Sebastian Bohrn Mena - Mein Recht auf Stadt: „Wiener Räume"
Wenn man an frei zuga?ngliche Ra?ume ohne Konsumzwang in der Stadt denkt, fallen einem leider nicht allzu viele ein - vielleicht die o?ffentlichen Gru?nfla?chen, außerhalb der Sperrzeiten natu?rlich. Die es in manchen Wiener Bezirken mehr, in anderen weniger gibt und die auch nicht fu?r alle immer nutzbar sind: Aus einigen werden Hundehalter*innen aufgrund eines strikten „Hundeverbots“ mit ihren vierbeinigen Freunden verbannt, in anderen gibt es keine Spielanlagen fu?r Kinder und auf nicht wenigen Gru?nfla?chen finden nahezu durchgehend Feste, Feiern oder sonstige Großveranstaltungen statt. Und jene Gru?nfla?chen, die da zeitlich und ra?umlich „u?brig bleiben“, sind in den Sommermonaten aufgrund der geringen Alternativen so u?berfu?llt, dass man auch ohne fremdbestimmtes Programm fast schon einem „Fest“ beiwohnen muss.
Abseits der Gru?nfla?chen ist der o?ffentliche Raum in unserer Stadt, wie in den meisten anderen, in erster Linie funktional determiniert: Menschen werden in sogenannten „Kulturarealen“ subtil oder offensiv angehalten zu konsumieren, Fla?chen ko?nnen oft nur entgeltlich genutzt werden. Die vorhandenen Fla?chen sind meist nicht auf eine freigewa?hlte, eigenbestimmte Nutzung ausgelegt sondern suggerieren von vornherein eine bestimmte Aktivita?t. Ruhe, Na?he zu sich selbst oder zu jenen, mit denen man den Ort besucht, findet man zudem in Wien nur unter der Bedingung einer fast schon u?bermenschlichen Verdra?ngungsleistung – denn die Durchdringung eines jeden Wiener Stadtraumes durch Werbung in der einen oder anderen Form, ist allgegenwa?rtig.
Dabei ko?nnen Orte und Momente der „Funktionsfreiheit“ auch Orte und Momente der Stille, der kritischen Reflexion, der echten Begegnung, des Austauschs mit anderen Menschen sein. Sind diese im o?ffentlichen Raum nicht gegeben, bleibt oft nur die geschu?tzte Spha?re des Eigenheims. In Ermangelung ausreichenden Wohnraums ist aber auch diese Option fu?r viele Menschen eher Farce als echte Mo?glichkeit. Die Bedingungen fu?r den Zugang zu Gemeindewohnungen werden stetig verscha?rft, Mietpreise steigen entgegen der Einkommensentwicklung in unverha?ltnisma?ßige Ho?hen und immer mehr hat man als Einwohner*in Wiens den Eindruck: „Es gibt mich nicht und soll mich auch nicht wirklich geben, wenn ich nicht das notwendige Geld zur Verfu?gung stellen kann.“ Da Wien in den na?chsten Jahren stark wachsen wird, der Zuzug nicht in erster Linie nur Menschen mit einem sehr hohen Einkommen betrifft, verscha?rft sich diese Situation zwangsla?ufig immer mehr.
Der Kapitalismus ist die dominante Wirtschaftsordnung unserer Zeit. Wie selbstversta?ndlich pra?gen die Mechanismen des Marktes unseren Alltag, also die Realita?ten die wir sowohl materiell als auch immateriell vorfinden und bis zu einem gewissen Grad reproduzieren. So ist auf der Ebene der „Einrichtung“ unserer urbanen Umgebung in einer Stadt wie Wien fast nur farbig und einladend, was auch Werbung fu?r diverse Produkte und Dienstleistungen darstellt.
Eine Kunstaktion im Jahre 2005 in Wien („Delete“ von Christoph Steinbrenner und Rainer Dempf) verdeutlichte das Ausmaß der kommerziellen Bebilderung/Beschriftung auf einer La?nge von 200 Metern in der Wiener Neubaugasse. Jedes Logo, jedes Schild und jedes Plakat wurden damals mit gelben Stoffbahnen und Folien verdeckt. Was beim Spazieren durch die Straße dabei u?brig blieb, war eine Mischung aus melancholischem Beton-Grau und penetrantem Gelb. Plo?tzlich wurde sichtbar, wie u?berma?ßig stark die Werbung den sta?dtischen Raum okkupiert.
