Schwarz und Weiß - Wir und unser Bild der „Anderen“.
Dieser Diskurs spielt vor allem rechten Populisten*innen in die Hände, die nun, trotz ihres teils archaischen Frauenbildes, sich selbst plötzlich zu den neuen Verteidigern der Frauenrechte stilisieren und doch vor kurzem gerade noch gegen die Verschärfung des Sexualstrafrechtes waren. Im Zentrum einer fragwürdigen Berichterstattung steht nicht die Schande sexueller Gewalt gegen Frauen und dass diese häuslich ist, die Opfer ihre Täter in der Regel also kennen, sondern die Herkunft einzelner Täter wie in der Silvesternacht in Köln. Opfer erfahren in der medialen Ausschlachtung nur wenig Aufmerksamkeit. Das Thema wird fast ausschließlich in Zusammenhang mit „fremden“ Männern gesehen und negiert dabei das tatsächliche Ausmaß und die zahllosen Jahresringe, die dieses Problem schon hat.
Am 09. Juni 2016 wurde im Depot in der Wiener Breitegasse zum „Minenfeld“ Geschlechterverhältnisse und Einwanderungsgesellschaft rege diskutiert. Die Podiumsdiskussion mit Heidi Pichler (Mitarbeiterin von Peregrina und Trainerin Technik „Drehungen“/ Gewaltprävention von Frauen für Frauen), Paul Scheibelhofer (Sozialwissenschaftler, Geschlechterforscher und Sexualpädagoge), Nour-El-Houda Khelifi (Studentin und freie Journalistin: Biber, Wiener Zeitung, ORF) und Leila Hadj-Abdou (Projektteam Caritas „Commit“ – Pat_innenschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) wurde von Fanny Rasul moderiert und war gut besucht.
Konstruierte Bilder als mediale Schürhaken.
Als Schürhaken einer emotional aufgeladenen Thematik sieht Nour-El-Houda Khelifi vor allem die Rolle der Medien. Selbst die so genannten seriösen beeinflussen mit Sprache die Meinung der Massen und tragen mit schwarz-weiß gezeichneten Bildern zu einem Perspektivenwechsel bei, der Flüchtlinge von Schutzsuchenden zu potentiellen Tätern macht. Leila Hadj-Abdou verortet hier den idealen Nährboden für die Politik der Angst, die sich in diesen Projektionen vom bedrohlichen Fremden bestätigt sieht. Alte, längst überwunden geglaubte, teils wirkmächtige Bilder des gefährlichen, schwarzen Mannes und der sich ständig in Angst befindenden weißen Frau feiern „fröhliche“ Urständ und tragen zur Radikalisierung der Gesellschaft bei.
Für die EU und deren Migrationspolitik kamen die Vorfälle zu Silvester in Köln gerade recht, so Paul Scheibelhofer. Als frustrierte, männliche Flüchtlinge an Europas Grenzzäunen randalierten, wurde das als Bildpolitik verwendet, um dem restriktiven Grenzregime Legitimation zu verleihen. Derweil sind sexuelle Klischees nach wie vor in einer kulturalisierten Gesellschaft omnipräsent und von Rassismus, der oft Ablehnung und Begehren zugleich ist, geprägt. So wird im türkischen Mann einer gesehen, „der wenigstens noch, so wie früher, die Hosen an hat“. Dafür wird er genauso bestraft wie beneidet. Diese soziale Normierung betont in den meisten Fällen das vermeintlich Beste oder eben das vermeintlich Schlechteste, was man in den „Anderen“ zu sehen glaubt. Wer hat es nicht schon gehört, die verklärte Vorstellung des Arbeiters mit Migrationshintergrund, der von Natur aus als härterer Malocher als die meisten Österreicher*innen gilt, sagt Scheibelhofer. Die Wurzeln der Konstruktion des „Fremden“ greifen Tief im Nährboden eines nach rechts gerückten Europas. Die schrecklichen Ereignisse in Köln werden also gekonnt genutzt, um gegen den angeblich gefährlichen Mann aus dem Ausland Stimmung zu machen. Die Opfer von Köln stehen leider im Schatten dieser Rhetorik.
Islam und Frauen.
Gerne wird der ethische Entwicklungsstand einer Gesellschaft an den Rechten der Frauen gemessen. Dass viele Frauen in arabischen Ländern diese Rechte oft nicht erfahren dürfen, ist kein Geheimnis. Dieser Umstand fruchtet jedoch nicht per se im Islam als Religion, sondern wird von mächtigen Akteuren*Innen aus Politik und Religion gelenkt. Dabei wird Sexualität von Frauen tabuisiert und Unterdrückung gerechtfertigt. Dies wird genauso oft ausgeblendet, wie die Tatsache, dass viele Flüchtlinge genau deshalb flüchten müssen. Wer in Syrien für Frauenrechte eintritt, wird dort als Gefahr für die Ordnung im Land eingestuft. Es stranden also nicht durchwegs kulturell überforderte, ungebildete Menschen aus diesen Ländern an Europas Gestaden. Mit einer derartigen Verallgemeinerung einer ganzen Region werden die vielen Mosaiksteine dieser heterogenen Gesellschaft übersehen, während gleichzeitig die eigenen Jahrzehnte alten Probleme – und hier vor allem Gewalt gegen Frauen - ignoriert werden. Heidi Pichler nennt dies „Überhöhung des Eigenen“: Das Beste unserer Gesellschaft steht für uns, das Schlechteste der anderen Gesellschaft für die Fremden“. Warum jedoch verläuft dieser Diskurs so oberflächlich? Die Vielschichtigkeit des Themas wird übersehen, sagt Leila Hadj-Abdou. Schließlich sind Schutzsuchende nicht nur Flüchtlinge. Sie sind Frauen, Männer, Mütter, Söhne, Tischler*innen oder Ingenieur*innen. Wer nur auf eine Facette seines Seins reduziert wird, kann schwer Gleichberechtigung als vollwertiges Mitglied einer Gesellschaft erfahren.
Gewalt und Medien.
Die mediale Berichterstattung geht indes am Kern des Problems vorbei, stellt nur die Frage nach etwaiger Herkunft von Gewalttätern, nicht aber jene nach den Ursachen von Gewalt gegen Frauen im Alltag. Die Silvesternacht in Köln wurde so zur Auferstehung des „wilden Mannes aus Afrika“ inszeniert, während sämtliche Gewalttaten von Einheimischen an Frauen zum Beispiel beim Oktoberfest nur selten jemanden aus der Reserve locken.
Um diese scheinheilige Debatte nicht gänzlich rechten Populisten zu überlassen, muss das Thema Gewalt gegen Frauen wieder als das beleuchtet werden, was es ist: ein gesamtgesellschaftliches, inhärentes Problem. Das Podium war sich einig: Dem rechten Neologismus des bösen fremden Mannes muss auch medial entgegen getreten werden. Flüchtlinge und Frauen müssen vermehrt zu Wort kommen, Vorurteile mit einer offenen und differenzierten Debatte wieder abgebaut werden. Es gibt (wieder) viel zu tun.
Der Autor, Tobias Natter, hat in Wien Internationale Entwicklung studiert und ist Mitglied der Redaktion der Grünen Bildungswerkstatt Wien.