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Raphael Kiczka - Wem gehört die Stadt? Urban Commons als Wegbereiter einer Stadt für alle

Das Gesicht der Städte verändert sich: Neue Bürobauten, Großprojekte und Luxussanierungen auf der einen Seite, Verdrängungsprozesse und steigende Mieten auf der anderen Seite. Die Forderung nach dem Recht auf Stadt setzt dieser Entwicklung eine Vision entgegen, in der alle Zugang zu städtischen Ressourcen haben und Stadt gestalten können.

Verschärfte Ausschlussprozesse in der sich wandelnden Stadt

Das Gesicht der Sta?dte vera?ndert sich. Glitzernde Bu?robauten, architektonische Prestigeobjekte sowie luxussanierte Immobilien fallen ins Auge. Gentrifizierungsprozesse sind schon lange nicht mehr auf wenige Sta?dte oder isolierte Viertel beschra?nkt , sondern als „neuer sta?dtischer Mainstream“ (Holm 2013a :18) allerorten sichtbar. Steigende Mieten zwingen immer mehr Menschen, ihre Wohnungen und Stadtviertel zu verlassen. Die wachsende Zahl von Ra?umungsklagen und Zwangsra?umungen sprechen eine deutliche Sprache. Wir ko?nnen nach Rio de Janeiro, Barcelona und Berlin schauen, aber auch in Wien gibt es ta?glich etwa 7 Delogierungen pro Tag (Kadi 2014). Aufwertung von Wohngegenden und Verdra?ngungsprozesse laufen ha?ufig Hand in Hand. Wird ein Viertel hip, steigt die Nachfrage nach Wohnungen. Die neu Zuziehenden sind bereit und fa?hig, einen erho?hten Mietpreis zu bezahlen, oder wollen gleich die Immobilie als Eigentumswohnung erwerben. Diese Entwicklung ist gut fu?r Immobilienbesitzer_innen und ihre Profite, aber schlecht fu?r jene, die eine kostengu?nstige Wohnung behalten wollen oder suchen. Alte Mieter_innen mit noch gu?nstigen Mietvertra?gen werden mit allen Mitteln aus ihren Wohnungen und damit auch aus ihrem angestammtem Lebensraum (an den Stadtrand) gedra?ngt. Die Folgen fasst der Gentrifizierungsforscher Andrej Holm (2014: 58) pra?gnant zusammen: „Wo hohe Gewinne locken, wird Verdra?ngung zum Standard.“ Mit neuen Bewohner_innen vera?ndern sich Kulturangebote, Gescha?fte, Bars, der Rhythmus des Viertels. Hipster, Bobos, Ku?nstler_innen und Latte Macchiato Trinker_innen werden zu den neuen Feindbildern und als angebliche „Gentrifizierungspioniere“ fu?r die Aufwertung des Viertels und steigende Mieten verantwortlich gemacht. Diese Problemanalyse arbeitet mit perso?nlichen und moralischen Schuldzuweisungen und verstellt die Sicht auf die wirklichen Probleme und damit auch den Weg fu?r sinnvolle Alternativen. Denn hippe Bars und ihre hippen Nutzer_innen sind vor allem Effekte und Katalysatoren dieser Entwicklungen, nicht der Grund. Statt einer Kulturalisierung stadtpolitischer Konflikte kann ein polit-o?konomische Blick viel eher und produktiver Ursachen und Logiken fu?r Verdra?ngungsprozesse entschlu?sseln und alternative Wege o?ffnen. Der Hintergund von Gentrifizierungsprozessen bildet demnach zuvorderst die (immobilienwirtschaftliche) Inwertsetzung von Raum. Denn wenn Wohnraum eine Ware ist, dann steht nicht das Bedu?rfnis der Bewohner_innen im Vordergrund, der spezifische Gebrauchswert, sondern der Tauschwert, die Erzielung von mo?glichst hohem Profit. Damit wird auch klar, dass nur in jene Bereiche (privat) investiert wird, die profitabel sind, kostengu?nstige Mietwohnungen sind dies kaum.