Die kapitalistische Stadt
Mit ausreichend Geld kann, so scheint es, jede o?ffentliche Fla?che genutzt werden. Ob fu?r gastronomische Angebote, fu?r Verkaufssta?nde oder sei es fu?r mehr oder weniger groteske (weil maximal wahrnehmbare) Werbeaktionen. Wer genu?gend Geld mitbringt, dem wird die Stadt geo?ffnet – nicht nur sind nahezu alle Prunkra?ume der Republik und Stadt in Wien gegen teures Geld mietbar, es werden auch Genehmigungen fu?r Aktivita?ten erteilt, die mit anderen, nicht-o?konomischen Interessen kollidieren (bspw. Partyzelte auf Wiesen, die eigentlich der Erholung dienen sollten). Und so verfestigt sich der Eindruck, dass mit ausreichender Finanzkraft individuell Ra?ume und Orte geo?ffnet sowie Mo?glichkeiten ero?ffnet werden ko?nnen, die sonst nicht zuga?nglich wa?ren. Ohne Probleme werden die Kultureinrichtungen unserer Stadt fu?r Werbezwecke Konzernen zur Verfu?gung gestellt – und gerne auch der Verkehr unterbrochen, wenn es die Show beno?tigt.
Warum eigentlich? Was ist der Wert unseres Lebens? Alle Jahre wieder ho?ren wir jedenfalls, dass Wien angeblich die lebenswerteste Stadt der Welt wa?re. Da hat Mercer, als studiendurchfu?hrendes Unternehmen, eben nur die eigenen Mitarbeiter*innen beurteilen lassen (vgl. www.mercer.at). Und die haben in erster Linie aus den Augen (und Portemonnaies) von „Expatriates“ geblickt, als sie die Großteils kommerziellen Angebote der Stadt mit Top-Noten bewerteten. Die entscheidenden Bewertungen gab es fu?r die Verfu?gbarkeit von hochpreisigen Wohnungen, internationalen Schulen, oder ebenso teurer Kunst und Kultur. Aber machen diese Aspekte eine Stadt wirklich „lebenswert“, und falls ja, fu?r wen? Wohl maximal fu?r jene, die es sich auch leisten ko?nnen. Und auch betreffend dieser kleinen Elite mu?ssen wir dringend zur Diskussion stellen, ob u?ber den existenziellen Rahmen hinausgehende Konsum(fa?higkeit) und die entsprechenden Angebote dazu, tatsa?chlich den Wert des Lebens auch nur anna?hernd zu begru?nden imstande sein ko?nnen.
Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Unser derzeitig u?berbordendes (weil weit u?ber den realen Bedarf hinausgehendes) Konsumverhalten la?sst die Interpretation zu, dass wir einer immer sta?rkeren Entfremdung anheimfallen, Gefu?hle der Isolation und des Selbstwertverlustes zunehmen und wir diese psychischen Belastungen mit Konsum zu kompensieren suchen: „Wir lernen nicht, in uns hineinzuho?ren und herauszufinden, was uns eigentlich am Wertvollsten und am Wichtigsten ist. Das wa?ren dann die sogenannten intrinsischen Werte. Die sind eben nicht an Geld, Macht oder Konsum gebunden, sondern daran, etwas Sinnvolles im Leben anzufangen, Kompetenzen zu entwickeln, auf gelingende Beziehungen und eine intakte Natur zu achten, worin man sich dann entfalten, frei und glu?cklich werden kann. Konsum ist die Ersatzdroge fu?r das alles, fu?r die Grundbedu?rfnisse, die im Kapitalismus nicht befriedigt werden“, beschreibt Christian Felber, Initiator der Gemeinwohl-O?konomie, hierzu (vgl. Interview mit Christian Felber vom 7. April 2015, siehe www.politicas.at/felber).
