Reihe Netzpolitische Bildung: Open Access.
Das Ideal von Open Access (freiem Zugang) existiert in der Wissenschaft seit der Aufklärung, eröffnet Reckling: Wissen soll frei zugänglich und nutzbar sein. In Zeiten des Internets sollte es daher grundsätzlich online zur Verfügung stehen, verbunden mit dem Recht auf Weiterverwendung. So erschließt sich theoretisch Zugang zum Wissen der Menschheit; für Wissenschafter*innen, aber auch für andere Interessierte, etwa aus Technik, Medizin, Journalismus oder Politik.
Das Geschäft mit dem Wissen.
Weshalb gibt es diesen freien Zugang nicht? Für Reckling liegt der Grund in der marktbeherrschenden Stellung von vier großen wissenschaftlichen Verlagen, die jeweils tausende Fachzeitschriften besitzen. Diese Verlage bieten Bibliotheken ihre Zeitschriften jedoch nicht einzeln sondern nur in Bündeln an. Gemeinsam mit jeder benötigten Fachzeitschrift muss die Bibliothek daher ein Abo auf Zeitschriften erwerben, die sie nicht braucht. Für die Verlage sei dieses Vorgehen ein „Big Deal“ (großes Geschäft). Denn Wissenschafter*innen könnten nicht auf wichtige Artikel verzichten und stattdessen andere verwenden. „Jeder einzelne Artikel bildet eine Art von Monopol“, so Reckling, „und diese Situation nutzen die Verlage natürlich aus.“ So enthalten die Verträge Geheimhaltungsklauseln den Preis der Zeitschriftenbündel betreffend. Diese Intransparenz bringe die Bibliotheken zunehmend unter Kostendruck, da ihnen der Vergleich fehle, wie viel andere bezahlen. Die großen Verlage diktieren also Preise und der Big Deal lohne sich umso mehr, als weder Autor*innen noch begutachtende Wissenschafter*innen Honorare erhalten.
Karin Kuchler beschreibt ergänzend den klassischen Lebenszyklus einer wissenschaftlichen Publikation. Erst würde sie verfasst, in der Regel finanziert durch öffentliche Gelder. Für den Fortgang ihrer Karriere müssen Wissenschafter*innen dann in für ihr Fach möglichst bedeutsamen Zeitschriften veröffentlichen. Damit gehen aber die Verwertungsrechte an die Verlage über. Die Bibliotheken seien dann gezwungen, den Zugang zu der Zeitschrift wiederum mit öffentlichen Geldern zu erwerben. Aber selbst dann sind die Inhalte nicht frei zugänglich. Die Bibliotheken müssen sicherstellen, dass nur Berechtigte aus der eigenen Institution darauf zugreifen können. Das bedeutet, dass im Internet immer mehr Paywalls (Bezahlschranken) existieren, hinter denen das Wissen verborgen bleibt. Das schließt Nicht-Wissenschafter*innen weitgehend aus, behindert den wissenschaftlichen Dialog und trifft besonders jene hart, die außerhalb der reichen Länder forschen.
Für Sigrid Maurer widerspricht das System dem emanzipatorischen Anspruch der Grünen, dass der Zugang zu Bildung und Wissen frei zu sein habe. Gegenwärtig profitieren vor allem die Verlage davon, dass mit öffentlichen Geldern geforscht werde, die Öffentlichkeit hätte wenig von dem produzierten Wissen. Sie wisse von Studierenden, welche die Themen ihrer Abschlussarbeiten ändern mussten, da die notwendige Literatur nicht finanzierbar war. Selbst E-Learning unterliege Einschränkungen: Wenn heute Lehrveranstaltungsleiter*innen als Service eigene Artikel via Internet Studierenden zugänglich machen, bewegen sie sich in einem rechtlichen Graubereich. Aus demokratischer Sicht bedenklich fände sie zudem, dass viele Studien im Auftrag von Ministerien mit öffentlichen Geldern finanziert, aber dann unter Verschluss gehalten würden.

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Open Access: Nicht alles ist Gold.
Open Access versucht dieses System aufzubrechen. Dabei gibt es zwei Ansätze. Als „grünen Weg“ bezeichnet Reckling die Variante, dass Artikel nach sechs bis zwölf Monaten in frei zugänglichen Archiven landen. Die ursprüngliche Erwartung sei gewesen, dass dies das bestehende Verlagssystem zusammenbrechen lasse. Das sei jedoch nicht geschehen, denn in vielen Disziplinen ist das Wissen nach einem Jahr bereits wieder veraltet. Außerdem würden sich in diesen Archiven nur die unbearbeiteten Rohfassungen der Autor*innen befinden, was die korrekte Zitierung erschwere. Daneben gebe es daher den „goldenen Weg“, bei dem sofort Open Access publiziert werde. Dafür müssten jedoch die Verlagskosten refinanziert werden, was entweder über – teils sehr hohe – Gebühren für die Autor*innen oder durch Zuwendungen aus öffentlicher Hand oder Stiftungen geschehe.

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Insgesamt bestehe das Problem, dass sich das Renommee von Fachzeitschriften über Jahrzehnte aufbaue, weswegen Open Access-Projekte nur sehr langsam aufschließen. Auch haben mittlerweile die großen Verlage hier ein Geschäftsfeld entdeckt und bieten Open Access-Zeitschriften an, die trotz hoher Autor*innen-Gebühren von bis zu 5.000 US-Dollar oft nur wenig verlegerische Qualität liefern.
Open Access entwickle sich daher insgesamt langsam, aber stetig und umfasse mittlerweile rund 20 Prozent aller Publikationen. In Österreich stecke es jedoch noch in den Kinderschuhen. Der FWF habe zuletzt etwa acht Open Access-Zeitschriften gefördert. Auch würden viele Universitäten und Forschungseinrichtungen ihren Mitarbeiter*innen empfehlen, Open Access zu veröffentlichen. Die Zukunft liege laut Reckling in Open Access durch die Universitäten selbst. Um dort ein Netz von Open Access-Zeitschriften zu etablieren, bräuchte es jedoch mehr Geld.
Für Karin Kuchler wäre Open Access sehr geholfen, wenn sich das akademische Karrieremodell ändern würde, das derzeit auf Publikationen in möglichst renommierten Zeitschriften beruhe. Dies könne man etwa abschwächen, wenn auch Leistungen in der Lehre berücksichtigt würden, wie es im anglo-amerikanischen Raum zum Teil bereits geschehe. Sie wies jedoch darauf hin, dass auch nicht-kommerzielle Open Access-Verlage trotz hoher Gebühren oft fragwürdige Copyright-Regelungen treffen. Die Gebühren seien zudem oft für junge Wissenschafter*innen ein Problem, da sie diese nicht aus Forschungsgeldern abdecken könnten.

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Den letzten Punkt nahm Sigrid Maurer auf, um darauf hinzuweisen, dass viele Wissenschafter*innen in prekären Verhältnissen arbeiten und sich von einem Projekt zum nächsten durchschlagen. Sie wies auch den Vorwurf zurück, dass Open Access-Publikationen unter mangelnder Qualität litten. Gerade weil auch bei der traditionellen Veröffentlichung die Peer Review (Begutachtung durch Wissenschafter*innen) nicht bezahlt werde, sei deren Qualität oft schwach und daher das gesamte System zu hinterfragen.
Der Autor, Thomas Mördinger, hat Kommunikationswissenschaften studiert und ist Mitglied der Redaktion der GBW Wien.