Vor diesem Hintergrund eines kapitalistisch organisierten Wohnungsmarktes fu?hrt jede Belebung und Attraktivierung eines Viertels – eigentlich etwas sehr Wu?nschenswertes - zu steigenden Mieten und ha?ufig zu Verdra?ngungen. Ein Paradox, das uns vor Probleme stellt, denn das Viertel mo?glichst unattraktiv zu gestalten, um Mieten niedrig zu halten, bietet kaum eine sinnvolle Perspektive.
Es wird deutlich: Die Mo?glichkeiten, Gesicht und Ko?rper der Stadt zu gestalten und sie zu nutzen, sind ungleich verteilt. Immer mehr Menschen werden von den Ressourcen der Stadt und damit vom urbanen Leben ausgeschlossen. Die Verscha?rfung dieser Ausschlussprozesse liegt in neoliberalen Transformationsprozessen begru?ndet.

Die Neoliberalisierung des Sta?dtischen

Sind diese Widerspru?che zwischen Gebrauchswert- und Tauschwertorienitierung zwar in die kapitalistische Organisation von Wohnraum eingeschrieben, so haben sie sich seit den 1980er Jahren deutlich versta?rkt. Bestimmte staatliche Funktionen wurden in dieser Zeit an die lokale Ebene abgetreten und Sta?dte so zu Schlu?sselinstitutionen, welche neoliberale Restrukturierungsprozesse - Arbeitsmarktflexibilita?t, Wettbewerbsfa?higkeit und die Mobilisierung von Kapital als Zielgro?ßen – vorantrieben. Um Kapital anzuziehen, galt es nun fu?r Sta?dte in einem wachsenden inter- urbanen Wettbewerb dem dereguliertem Kapital einen attraktiven Standort zu bieten. Ein gutes Investitions- und Gescha?ftsklima sowie ein positives Image wurden damit neue Priorita?ten des „Unternehmens Stadt“, das all jene Gruppen mit Verboten und Strafverfu?gungen aus dem o?ffentlichen Raum und dem Stadtbild verdra?ngt und vertreibt, die dem Stadtmarketing ein Dorn im Auge sind: Sexarbeiter_innen, Obdachlose, Drogennutzer_innen und Bettler_innen. Privatisierung, Kommerzialisierung und Festivalisierung des o?ffentlichen Raumes schließt weiter jene aus, die u?ber geringe finanzielle Mittel verfu?gen.

Im Kontext einer Vera?nderung der Regulation entstanden neue Akteur_innenkonstellationen, die vor allem privaten Akteur_innen mehr Mitsprachemo?glichkeiten gaben (public-private-partnerships), die gesellschaftlichen Kra?fteverha?ltnisse zwischen Kapital und Arbeit vera?nderten sich zu Lasten letzterer. Die Top-down Verwaltung (Government) wurde vielfach durch netzwerkartiges Regieren (Governance) ersetzt. Im Kontext einer immer sta?rker finanzmarktgetriebenen Akkumulation wurden Immobilien zu global verwertbaren Ware und institutionelle Anleger_innen und große Immobilienfirmen investierten versta?rkt (vgl. Heeg 2013: 259). Ihre Rendite- und Gewinnerwartungen sind meist ho?her, als bei Einzeleigentu?mer_innen, die das Haus geerbt haben und – da es la?ngst abbezahlt ist – nur einen regelma?ßigen Mietzins erwarten. Wechselt eine Immobilie alle paar Jahre den_die Besitzer_in, natu?rlich in Erwartung steigender Einnahmen zu einem ho?heren Preis, wa?chst der Druck auf die Miete.