Ob in Schulen, Krankenha?usern oder anderen o?ffentlichen Einrichtungen, ob auf Straßen, Wohnhauswa?nden oder in Parks, kaum ein Platz der ohne die vielen bunten Fotos und Schriftzu?ge auskommt, die uns verleiten sollen, etwas zu kaufen. Sogar in der intimsten Spha?re der eigenen vier Wa?nde sind wir von Unterhaltungs- und Informations-Instrumenten umgeben, die wir selbst dort platzieren. Internet, Fernsehen, Radio, Magazine, Bu?cher, DVDs – unser zu Hause ist voll von den Reizmitteln des Marktes, die uns mittlerweile via Smartphones schon u?berall hin begleiten. Kaum ein stiller Moment oder ruhiger Ort, an dem wir uns nicht berieseln lassen (mu?ssen). Umso wichtiger erscheinen vor diesem Hintergrund Ra?ume, die mo?glichst befreit sind vom Fremdeinfluss durch die „verfu?hrerischen“ Bilder der Werbeindustrie.
Denn das, was da ta?glich einer Flut gleich auf unser Unbewusstes einwirkt, ist in den allermeisten Fa?llen Produkt einer gewaltigen High-Science-Maschinerie: Die Marktforschung arbeitet mit den innovativsten technologischen, neurowissenschaftlichen und psychologischen Methoden, um die „perfekte Werbung“ fu?r das mehr oder weniger unfreiwillige Publikum ihre Auftraggeber*innen zu kreieren. Da werden menschliche Versuchskaninchen scharenweise in Kernspintomographen gesteckt, ihre Hirnresonanzen beim Aufscheinen gewisser Bilder, Farben und Sujets getestet, mit Wa?rmebildkameras und Pupillen-Aufzeichnungsgera?te durch Sta?dte begleitet, um zu sehen wo sie la?nger stehen bleiben und bei welchen Fotos sich ihre Pupillen weiten.
Psycho-Tests werden durchgefu?hrt, damit herausgefunden werden kann, welche Botschaften die eindru?cklichste Wirkung hinterlassen und wie man welche Zielgruppe am besten erreichen kann. Ein Milliarden-Dollar-Gescha?ft und eine Armada an Top- Wissenschaftler*innen arbeiten u?ber Jahrzehnte hinweg daran, die manipulative Kraft der Werbung so zu professionalisieren, dass sich sogar die reflektierteste Person ihres Einflusses kaum mehr verwehren kann. Ganz abgesehen vom Welleneffekt der ebenfalls manipulierten sozialen Gruppe, auf den hier aus Platzgru?nden nicht na?her eingegangen werden kann.
So sollte es Ra?ume in der Stadt geben, die dieser Entwicklung ein Gegengewicht entgegen stellt. Wenn wir dem Bombardement der Werbung entfliehen wollen, du?rfen der weit entfernte (und dadurch nicht fu?r alle erreichbare) Wald oder der wiederum limitierte Park nicht die einzigen Refugien sein, die wir zur Auswahl haben. In einem Stadtraum, dessen Erscheinungsbild zum Großteil durch Steuergelder finanziert wird, mu?ssen auch die Grundbedu?rfnisse der darin wohnenden und arbeitenden Menschen Platz haben.
„Die Gru?nen“ haben mit dem Projekt zur Verkehrsberuhigung auf der Mariahilfer Straße scheinbar einen Schritt in Richtung eigenbestimmt nutzbarer Ra?ume verwirklicht. Nichts desto trotz ist der Rahmen „Mariahilfer Straße“ eher wenig geeignet, um damit ein Exempel fu?r vorhin erwa?hnte Raumideen zu statuieren. Denn eine von Einkauf & Verkauf nur so strotzende Kommerz-Meile zur „Begegnungszone“ zu gestalten, versta?rkt den Eindruck, dass Begegnung nur im Kontext von Geld-Ausgeben gefo?rdert wird. Was es braucht, sind aber Begegnungsra?ume in Teilen Wiens, die nicht in den kapitalistischen Alarmzustand „Kauf ein! Kauf ein! Kauf ein!“ versetzen. Hingegen sollten diese Ra?ume mo?glichst den Besucher*innen u?berlassen, was sie mit ihrer Zeit dort anfangen sollten.
