Queeremos. Das System, uns und immer.
Unter dem Titel „Perspektiven der feministischen Ökonomie auf die Krise des Kapitalismus“ lud die Grüne Bildungswerkstatt (GBW) in Kooperation mit dem Institut für Internationale Entwicklung und dem Institut für Politikwissenschaft die Historikerin, Politikwissenschaftlerin und Ökonomin Friederike Habermann zu einem Vortrag am Uni Campus Wien ein. Am darauf folgenden Tag wurde das Gehörte bei einem Workshop in der GBW vertieft und diskutiert.
Die externalisierten Krisen des Kapitalismus.
Bei der Vielfalt der derzeit diskutierten Krisen verliert sich schnell der Überblick. Um Missverständnissen vorzubeugen, bedarf es einer Präzisierung: Nicht um die Krise des kapitalistischen Systems an sich ginge es Friederike Habermann, sondern um jene Krisen, die von ebendiesem System verursacht werden. Habermann spricht diesbezüglich von „externalisierten“ Krisen des Kapitalismus. Sie beruft sich dabei auf Rosa Luxemburg, die als eine der Ersten das Aus- und Einschlussprinzip bestimmter Personengruppen und Lebenssphären als ein Grundmerkmal des kapitalistischen Systems analysierte. Gemäß diesem Gedanken steht das kapitalistische Kartenhaus so lange sicher, solange es auf bestimmten (scheinbar) ausgeschlossenen Bereichen aufbauen kann, aus denen es einerseits Ressourcen abschöpft und in die es sich andererseits immer weiter ausdehnen kann. Dieses Schema dient Habermann als Ausgangspunkt für ihre Krisenaufarbeitung, denn, so die Arbeitshypothese, genau in diesen Bereichen wachsen Krisen heran. Drei Krisenbereichen schenkt Habermann besondere Aufmerksamkeit. Der Umweltkrise: Die durch unser Wirtschaften verursachte Umweltzerstörung ist bereits trauriges Allgemeinwissen. Der Psychokrise: 38 Prozent aller EU-Bürger*innen litten mindestens ein Mal jährlich an einer psychischen Störung. Der Care-Krise: Die buchstäblich (auch für den Kapitalismus) lebensnotwendige Reproduktionsarbeit wird heute entweder unbezahlt von zumeist Frauen und/oder prekär beschäftigten Migrant*innen verrichtet.
Queere Kritik: Meine Identität als Hund hinterfragen.
Um nun eine feministische Kritik auf die angesprochenen Krisen formulieren zu können, bemüht sich Friederike Habermann zunächst um einen Überblick der vielschichtigen Landschaft feministischer Theorieansätze. Grob trennt sie ökologischen, liberalen und queertheoretisch fundierten Feminismus. Auf letzterem liegt das Hauptgewicht ihrer eigenen Beschäftigung mit dem Thema Kapitalismus und den von ihm verursachten Krisen. Dabei legt Friederike Habermann den Fokus dieser queerfeministischen Perspektive auf den Alltag. Auf das, was wir täglich tun und nicht tun. Auf das, was wir sind oder glauben zu sein. Auf Begriffe und Kategorien, die wir alle kennen und ohne weiteres verwenden: Mann, Frau, Arbeit. Alle diese Begriffe und Kategorien sind jedoch Produkt und Instrument bestimmter Herrschafts- und Machtverhältnisse. Der Begriff beziehungsweise das Konzept „Arbeit“ (alias Erwerbsarbeit) sei beispielsweise im Kapitalismus entstanden und zumeist mit Gewalt und/oder institutionellen Verpflichtungen (in Kolonien) eingeführt worden.
„Meine Identität als Hund hinterfragen“, empfiehlt uns daher ein gut frisierter Vierbeiner von einer Powerpoint-Folie herab. Soll heißen: Sich bewusst werden, dass Mensch (wie Hund) unweigerlich ein gesellschaftliches Produkt ist, dass Identität immer mit unserem Kontext verwoben ist und in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis dazu steht. Auch die Neurobiologie unterstütze diesen Gedanken neuerdings anhand der vergleichsweise jungen Disziplin der Epigenetik. „Wir lernen, dass wir uns egoistisch verhalten sollen“, bringt es Friederike Habermann auf den Punkt. Ein Bewusstsein davon erlangen, wer wir sind und was wir alltäglich tun, die Dekonstruktion vertrauter Denkmuster oder kurz (etwas/uns/alles) „queeren“, ist somit der erste Schritt auf dem langen Weg in Richtung Überwindung der vielfältigen, gegenwärtigen Krisen.
Fragend voranschreiten.
Frei nach der Formel: zwei Schritte vorwärts, einen zurück, betont Friederike Habermann die Wichtigkeit des Anders-Denkens und -Tuns im Alltag. Auch in ihrem Konzept der „Halbinseln gegen den Strom“ unterstreicht sie, dass die Verwirklichung alternativer Ansätze und Ideen von grundlegender Bedeutung für gesellschaftliche Veränderungsprozesse ist. Bereits vorab zu wissen, was am Ende heraus kommt, sei keineswegs Voraussetzung. „Es geht darum, emanzipativ zu sein.“ Als Leitplanke fungiere dabei gewissermaßen das Leiden: Weder ich, noch jemand anders sollte idealiter durch mein/unser Tun leiden müssen. Dafür müssten alltägliche und normale Kategorien fortlaufend hinterfragt und aufgebrochen werden. „Es kommt immer darauf an, den Alltag zu erreichen.“
Ein Gegenentwurf: Ecommony.
Wie es anders gehen könnte, beschreibt die selbst in einem Gemeinschaftsprojekt nahe Berlin lebende, freie Wissenschaftlerin in ihrem Konzept namens „Ecommony“. Das Wortspiel aus economy und commons verbindet gewissermaßen die Logik von Allmende-Gütern (frei zugängliche Güter mit gemeinschaftlichem Eigentum) und der Logik der Fürsorgearbeit. Dinge und Dienstleistungen werden dabei bedarfsorientiert produziert, beziehungsweise erbracht und unentgeltlich an den Menschen gebracht. Unentgeltlich allein deswegen, weil Geld und überhaupt die Tauschlogik in einer Ecommony nicht vorgesehen sind (mehr dazu siehe Links).
Links.
Artikel zu „Ecommony“
Halbinseln gegen den Strom
Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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