Der Run auf das „Betongold“ als Anlagespha?re und Finanzprodukt liegt auch in weiteren neoliberalen Strukturvera?nderungen begru?ndet. Vermehrt muss privat gegen Lebensrisiken und fu?r den Lebensabend abgesichert werden. Eine Immobilie scheint eine sichere Mo?glichkeit der Eigenvorsorge. Außerdem findet Geld immer schwieriger eine profitable Investitionsspha?re in der „Realwirtschaft“. Dies fu?hrt zu versta?rkten Verwerfungen und Krisenerscheinungen und dem Druck, neue Anlagespha?ren zu schaffen. Die Investitionen in den Immobilien- und Bausektor bieten fu?r eine gewisse Zeit Mo?glichkeiten, das Geld zu verwerten und anzulegen, bis das Platzen der Immobilienblase die Grenzen dieser Krisenlo?sungsstrategie aufzeigt. Wie David Harvey (2013: 75ff) eindrucksvoll aufzeigt, bildet eine versta?rkte Bauta?tigkeit einen verla?sslichen Indikator fu?r nahende Krisen.
Die Situation in Spanien zeigt drastisch, zu welchen Paradoxien eine kapitalistische Raumproduktion fu?hrt: Wa?hrend mehr als drei Millionen bezugsfertige Wohnungen leer stehen, wurden in Spanien ab Beginn der Krise etwa 550.000 Wohnungen zwangsgera?umt (vgl. Zwangsra?umungen verhindern 2015).
Die versta?rkte Inwertsetzung von (Lebens-)ra?umen - etwa durch Privatisierungen - und die Verdra?ngung von Menschen im Sinne des Standortmarketings liegt also im Kern einer kapitalistischen Produktion von Raum, die sich in der jetzigen neoliberalen Form zeigt und Konflikte und Verdra?ngungsprozesse versta?rkt. „Immobilien-Verwertungs-Koalitionen“ (Holm 2013b) treiben diese sta?dtische Politik voran. Es stellt sich die Frage: Was tun?

Wer eine Stadt fu?r alle will, wird an einer Kritik grundlegender gesellschaftlicher (Macht-)Verha?ltnisse und kapitalistischer Raumproduktion nicht vorbeikommen. Den vielfachen Prozessen des Ausschlusses ko?nnen nur Perspektiven entgegenwirken, die aktuelle Glaubenssa?tze hinterfragen und Wege o?ffnen, die eine andere Stadt denkbar machen. Prozessen der versta?rkten Inwertsetzung und Vermarktwirtschaftlichung – der Kommodifizierung von Raum - mu?ssen Praxen der Dekommodifizierung entgegengestellt werden, die neue Formen der Vergesellschaftung in die Debatte tragen. Denn „langfristig ist die Dekomodifizierung der Wohnungsversorgung die einzige Verteidigung gegen Gentrifizierung.“ (Williams/Smith 1986: 222) Diese Aussage la?sst sich auf die gesamte urbane Raumproduktion ausweiten und macht deutlich, dass Praxen der Dekommodifizierung eine zentrale emanzipative Fluchtlinie sind, um sozialen Verha?tnissen und Beziehungen eine neue Grundlage zu geben.
Der Commons- Ansatz kann hier sinnvoll einhaken und praktische Alternativen schaffen. Deshalb werden folgend Urban Commons als mo?gliche transformative Infrastruktur und als Einstiegsprojekte diskutiert, die den Weg fu?r eine ganz andere Stadt ero?ffnen und sie schon im Hier und Jetzt erlebbar machen. Diese Projekte finden ihre Verknu?pfung in der Forderung nach dem „Recht auf Stadt“. Diese Widerstandsperspektive zielt auf die Mitgestaltung und Nutzung aller an dem Werk Stadt ab.
Die These ist: Alternativen ko?nnen eben dort entstehen, wo der Kommodifizierung von Raum entgegengetreten wird. Urban Commons sind Kommunikationsmotoren und Lernlabore sowie eine Infrastruktur, die soziale Ka?mpfe fu?r das „Recht auf Stadt“ befo?rdern und so neue Handlungswege o?ffnen.

