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Ramsch im kapitalistischen Verwertungssystem.

Am 23. Juni ging es im Depot um Ramsch in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und Verwertungsgesellschaft. Am Podium diskutierten Dennis Eversberg, Sozialwissenschafter an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und Martin Schürz, Ökonom, WU-Lektor und Psychotherapeut.

„Alle wissen es, und doch bleibt es ein Skandal: Das Marktgesetz produziert Ramsch. Er ist logische Folge und paradoxer Ausdruck einer auf Wachstum und Gewinnmaximierung ausgerichteten Wirtschaft. Was Ramsch ist, unterliegt auch gesellschaftlicher Bewertung und wird von Statusordnungen geprägt – bei Staatsschulden ebenso wie bei der Arbeitskraft und damit den Menschen, die sie einsetzen.“

Dieses Zitat entstammt dem Einladungstext zur Kooperationsveranstaltung der Zeitschrift Wespennest und dem Depot im siebten Bezirk. „Wespennest hat seine aktuelle Ausgabe dem Themenschwerpunkt Ramsch gewidmet. Kapitalismus erzeugt Ramsch“, sagt Andrea Roedig, Mitherausgeberin, Philosophin und Moderatorin der Veranstaltung. Für die 168. Heftausgabe konnten renommierte Autor*innen gewonnen werden, unter ihnen auch Niko Paech/Katharina Dutz mit ihrem Text „Müllhalden des Fortschritts. Strategien gegen die Vernutzung der Welt“. Zwei weitere Autoren, Dennis Eversberg und Martin Schürz, wurden eingeladen ihre Textbeiträge im Depot öffentlich zu diskutieren.

Wertverlust von Arbeitskraft.
Roedig startet mit einer kurzen Leseprobe aus Eversbergs Text mit dem Titel: „Verramschtes Leben. Zum Wertverlust von Arbeitskraft im kleinteiligen Kapitalismus“. Im anschließenden Gespräch weist Eversberg auf die Veränderungen am Arbeitsmarkt hin: Früher habe man drei Jahre einen Beruf erlernt, und dann war und blieb man auf unbefristete Zeit zum Beispiel Werkzeugmacher. Heute hingegen verlange der Markt Kurzfristigkeit, Flexibilität und zahlreiche, sich rasch ändernde Kompetenzen. Langzeitarbeitslose (länger als ein Jahr arbeitslos) würden der kurzfristigen Verwertung zugeführt. Wie es den Menschen damit geht, frage niemand, so der Sozialwissenschafter und Arbeitsforscher. Im Rahmen seiner Studien habe er folgendes Phänomen beobachtet: In deutschen Fußgängerzonen siedeln sich immer mehr Leiharbeiterbüros an. Vorzugsweise mieten die Büros sich direkt über 1-Euro-Billigläden ein, weil sie dort die Ramsch-Klientel für den Niedriglohnsektor gleich an der Quelle abholen könnten. „Leiharbeit und Werkverträge ersetzen zunehmend den arbeitsrechtlich garantierten Schutz von Kollektivverträgen“, kritisiert der Forscher. Die jetzige Logik biete keine sozialstaatliche Absicherung mehr.

Stunden- und tageweise Arbeit.
Arbeitslose würden sich auf einer Leiharbeiter-Plattform anmelden, dort ihre Kenntnisse eingeben und bei Bedarf bekämen sie tageweise, manchmal sogar nur stundenweise, eine Anstellung. So Arbeitende seien nicht mehr Bestandteil eines Kollektivs, sondern müssten der Arbeit ständig und auf Abruf hinterherrennen. „Wenn jemand alle paar Tage etwas anderes macht, ist eine kohärente Erzählung nicht mehr möglich.“ Das Individuum würde in Einheiten zerlegt und müsse nun als „Dividuum“ seine zerstückelte Arbeitskraft zu Markte tragen. „Es muss können, was jemand beziehungsweise der Markt will und nicht, was es selber will.“ Eversberg spricht von „dividuell“ statt „individuell“. Seine Dissertation „Dividuell aktiviert. Wie Arbeitsmarktpolitik Subjektivitäten produziert“ (Campus-Verlag, 2014) wurde mit dem Dissertationspreis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ausgezeichnet.

Verramschen von Qualifikationen.
Im Rahmen von Studien mit Langzeitarbeitslosen hat Eversberg Menschen kennengelernt, die sich nicht verramschen ließen. So hätten sich etwa ausgebildete Verkäuferinnen geweigert, sich für zwei Tage ans Fließband stellen zu lassen, berichtet der Forscher. Dafür hätten sie sogar Kürzungen ihres Arbeitslosengeldes in Kauf genommen. „Die ursprüngliche berufliche Qualifikation wird verramscht, wenn man gezwungen wird was anderes zu tun“, sagt Eversberg. Andere wiederum, vor allem Jugendliche, seien laut seinen Forschungsergebnissen oft froh, wenigstens noch kurzfristige Leiharbeit zu bekommen. Doch ihr Selbstbewusstsein sei geprägt von dem Wissen: „Ich habe keine andere Möglichkeit als mich zu verramschen. Aber wenigstens die Leiharbeit habe ich noch.“

Verramschen von Staaten.
Laut Martin Schürz ist „Ramsch die Drohung des Ausschlusses.“ Im Kapitalismus gebe es laut dem Ökonomen Ramsch auf Widerruf: „Mach einen Arbeitskurs, dann kannst du wieder mitspielen.“ So zumindest laute das Credo.
Schürz hat sich in seinem Textbeitrag unter anderem mit Ramschanleihen befasst, sogenannten Junkbonds, die nichts anderes als hochspekulative Wertpapiere und riskante Anlageformen seien. Sein Text trägt die Überschrift: „Von Hamstern und Geiern. Verramschen kann man auch ganze Staaten“.
Roedig fragt, wie man mit Ramsch viel Geld verdienen kann. Schürz erklärt, das Spekulieren mit hockriskanten Papieren und Staatsanleihen sei ein „Elitenspiel“. Nur Reiche hätten das nötige Spielgeld dazu. Dank Kreditausfallsversicherungen seien auch Staatskonkurse ein sicheres Geschäft für die Spekulanten. Derzeit werde Griechenland verramscht; die dortige „Pensionsreform“ sei nichts anderes als eine Kürzung. Aber alle, die in griechischen Anleihen seien, wüssten um das Risiko der Anleihen und des Staatsbankrotts und bräuchten daher nicht moralisieren, betont Schürz. „Die Moral wird immer benutzt.“
Bezüglich Österreich kommentiert der Ökonom trocken: „Wenn die Ratingagentur Moody´s Österreich wegen Heta (Anm: Hypo Abbaugesellschaft) zurückstuft, ist das eine Verramschung Österreichs.“
Am Schluss resümiert Dennis Eversberg: „Entweder der Staat oder die Menschen in Form von Arbeitskraft sind Ramsch.“

Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Sie ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.