Die psychologischen als auch neurologischen Auswirkungen von Werbung auf Menschen, insbesondere Kinder, sind nicht zu verhindern. Vor diesem Hintergrund, ist das U?bermaß an Werbung im o?ffentlichen Raum ho?chst kritisch zu betrachten: Wenn man sich davor nicht schu?tzen kann, muss es das Recht geben, sich dem zu entziehen. Dieses Recht kann aber nur dann sinnvoll sein, wenn es auch die entsprechenden, kostenfreien und leicht zuga?nglichen Mo?glichkeiten dazu gibt. Denn nicht jede*r hat Zeit und andere Ressourcen, die notwendig sind, um den naturna?heren Stadtrand oder andere „gru?nere“ Umgebungen Wiens zu besuchen.
Das hier umrissene Werbeproblem, dru?ckt sich auch auf einer anderen Ebene als sehr nachtra?glich fu?r eine gesunde gesellschaftliche Entwicklung aus: Na?mlich in der Perspektive von Geschlechtergerechtigkeit. Beobachtungen zur spezifischen Darstellungsweisen von Frauen auf Werbeplakaten zeigen, dass 1. Frauenbilder am ha?ufigsten zur Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen vorkommen, diese Frauenbilder 2. meist sexualisiert werden oder 3. in einer teils mittelalterlichen Rolle vorkommen und vor allem 4. diese Bilderflut auf die Identita?t von bereits sehr jungen Ma?dchen bis hin zu a?lteren Frauen starke und Großteils negative Auswirkungen hat. Mangelndes Selbstbewusstsein und ein u?bertriebener Fokus auf (ka?ufliche) A?ußerlichkeiten lenken die Energie von Ma?dchen und Frauen mehrheitlich in eine Richtung, die ihre gesellschaftliche Partizipation nur mangelhaft sta?rkt.
Doch die Auswirkungen lassen sich bei weitem nicht nur in der weiblichen Psyche verorten, sondern selbstversta?ndlich auch in der ma?nnlichen. Die Gewohnheit des Anblicks derartiger Bilder schafft eine Erwartungshaltung bei allen Geschlechtern, die zu einer sozialen Atmospha?re beitragen, in der sowohl Ma?nner als auch Frauen das weibliche Geschlecht unter Druck versetzen, mo?glichst dem Bebilderten (weil Idealisiertem) zu entsprechen. So sehen sich viele Ma?dchen und Frauen mit einer Art gesellschaftlichem Liebesentzug konfrontiert, wenn sie von den Trugbildern der kommerziellen Scho?nheit allzu sehr abweichen. Deshalb brauchen wir Ra?ume die vor allem auch als emanzipatorische Ra?ume der Befreiung wirken, weil wir uns dort von der Flut erholen ko?nnten. Nur eine Alternative zum sexistischen Bilder-Bombardement gibt den Menschen die notwendige Ruhe, um u?ber die kommerziell gestalteten Ra?ume zu reflektieren.
Wir haben nun viel u?ber die derzeitige Situation gesprochen, haben Problemstellen, Zusammenha?nge und Auswirkungen beispielhaft aufgezeigt. Dieser Text soll aber nicht in erster Linie eine Kritik an den bestehenden Zusta?nden in Wien sein sondern vielmehr eine begru?ndete Anregung kommunizieren, wie wir den Herausforderungen begegnen ko?nnen. Unter Einnahme einer solidarischen Perspektive – denn es ist immer eine Frage der Haltung, wie man Stadtentwicklung anlegt.
Zweifelsfrei kann auch weiterhin im Rahmen der Raumnutzung Kapitalismus als dominanter Strukturfaktor bestehen bleiben und dadurch sicherlich auch die eine oder andere Wertscho?pfung fu?r den Wirtschaftsstandort lukriert werden. Ich mo?chte aber einen anderen Zugang vorstellen, der dazu beitragen soll die Wiener Bevo?lkerung bei der emotionalen und geistigen Emanzipation von Mechanismen und Strukturen der Unterdru?ckung und Ausbeutung zu unterstu?tzen.