Urban Commons als Einstiegsprojekte und transformative Infrastruktur

Urban Commons ko?nnen vieles sein: Der Gemeinschaftsgarten, ein Kostnixladen, eine kollektiv genutzte Werkstatt, ein Wohnprojekt oder auch o?ffentlicher Verkehr. Entscheidend ist nicht die Form der Ressource, sondern die Praxis des Commonings, die ihr zugrundeliegt- (Selbst-) Organisation und -Verwaltung jenseits von Markt und Staat durch jene, die dieses Gemeingut nutzen. Das Versta?ndnis des Commons-Begriffs geht in der Diskussion weit auseinander und nicht ha?ufig werden Commons bei Markt- und/oder Staatsversagen als letzte Krisenlo?sungsstrategie ins Feld gefu?hrt ohne grundsa?tzliche Strukturkategorien zu hinterfragen. In diesem Beitrag wird eine Perspektive eingenommen, die Commoning als Alltagspraxis versteht, die neben Markt und Steuerung von oben auch mit Lohnarbeit, ku?nstlicher Verknappung und Konkurrenz bricht und damit eine Antithese zu grundlegenden Pfeilern kapitalistischer Gesellschaft darstellt (vgl. Exner/ Kratzwald 2011: 23). Der Bezug auf Commons soll nicht helfen, alles beim Alten zu lassen, sondern im Gegenteil Kapitalismuskritik und Perspektiven der Selbstverwaltung sta?rken.
Commons waren und sind untrennbar verbunden mit Ka?mpfen fu?r ein besseres Leben und gegen die Zumutungen des Kapitalismus.

Ein zentraler Moment in der Entwicklung des Kapitalismus war die Einhegung – in diesem Fall ganz plastisch die Einza?unung - und Privatisierung dieser selbstverwalteten kollektiven Fla?chen. Diesen gewaltta?tigen Prozess hat Marx in Großbritannien nachvollzogen und als „urspru?ngliche Akkumulation“ beschrieben. Die entstehenden Baumwollmanufakturen brauchten sowohl Raum fu?r Schafherden, als auch Arbeiter_innen. Eine Zersto?rung der Commons schaffte beides: Ohne ihre Existenzgrundlage wurden die Menschen gezwungen, sich in der Lohnarbeit zu verdingen. Diese Prozesse der Einhegung und des Ausschluss der Menschen von ihren Produktionsmitteln sind nicht abgeschlossen, sondern dauern an, aber auch der Kampf fu?r Commons und damit der Wunsch, jene Mittel wieder in die Ha?nde zu bekommen, die ermo?glichen, Leben und Alltag selbst zu organisieren und zu gestalten.

Der Kampf fu?r Urban Commons verweist auf diese auch historische Perspektive von Selbstorganisation und Selbstverwaltung und fragt nach aktuellen Alternativen im sta?dtischen Raum. Die Commons-Perspektive kann eine wichtige strategische Klammer fu?r eine andere und emanzipative Raumpolitik sein: Sie stellt die Logik von Privateigentum und marktwirtschaftlicher Organisierung in Frage und fordert, dass die Bedu?rfnisse der Stadtbewohner_innen zentral sein mu?ssen. Mit dieser Perspektive ko?nnen Ka?mpfe gegen Privatisierung und Kommodifizierung gefu?hrt werden, die Stuart Hodkinson (2012:439) als „strategic housing commons“ bezeichnet. Gleichzeitig schu?tzt diese strategische Ausrichtung auch davor, dann alles auf die Karte einer hierarchischen Steuerung von oben zu setzen, die Wohnraum schaffen und Stadt planen soll. Die historischen Erfahrungen sozialdemokratischer Politik in Wien machen die Schwa?chen einer solchen Politik sehr deutlich: Jenseits des Wohn- und Immobilienmarktes und durch seine bewusste Aushebelung konnte im „Roten Wien“ leistbarer und qualitativ hochwertiger Wohnraum geschaffen werden. Gleichzeitig wurden selbstorganisierten Wohnformen und Akteuren, wie etwa der Siedler_innenbewegung, kaum Raum gegeben (vgl. Kiczka 2014). Auch heute lassen Kontrollzwang, paternalistische Beglu?ckungsstrategien und geschlossene politische und bu?rokratische Kreise kaum Planung und Gestaltung „von unten“ zu. Aktive Raumnahmen, die Leerstand wieder nutzen und o?ffnen, werden mit Repression beantwortet, anstatt diesen Gestaltungswillen ernst zu nehmen.

