Re-Politisierung der Wiener Wohnpolitik? Eine Erhebung der Gentrifizierung.
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Am 2. Juli lud die Grüne Bildungswerkstatt zum Sommerfest und zur Eröffnung einer neuen Veranstaltungs-Reihe: dem Themenkomplex „Recht auf Stadt“. Der Frage, wie mit der gesellschaftspolitischen Situation umzugehen ist, dass das städtische Wohnen an die Grenzen der Leistbarkeit gelangt, wurde mit der titelgebenden Frage „Warum steigen die Mieten bloß SOHOch?“ am exemplarischen Yppenplatz nachgegangen. Die Stadtforscherin Bettina Köhler (International Network for Urban Research and Action, INURA) moderierte den Abend.
Öffentliche Privatangelegenheiten.
Die Wohnungsfrage ist heutzutage zumeist eine private. Die „eigenen vier Wände“ sollten das eigene Gebiet von dem anderer klar abgrenzen. Unerwünschte Geräusche und Gerüche sollten dabei möglichst außerhalb bleiben, damit der private Raum jenes Eigene bleibt, als welches es vielleicht gern gehabt wird. So durchlässig alle materiellen Abgrenzungsversuche sind, so dicht scheinen die Grenzen des ‚privaten‘ Themas des Wohnens zu sein: Mietrecht und -kosten treten selten in die öffentliche Diskussion.
Kurto Wendt sieht in dieser Vereinzelung des Mieters ein großes Problem und fordert, dass sich Hausgemeinschaften formieren. Der einzelne Mieter und die einzelne Mieterin hätten das Gefühl, mit ihren Wohnproblemen alleine zu sein. Doch sind so privat diese Probleme nicht wie sie zu sein scheinen. Durchschnittlich müsse man am ‚freien Wiener Wohnungsmarkt‘ bis zu 40% seines Gehalts für die Miete aufbringen. Im Vergleich: 1929/30 seien es 4 % gewesen.
Strukturen und Gesetze.
Doch nicht nur die Verteilung der Problematik, sondern auch deren Gründe sind nicht auf bloß individuelle Fälle zu reduzieren. Als Beispiel nennt Wendt die gesetzliche Verpflichtung, zwei Jahre an ein und derselben Adresse gemeldet sein zu müssen, um Anspruch auf eine Gemeindewohnung erheben zu dürfen. Das schließe Menschen, die häufig ihren Wohnsitz wechseln (müssen), strukturell aus, wie beispielsweise neu in die Stadt gezogene oder auch finanziell ärmere Menschen. Diese Regelung sei also zwar für alle gleich, treffe aber unterschiedliche Menschen in verschiedenen Lebenssituationen unterschiedlich. Ähnlich lautet Wendts Kritik an den hiesigen Wohnberatungsinstitutionen, welche die jeweiligen Mieter zumeist nur individuell als Einzelfall beraten würden, statt sie über ihre Rechte als Bürger*innen aufzuklären. Häufig würden Ungerechtigkeiten bloß aus Unwissenheit geschehen.
Dem entsprechend fordert eine Stimme aus dem Publikum, diese strukturellen Bedingungen sichtbar zu machen. Voraussetzung, um sich gegen diese wehren zu können, sei es, die Strukturen aufzuzeigen. Sieben Zwangsräumungen pro Tag können keine reinen Einzelfälle sein.
Wohnen als Ware.
Ein großes und ausschlaggebendes Problem – darin war sich das Podium einig – bestehe in der Kommodifizierung des Wohnens: im Verständnis der Wohnung als Ware (englisch commodity: Ware). Jahrelang fehlte die Thematisierung des Wohnens seitens der städtischen Regierung und hätte unter anderem zu vermehrter Spekulation geführt und damit zu leerstehenden Wohnungen.
Aber nicht nur diese Untätigkeit, auch bestimmte Tätigkeiten seien, so Sander, der damaligen Regierung anzukreiden: zwischen 2000 und 2006 seien nämlich viele Grundstücke verkauft und somit eine wichtige Grundlage des sozialen Wohnbaus entzogen worden.
Vertikale Gentrifizierung.
Wendts Kritik an der Stadtplanung trifft die so genannte „sanfte Stadterneuerung“. Diese bestehe darin, private Haussanierungen unter der Bedingung zu fördern, die Mieten für zehn Jahre nicht zu erhöhen. Damit könne die Gentrifizierung zwar kurzfristig abgewendet, aber nicht verhindert werden. Der aus den 1960er Jahren stammende Begriff der Gentrifizierung benennt ursprünglich die Verdrängung von Arbeiterklasse-Haushalten durch den Landadel (englisch gentry) in Ostlondon. Während diese Migration aber horizontal geschehen sei, würde sie in Wien vertikal stattfinden: Die oberen Etagen würden, so Wendt, von der Stadtplanung nicht in den Blick genommen. Die untersten Stockwerke eines Hauses würden meist als Sozialwohnungen vermietet, in den Stöcken darüber befänden sich geförderte Genossenschaftswohnungen und die obersten Etagen würden zu „frei finanzierten“ Luxuspreisen vergeben.
Für Wendt besteht die notwendige Lösung in der Selbstorganisation der Mieter*innen. Aber gerade diese werde von den „Befriedungs-Institutionen“ nicht gefördert. Er plädiert deswegen für eine ‚gemeinsame Sache‘: die Entwicklung eines kollektiven zivilgesellschaftlichen Subjekts – jenseits vordefinierter beziehungsweise vorgegebener Organisationen.
Links.
Netzwerk INURA (International Network for Urban Research and Action)
DerStandard (17.12.2012): „In Wien fehlt der Diskurs zur Gentrifizierung“
Soho in Ottakring (Kunst- und Stadtteilprojekt)
„Urbanes Utopia. Linkes Rechthaben für alle“ (GBW-Artikel von Michael Schwendinger)
Bücher.
Kurto Wendt: Der Juli geht aufs Haus. Roman, Wien: Zaglossus 2014.
Der Autor, Andreas Dittrich, studiert Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.