Vision „Wiener Räume“:
Stärkung der Zivilgesellschaft, wider die Verwertungslogik
Wie bereits einleitend erwa?hnt ist es aus meiner Sicht in einer Stadt essentiell, Orte der Begegnung zu schaffen, die Menschen den Rahmen bieten sich frei zu entfalten und andere Menschen, ihre Ideen und Aktivita?ten na?her kennenzulernen. Ohne implizierter vor- oder nachgeschalteter kapitalistischer Verwertungslogik. Ohne thematische Einschra?nkungen oder Limitationen, die u?ber selbstversta?ndliche Nutzungsbedingungen hinausgehen.
Die Erweiterung der Identita?t u?ber die Grenzen der Sozialisation einer abgeschlossenen Einheit und der innewohnenden Rollen-Konditionierungen hinaus ist aus meiner Sicht essentiell fu?r eine demokratische und solidarische Gesellschaft. Sie ermo?glicht uns ein Selbstversta?ndnis als inklusiver Teil einer Gesamtheit, die mehr als eine Zweckgemeinschaft ist. Die sich nicht als Gebilde von konkurrenzierenden Gefa?ßen versteht. Die nicht auf vorbestimmten und nur eingeschra?nkt vera?nderbaren Rahmenbedingungen basiert wie beispielsweise Nationalita?t, Geschlechterzugeho?rigkeit oder soziokulturellen Determinanten. Der o?ffentliche Raum kann, richtig genutzt, zu einer natu?rlichen Mediationsfla?che unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen und Dynamiken werden.
Was eine Großstadt wie Wien daher braucht sind Ra?ume, die von vornherein so konzipiert sind oder entsprechend umfunktioniert werden, dass sie einerseits Informationen bu?ndeln und andererseits partizipativ Gemeinschaftsaktivita?ten anregen und ermo?glichen. Dabei ist der architektonische Aspekt einerseits natu?rlich wichtig, andererseits aber auch sekunda?r – ob in bestehenden Fla?chen oder in Neubauten ist nicht so bedeutsam wie das Arrangement der Umgebung, wie die Funktionalita?t fu?r mo?glichst unterschiedliche Bedu?rfnisse und die freie Zuga?nglichkeit. Keinesfalls sollte man sich zu stark und lange damit bescha?ftigen welche technischen Gegebenheiten beno?tigt werden, keinesfalls darf man sich in der Diskussion auf budgeta?re Mo?glichkeiten fokussieren – worauf ich in weiterer Folge noch eingehen werde.
Imaginieren wir zuna?chst die Vision fu?r einen Moment in einer ho?chstperso?nlichen Perspektive: es gibt einen Ort bei mir um die Ecke, wo ich hingehen kann um mir Informationen zu o?ffentlichen Leistungen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zu holen, mir Wissen aneignen kann und wo Kultur passiert. Wo ich selbst Kultur machen und wo ich selbst Wissen vermitteln kann, wenn ich das mo?chte. Wo ich mich mit anderen Menschen austauschen kann – egal wie alt ich bin, egal in welchen sozialen Verha?ltnissen ich mich befinde. Wo es keine Restriktionen hinsichtlich Sprache, Instrumentarium oder Methode, Zielgruppe oder thematischer Schwerpunkte gibt. Wo kein sich selbstverwirklichendes Kuratorium determiniert wie und wann ich sein darf.
Ich brauche, um hier wirken zu du?rfen, keinen Mitgliedsausweis, keinen Nachweis der Staatsbu?rgerschaft, muss keinen Beitrag bezahlen, muss nicht bereits einen Zweck erfu?llen. Es ist ein Ort von dem ich weiß, dass ich das Recht habe Mensch zu sein, wie ich bin, weil ich bin. Wo ich sein darf, ohne funktionieren zu mu?ssen, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten, weil es keine Gefa?lligkeit sondern eine Selbstversta?ndlichkeit ist. Wo ich auch kritisch politisch sein kann, weil ich ein*e emanzipierte*r Bu?rger*in bin.
Wo ich mit anderen Bu?rger*innen in einen Diskurs treten kann, wo NGOs und Initiativen auf ihre Forderungen und Anliegen aufmerksam machen ko?nnen. Wo es keine Genehmigung braucht um sich zu versammeln, wo es keine Bewilligung braucht um seine Meinung in beziehungsweise mit einer Gruppe zu demonstrieren.