Mit der Perspektive des „living-in-common“(Hotkinson 2012:439) kann gegen diese Stadtgestaltung von oben fu?r kollektive und selbstverwaltete Wohnformen und fu?r eine Vergesellschaftung und Demokratisierung der sta?dtischen Wohnbaugesellschaften und -Verwaltungen gestritten werden.

Eine Stadt, die Ausschlu?sse und Verdra?ngung begegnen und wirkliche Gestaltungsmo?glichkeiten fu?r ihre Bewohner_innen schaffen will– fern von eingeza?unten Gemeinschaftsga?rten oder Ja-Nein Bu?rger_innenbeteiligungsverfahren – muss andere Wege gehen und alte Entweder-Oder Denkmuster verlassen. Commons Ansa?tze o?ffnen neue Denkmo?glichkeiten, indem sie Binarita?ten, Selbstversta?ndlichkeiten und hegemoniale Deutungsmuster in Frage stellen. Doch die Commonsperspektive bietet nicht nur einen Orientierungsrahmen und eine strategische Klammer. Ihre Sta?rke ist, dass sie im Hier und Jetzt schon Wege o?ffnet, die den Wandel erfahr- und erlebbar machen. Wenn auch notwendigerweise voller Widerspru?che, nehmen Urban Commons die Welt vorweg, die angestrebt wird. Sie verweilen nicht in abstrakter Kritik und großem Wunsch, sondern knu?pfen an konkreten Alltagserfahrungen und -Bedu?rfnissen an: Wie produzieren und verteilen wir Lebensmittel, wer erledigt wie Reproduktionsarbeiten und wie gestalten und organisieren wir Lebens- und Arbeitsra?ume?

Vera?nderungen sind lange Transformationswege und es gibt keinen Tag X, wo auf einmal alles besser ist. Deshalb braucht es Orte, wo Lernprozesse mo?glich sind. Wo wir im Hier und Jetzt schon anders miteinander leben, arbeiten und wohnen ko?nnen. Diese Alltagserfahrungen ko?nnen auch neue Subjektivita?ten schaffen, die nicht von Verwertungs- und Kapitalinteressen durchzogen sind, sondern noch oder wieder feststellen, dass „etwas fehlt“ (Berthold Brecht) und sich mutig und widersta?ndig auf die Suche machen. Dazu bedarf es ha?ufig physischer Orte, die Ausgangspunkte fu?r die Bildung solidarischer Netzwerke sein ko?nnen, Orte, um u?berhaupt Vera?nderung andenken zu ko?nnen und sich u?ber Alltag, Probleme und Lo?sungsmo?glichkeiten auszutauschen zu ko?nnen. Diese gemeinsamen Orte sind immer mehr verschwunden. Die Stadt zu commonisieren bedeutet damit, fu?r solche gemeinsamen Orte zu ka?mpfen, die verschiedene Lebensrealita?ten zulassen und in Interaktion bringen. Ist der Kapitalismus konstant durch Prozesse der Exklusion gekennzeichnet, so la?sst sich mit Meretz (2012) die Logik der Commons als „strukturelle Inklusion“ bezeichnen. Denn ihre zentrale Komponente ist das Durchbrechen der Vereinzelung durch die Schaffung neuartiger sozialer Beziehungen und durch gemeinsames Tun.
Matei (2012:78) versteht Commons so als „ eine mit anderen geteilte Wahrnehmung unserer Realita?t“. Entstehen ko?nnen Experimentierlabore, die erproben, wie andere soziale Beziehungen und ein anderes Verwalten von Ressourcen mo?glich sind: Wie kann Kooperation Konkurrenz ersetzen, welche Regeln brauchen wir, um Nutzungskonflikten vorzubeugen oder mit ihnen umzugehen? Wie werden Reproduktionsarbeiten verteilt und Geschlechterverha?ltnisse praktisch vera?ndert?
Mit ihrer grundsa?tzlichen Kapitalismuskritik verweisen Commons aber auch darauf, dass es nicht um ein paar alternative Inseln gehen kann, sondern um die Vera?nderung grundsa?tzlicher struktureller Logiken. Eben dann, wenn sie alltägliche Probleme auf strukturelle Ursachen zurückführen, Betroffenheiten in Verbindung setzen und Gemeinsamkeiten suchen. Auf diesem Weg ko?nnen Urban Commons eine wichtige transformative Infrastruktur sein. Bezogen auf die Strategie eines radikalen Reformismus verbinden sie das Hier und Jetzt mit dem Kampf fu?r eine radikale Gesellschaftsvera?nderung, wenn sie sich selbst nicht als Ziel sehen, sondern als „Einstiegsprojekte“ (Dieter Klein) wirken. Denn wie bei allen Projekten besteht die Gefahr, dass die allta?glichen Anforderungen abstrakte Problemstellungen in den Hintergrund dra?ngen und die lokale Scholle zur Begrenzung und nicht zum Sprungbrett wird. Einstiegsprojekte jedoch nehmen grundsa?tzliche Lebens- und Alltagsprobleme auf, nicht von einer lokal sowie kulturell-identita?r eingegrenzten Gruppe, sondern jene einer Mehrheit der Bevo?lkerung. Sie entwickeln realistische Antworten und Wege, die Akteur_innen mobilisieren und der TINA Logik ( There Is No Alternative) TAMARA- Erfahrungen (There Are Many And Realistic Alternatives) entgegenstellen (vgl. Brie 2010: 3).

