt zeigt Sonderegger ein Bild, auf dem Polizeibeamte einen am Boden liegenden Demonstranten wegzerren. „Ist das Öffentlichkeitsarbeit?“, fragt Sonderegger. Einige Mutige wagen sich vor: „Ja, weil so ein Bild durch die mediale Öffentlichkeit geht.“ „Nein, weil das ist ein zufälliger Schnappschuss, der nicht für die Öffentlichkeit geplant war.“ „Ja, das ist Öffentlichkeitsarbeit, weil die Polizei will damit ganz bewusst zeigen, dass sie durchgreifen kann.“
Sonderegger sagt weder ja noch nein, nur so viel: Es gebe viele Begriffe für Öffentlichkeitsarbeit. Charakteristisch für politische Kampagnen sei jedenfalls, dass das Produkt die Öffentlichkeit sei. „Wenn zum Beispiel eine Ministerin weg soll und dazu eine Demonstration gemacht wird, ist das Produkt die Öffentlichkeit. Im Unterschied zur herstellenden Industrie: Da ist das Produkt nicht gleichzeitig die Öffentlichkeitsarbeit.“
Nach Sondereggers Erfahrung scheitert Öffentlichkeitsarbeit hierzulande vor allem an mangelnder strategischer Planung. Bei der Planung sei wichtig zwischen politischen und operativen Zielen zu unterscheiden. Dass eine Ministerin weg solle, sei ein politisches Ziel. Dazu eine Demo zu machen, ein operatives.
Kampagne.
Die Kampagne sei ein Beispiel für strategische Öffentlichkeitsarbeit. Dabei seien folgende Fragen zentral: „Was ist das Problem? Was ist die Lösung? Was tragen wir als Organisation dazu bei? Was kann jeder einzelne tun? Und was hat er davon?“ Je konkreter sich jede*r einzelne von diesen Fragen angesprochen fühle, umso besser gelinge die Mobilisierung.
Auch Relevanz des Anliegens, Ressourcen und Netzwerke spielen eine wichtige Rolle. NGOs müssten sich meist auf Netzwerke verlassen, da ihnen im Normalfall finanzielle Ressourcen fehlten.
Bezüglich Berichterstattung gelte: „Man kommt umso eher in die Medien, je eindeutiger Journalisten das Thema einem speziellen Ressort zuordnen können, je besser das Thema gerade in den redaktionellen Ablauf passt und, wenn es im Rahmen einer Kontinuität Überraschendes zu berichten gibt.“ Auch Promis helfen, in die Medien zu kommen, weiß Sonderegger. Und wenn das Thema Betroffenheit hervorrufe, wie etwa eine Überflutung.
Klicks, nicht-triviale Maschinen und Eigengesetzlichkeiten.
„Mobilisieren gelingt, wenn klare Kommunikation zuerst mich selbst mobilisiert“, sagt Sonderegger. „Damit bin ich in der Lage, mein Umfeld zu überzeugen, was wiederum viele Klicks auf Facebook bringt, sodass das Thema letztlich auch für Massenmedien relevant wird.“ Er nennt eine kritische Klickzahl von 500, ab der sich einige Medien zu interessieren beginnen. Aber auch über besondere Twitter-Hashtags wie „#Aufschrei“ könne Medienpräsenz gelingen. Nicht zuletzt, weil viele Journalist*innen sich auf Twitter tummeln. Der Menschenrechtler fügt hinzu: Bei Netzwerken und Menschen handle es sich nach dem Physiker Heinz von Foerster um sogenannte nicht-triviale Maschinen. „Wegen ihrer Eigengesetzlichkeiten ist ihr Output nicht vorhersehbar.“ Sonderegger vergleicht sie mit einem Fischschwarm. Auch hier sei nicht vorhersehbar, in welche Richtung der Schwarm sich im nächsten Moment bewegen werde. Triviale Maschinen hingegen folgten dem Muster Command-Control; ihr Output sei steuer- und vorhersehbar.
Fünf Kniffe.
Der Experte erklärt fünf Kniffe, wie man „Fische“, sprich Aktivist*innen, für ein Anliegen gewinnt:
1) Erzähle eine gute Geschichte
2) Sei einprägsam: Zum Beispiel durch plakative Bilder und selbsterklärende Namen.
3) Sei nett: Stelle Aktivitäten auf Alltagshandlungen ab, zum Beispiel Biertrinken.
4) Mach dich verzichtbar: Die Organisation muss auch ohne dich laufen.
5) Bleib neugierig: In welchen Lebenslagen befinden sich die zu mobilisierenden Menschen? Lerne die Fische kennen, und werde ein Schwarm.
Scheitern und Fehlermanagement.
Auf die Frage, was die häufigsten Gründe für das Scheitern von Kampagnen seien, antwortetet Sonderegger: „Beteiligte verlieren mit der Zeit die Lust, weil es an strategischer Planung und oder Ressourcen mangelt.“ Offenes Fehlermanagement sei besonders wichtig, fügt er hinzu.
Was ist Social Media?
Ein jüngerer Teilnehmer wirft die Frage auf, was der Begriff Social Media genau umfasse. Die Meinungen gehen in einer 20-minütigen Diskussion auseinander. Facebook, Twitter, Instagram, meinen einige, das Internet in seiner Gesamtheit, sagen andere. Oder: Soziale Medien seien asynchrone Instrumente, die auf Gegenseitigkeit beruhen. „Ohne Facebook geht gar nichts mehr“, konstatiert eine Teilnehmerin. Sie erhält relevante Infos über Facebook. Ein längerer Ausstiegsversuch sei gescheitert, weil wichtige Infos sie nicht mehr erreicht hätten.
„Bieten Internet und Social Media neue Qualitäten?“, fragt Sonderegger. „Und wenn ja, welche?“ Die Teilnehmenden einigen sich auf folgende Qualitäten: relativ niederschwellig, viel Information auf wenig Platz im Vergleich zu Büchern, unabhängig von Ort und Zeit, schnell und einfach, Entgrenzung. Kritisch sehen sie eine Anfälligkeit für Hypes, Flüchtigkeit und potentielle Informationssucht.
Workshops.
Im zweiten Teil ziehen sich die Teilnehmenden in vier Arbeitsgruppen zurück, um anhand konkreter Aufgabenstellungen das heute Gelernte zu üben. Eine Gruppe entwirft ein Herz-Sujet für die Wienwoche zum Migrationsmotto „Migrazija-yeah-yeah ...“. Eine andere Gruppe erarbeitet Ideen, wie Jugendliche für die Mitarbeit in einer Grünen Bezirksorganisation gewonnen werden könnten: zum Beispiel durch Events wie Kino, Party oder Silent Disco, die über Facebook beworben werden könnten.
Auf die Minute genau um 21:00 Uhr geht der dritte Termin zur Protest-Einmaleins-Reihe zu Ende. Dann bis zum vierten und letzten Mal am 25. Juni, wenn es heißt: Recht und politischer Aktivismus – mit Jutta Matysek von Greenpeace.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Chefin vom Dienst des GBW-Redaktionsteams.
Links.
Blog Philipp Sonderegger
Buchtipp: Soziale Bewegungen und Social Media