Wenn es uns gelingt solche Ra?ume zu schaffen oder bestehende Fla?chen in diesem Sinne zu nutzen, ko?nnte das mehrere positive Effekte haben: das authentische Erleben von Vielfalt und die Reduktion von A?ngsten, der ungezwungene Austausch von Generationen, Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen. Die Entstigmatisierung von Menschen die strukturell diskriminiert werden. Die Sta?rkung des berechtigten Gefu?hls, dass man Mensch sein darf, ohne KonsumentIn, MitarbeiterIn, Bedu?rftige etc. sein zu mu?ssen. Ein Beitrag zur schrittweisen Umsetzung des Rechts auf Stadt, des Rechts auf Kultur, des Rechts auf Partizipation und so weiter.
Synergien nutzen, Strukturen vernetzen: Systemlogiken an eine neue Zeit anpassen
Wechseln wir nun von der Vision auf die Umsetzungsebene und betrachten wir hierzu beispielhaft zuna?chst die bestehende o?ffentliche Infrastruktur. In nahezu jedem Wiener Bezirk finden wir sta?dtische Einrichtungen wie Bu?chereien (40 Standorte), Volkshochschulen (34 Standorte), Museen (29 Standorte), Jugendzentren (25 Standorte) oder PensionistInnenklubs (160 Standorte), um nur einige zu nennen (vgl. entsprechende Tra?ger*innen- bzw. Einrichtungshomepages). Ihnen allen ist gemein, dass sie bereits massiv (unter anderem) von der Kommune gefo?rdert oder im Eigentum der Stadt Wien befindlich sind. Sie alle haben demnach den Auftrag ein sta?dtisches Angebot umzusetzen und verfu?gen neben entsprechenden Ra?umlichkeiten auch u?ber finanzielle Mittel in Millionenho?he, um diesem Kultur-, Bildungs- oder Freizeitauftrag nachzukommen.
In einigen Fa?llen gibt es bereits bestehende Kooperationen zwischen diesen Einrichtungen, die darauf abzielen gemeinsame Zielgruppen gebu?ndelt anzusprechen oder Synergie-Effekte nutzbar zu machen. Andererseits werden a?hnliche Leistungen an unterschiedlichen Orten zu gleichen Zeiten fu?r a?hnliche Personengruppen angeboten, vielfach mit dem Resultat, dass jeweils nur wenige Menschen diese beanspruchen ko?nnen. Ob dies gewollt oder unbeabsichtigt passiert, hier gibt es aus meiner Sicht ein großes Potential im Zuge eines Abstimmungsprozesses die Qualita?t und die Effektivita?t der Angebote dieser Einrichtungen im Sinne einer Kosteneffizienz zu steigern.
Abgesehen von dieser Ineffizienz in der inhaltlichen Abstimmung, stehen die Ra?umlichkeiten all dieser Einrichtungen zu einem maßgeblichen Anteil leer. Das ergibt sich auch logisch aus den unterschiedlichen Bedu?rfnissen der adressierten Zielgruppen, wenn man beispielsweise Schulzeiten, Arbeitszeiten etc. beru?cksichtigt. Diese Leerzeiten werden unterschiedlich genu?tzt: So vermieten manche Einrichtungen ihre Ra?umlichkeiten entgeltlich (siehe oben: Geld o?ffnet Ra?ume und ero?ffnet Mo?glichkeiten), andere o?ffnen sie fallweise fu?r NGOs oder versuchen die Ra?ume auf eine andere Weise nutzbar zu machen.
Dennoch ist diese Raumvergabe nach Belieben nur zu einem gewissen Grad erfolgreich, da viele Tra?ger*innen nicht u?ber ein entsprechendes Konzept oder Knowhow verfu?gen bzw. es auch vielfach gar nicht beabsichtigt ist, eine alternative Raumnutzung zu ermo?glichen. Es ist grundsa?tzlich eben nicht Teil des Auftrags und Selbstversta?ndnisses vieler Einrichtungen bzw. ebenda agierender Entscheidungstra?ger*innen, die zur Verfu?gung stehenden, von der Allgemeinheit finanzierten Fla?chen, auch der Allgemeinheit zur Verfu?gung zu stellen, sofern der eigentliche Zweck nicht hinreichend erfu?llt werden kann.