Die große Herausforderung ist, wie einzelne alternative Orte Strahlkraft entwickeln und ihre Logik verallgemeinern ko?nnen, so dass auch auf einer ho?heren Maßstabsebene grundsa?tzliche strukturelle Verha?ltnisse zum Tanzen gebracht werden. Wie ko?nnte eine radikale Realpolitik aussehen, die in Form einer doppelten Transformation unter den gegebenen Verha?ltnissen Lebensbedingungen fu?r eine große Mehrheit verbessert und gleichsam u?ber den Kapitalismus hinausweist, also zwischen Reform und Revolution vermittelt? Dabei stellen sich zwangsla?ufig Fragen: Soll und wenn ja wie, in das politische System vermittelt werden? Wie beziehen wir uns auf staatliche Institutionen, wann erweitern wir Handlungsra?ume und wann kommen wir in den „Sog des Etatismus“ (Brand/Heigel)? Bedarf es rechtlicher A?nderungen, die als Steigbu?gelhalter Vera?nderungen weiter ermo?glichen oder absichern?

Die Hypothese ist: Es braucht einen gemeinsamen Orientierungsrahmen, der theoretisch und praktisch, bei Anerkennung von verschiedenen Positionen und Strategien, verbindet und die Einbindung der Commons- Projekte in widersta?ndige soziale Ka?mpfe, wodurch sie der Gefahr der Isolation und Instrumentalisierung begegnen ko?nnen. Denn die Gefahr ist groß, dass ein alternatives Kulturangebot, Leerstandsnutzungen, der scho?ne Gemeinschaftsgarten oder andere gut gemeinte Projekte, der sich neoliberalisierenden Stadt und ihrem Standortmarketing in die Ha?nde spielen. Ein gemeinsamer Orientierungsrahmen und eine bewusste politische Perspektive und Bezugnahme hilft, diese Gefahr zu minimieren und Alternativen zu befo?rdern.

Anregungen fu?r eine langfristige und damit auch starke Bewegung in diesem Sinne bieten Organisationen und Bewegungen, die sich dem transformativen Comunity Organizing verschrieben haben (vgl. Maruschke 2014).