Hier sehe ich einen konkreten Ansatzpunkt: Wenn in jedem Bezirk mehrfach Fla?chen verfu?gbar sind, die oftmals sogar relativ gut ausgestattet sind, so ko?nnte man diese fu?r Gemeinschaftsaktivita?ten o?ffnen. Und hierdurch einen doppelten Effekt nutzbar machen: Einerseits werden bestehende Steuermittel wirkungsvoller eingesetzt, weil mehr Menschen in den Genuss der bereits subventionierten Infrastruktur kommen als die urspru?nglich intendierten Zielgruppen. Andererseits werden mehr Menschen auf die Existenz und Vorzu?ge ebendieser Einrichtungen aufmerksam, wodurch mitunter sogar Werbekosten eingespart werden ko?nnten.
So scho?n, einleuchtend und notwendig diese Vorstellung sein mag, so mu?hsam gestaltet sich in der Praxis vermutlich auch eine entsprechende Umsetzung. Obgleich vielfach von ein und derselben Stelle finanziert (bspw. MA13), haben all die beispielhaft genannten Tra?ger*innen und Einrichtungen ihre eigene, historisch gewachsene Operationslogik. Die (Großteils) von der Allgemeinheit finanzierten Strukturen sind hierdurch nicht der Allgemeinheit zuga?nglich sondern zumeist entlang des Selbstversta?ndnisses der jeweiligen Einrichtung bzw. ihrer Entscheidungstra?ger*innen und oder nochmal versta?rkt durch eine o?konomische Barriere.
Es mu?sste grundsa?tzlich ja umsetzbar sein eine Form der Verwaltung zu etablieren, die sich im gegensta?ndlichen Sinne sta?rker an den Bedu?rfnissen der Bevo?lkerung orientiert und auch eine gro?ßtmo?gliche Effizienz abseits einer Schrebergartenlogik ermo?glicht. In der Praxis ist dies aber vermutlich die gro?ßte Herausforderung, die auch nicht konzeptionell sondern vielmehr u?ber eine entsprechende politische Haltung und einen klaren Entscheidungswillen durchgesetzt werden mu?sste. Dabei mu?sste allen Entscheidungstra?ger*innen klar sein, dass konsumfreie Ra?ume die emanzipatorisch wirken, gleichzeitig auch entspannende Effekte auf Problemlagen in einer wachsenden Stadt entfalten ko?nnten.
Es du?rfen daher bei einer etwaigen Realisierung des Konzepts der „Wiener Ra?ume“ aus meiner Sicht nicht Ressort-Zusta?ndigkeiten (Kultur, Bildung, Wohnen, Parks etc.) im Vordergrund stehen sondern sollte es eine absolute Querschnittsmaterie an ho?chster Stelle angesiedelt werden, mit entsprechenden Durchgriffskapazita?ten. Man bra?uchte wohl eine in der Magistratsdirektion angesiedelte Koordinationsfunktion, die sich zum Ziel setzt ein entsprechendes ra?umliches Konzept mo?glichst effizient in den vorhandenen Strukturen nutzbar zu machen. Gleichzeitig mu?sste man den Dialog mit NGOs, Initiativen und Vereinen, sprich der Zivilgesellschaft, suchen und diese mo?glichst von Beginn an einbinden. Nicht nur dass hierdurch auch Kosten gespart werden ko?nnten: Wie oft mieten sich kommunal subventionierte NGOs entgeltlich in Ra?umlichkeiten ein, wa?hrend sie gleichzeitig unter einer angespannten Budgetsituation leiden und die zur Verfu?gung stehenden Finanzmittel fu?r ihren prima?ren Zweck beno?tigen wu?rden?
Um die Vision von „Wiener Ra?ume“ zur Umsetzung zu bringen bedarf es daher eines entsprechenden Bewusstseins, einer in der Verwaltung mo?glichst stark angesiedelten Koordinationsstelle und den politischen Willen hierdurch der expandierenden Stadt und ihrer wachsenden Bevo?lkerung auch tatsa?chlich Raum fu?r eine Weiterentwicklung im hundertfachen mikrodimensionalen Rahmen zu bieten.