Ihre politische Praxis bestimmt eine kritische Analyse und grundsa?tzliche Opposition gegen die herrschenden Zusta?nde, politische Basisarbeit, konfrontative Politikformen und ein solidarischer Zusammenhang mit anderen Organisationen. Viele Organisationen in der USA, die mit diesen Grundsa?tzen arbeiten, sind deshalb in der Right to the City Alliance organisiert. Die Forderung nach dem „Recht auf Stadt“ bietet sowohl organisatorisch als auch perspektivisch eine hilfreiche Verbindungslinie. Denn sie stellt offensiv die Frage: „Wem geho?rt die Stadt?“ und setzt Verdra?ngungsprozessen gleichsam eine ka?mpferisches „Wir bleiben alle!“ entgegen und die Vision einer ga?nzlich anderen Stadt und urbanen Gesellschaft.

Das Recht auf Stadt als Widerstandsperspektive

Unter dem Motto „Recht auf Stadt“ haben sich in den letzten Jahren verschiedenste soziale Bewegungen, Projekte und Gruppen gesammelt: Proteste fu?r das Bleiberecht von Geflu?chteten und gegen rassistische Kontrollen, Forderungen nach Leerstandsnutzung, gegen steigende Mieten, Luxusprojekte und Zwangsra?umungen, gegen die Verdra?ngung von Sexarbeiter_innen, Obdachlosen und Drogennutzer_innen sowie der Privatisierung und Kommerzialisierung von o?ffentlichem Raum.
Die 1968 von Lefebvre aufgestellte Forderung verbindet aktuell also eine große Bandbreite von Akteur_innen, die so aufeinander treffen und in gemeinsame Aushandlungsprozesse treten und gemeinsame Kritikpunkte entdecken. Die gegenseitige solidarische Bezugnahme schafft kollektive Momente, sta?rkt und hilft, u?ber den Tellerrand des eigenen Milieus und des eigenen Stadtviertels zu schauen. Sozio-o?konomische Fragestellungen der Stadtentwicklungen kommen wieder in den Fokus. Es geht nicht nur um eigene Interessen, die Ausgrenzungserfahrungen werden repolitisiert und ein gesamtsta?dtischer Gestaltungsanspruch formuliert.
Mit dem „Recht auf Stadt“ forderte Lefebvre nicht nur Zugriffsmo?glichkeiten aller auf sta?dtische Ressourcen ein, sondern ein ga?nzlich neues urbanes Leben. Recht auf Stadt bedeutet das Recht auf die zuku?nftige Stadt. Die Stadt soll ein Werk aller sein. Das ALLE bezieht sich hierbei zuvorderst auf jene, die an die Peripherie gedra?ngt werden, geringere Machtressourcen haben und bisher von der Zentralita?t und den Ressourcen der Stadt ausgeschlossen werden. Der Kampf um urbanen Raum ist etwa besonders fu?r Refugees von zentraler Bedeutung. Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus – etwa durch sta?ndige Kontrollen - beschra?nken die Nutzbarkeit des o?ffentlichen Raumes, der Zugang zum Wohnungsmarkt ist a?ußerst preka?r. Ohne eine klare antirassistische Position ist eine emanzipative urbane Raumproduktion nicht mo?glich.

Stadt meint bei Lefebvre weniger eine vom Land abgegrenzte geographische Einheit. Seine sta?rkste These ist die Ausbreitung des urbanen Gewebes – eine vollsta?ndige Urbanisierung -, die eine deutliche Trennung von Stadt und Land in den letzten Jahrzehnten unmo?glich gemacht hat.
Wenn wir die Frage nach einer anderen Stadt stellen, geht es also um die Frage nach der Gesellschaft, in der wir leben wollen. Der Weg zu einer urbanen Gesellschaft durch eine urbane Revolution ist dabei nicht nur negativ, sondern Potential und Mo?glichkeit. Sie liegt in der Gebrauchswertorientierung der Stadt. Nicht Arbeit und Verwertung stehen im Vordergrund, wie etwa im industriellen Zeitalter, sondern Genuss, das Vergnu?gen auf den Straßen und o?ffentlichen Pla?tzen. Lefebvre schwebt eine neuer Humanismus vor. Die urbane Revolution beendet die Beherrschung durch das O?konomische und o?ffnet Raum fu?r neue soziale Bedu?rfnisse, die aufgespu?rt und erprobt werden (Schmid 2010: 143ff).

Die Stadt ist Ort der Differenz, eine verdichtete Unterschiedlichkeit, kein gepflegtes Wohnzimmer. Ihre Qualita?t stellt die aktive und allta?gliche Interaktion der Bewohner_innen dar. Als Commons strukturierte und organisierte Ra?ume ko?nnen die Verheißung des urbanen Lebens einlo?sen und diese Differenzen produktiv machen, anstatt homogene Ra?ume zu schaffen, aus denen all jene ausgeschlossen werden, die nicht ins Bild passen.

Bei Lefebvre ist Selbstverwaltung die zentrale Zielgro?ße fu?r eine wu?nschenswerte urbane Gesellschaft. Commons ko?nnen Schritte dahin sein, denn es ihr Organisationskern. Sie knu?pfen dort an, wo Lefebvre den Ausgangspunkt fu?r eine urbane Revolution sieht: Im Alltagsleben.
Denn Stadt und Raum wird jeden Tag aufs neue produziert- Zeit es mal anders zu versuchen.

Brie, Michael (2010): Einstiegsprojekte in eine solidarische Politik. Radikaler Praxistest der Gegen- Hegemonie in den Zeiten der Krise des neoliberalen Finanzmarkt-Kapitalismus. Strategiepapier der Rosa Luxemburg Stiftung Bru?ssel.

Exner, Andreas, Kratzwald, Brigitte (2012): Solidarische O?konomie & Commons. Wien: Mandelbaum Verlag.

Gruppe „Zwangsra?umungen verhindern Wien“ (2015): Zwangsra?umungen und Widerstand von unten. In: Ksoe Dossier 06/2015, S. 26-27.

Heeg, Susanne (2013): Baulo?wen, Spekulationshaie und Heuschrecken: Die gebaute Umwelt abseits tierischer Erkla?rungsbilder. In: Atzmu?ller, Roland/Becker, Joachim/Brand, Ulrich/Oberndorfer, Lukas/Redak, Vanessa/Sablowski, Thomas (Hrsg_innen): Fit fu?r die Krise? Perspektiven der Regulationstheorie. Mu?nster: Westfa?lisches Dampfboot, S. 258-284.

Holm, Andrej (2013a): Wir bleiben alle! Gentrifizierung- Sta?dtische Konflikte um Aufwertung und Verdra?ngung. 2. unvera?nderte Auflage. Mu?nster: UnrastverlagWir bleiben alle!

Holm Andrej (2013b): Wohnen als Soziale Infrastruktur. In: www.links- netz.de/K_texte/K_holm_wohnen.html

Holm, Andrej (2014): Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert. Mu?nchen: Knaur.

Hodkinson, Stuart (2012): The Return of the Housing Question. In: ephemera. 12 (4), S. 423-444.

Kadi, Justin (2014): Die neue Wiener Wohnungsfrage: Delogierungen. In: Wer geht leer aus? Pla?doyer fu?r eine andere Leerstandspolitik. Wien: edition mono/monochrom, S. 54-59.

Kiczka, Raphael (2014). Das „Rote Wien“. In: Jungle World. Nr. 38, S.7.

Maruschke, Robert (2014): Comunity Organizing. Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung. Mu?nster: edition assemblage.

Mattei, Ugo (2012): Eine kurze Pha?nomenologie der Commons. In: Helfrich, Silke, Heinrich-Bo?ll- stiftung (Hg.): Commons. Fu?r eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: Transcript, S. 70-78.

Meretz (2012): Ubuntu-Philosophie. Die strukturelle Gemeinschaftlichkeit der Commons. In: Helfrich, Silke, Heinrich-Bo?ll-stiftung (Hg.): Commons. Fu?r eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: Transcript, S. 58- 65.

Schmid, Christian (2010): Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes. 2. Aufl. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.

Williams, Peter; Smith, Neil (Hg.) (1986): Gentrification in the City. London: Unwin Hyman.