Sexarbeit: Prostitutionspolitiken im Vergleich.
Stigma und Moral.
Es schien keine ’normale’ Veranstaltung zu werden: Moderatorin Faika El-Nagashi, sozialpolitische Referentin Grüner Klub im Rathaus, versichert mehrmals in ihrer Einleitung, dass die Diskussion vertraulich behandelt wird. Sexarbeit ist ein Stigma, ein moralisch aufgeladenes Thema. Um hinter die Kulissen des Mythos zu schauen, präsentiert Amesberger die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit. Einmalig, weil noch nie so viele Sexarbeiter*innen zu ihrem Arbeitsalltag in Österreich befragt wurden. Amesberger ist Sozialwissenschaftlerin am Institut für Konfliktforschung Wien und forscht zu den Themenbereichen Prostitutionspolitik, Gewalt gegen Frauen, Rassismus und nationalsozialistische Verfolgung von Frauen.
Prostitutionspolitiken: Theorie und Praxis.
Im ersten Teil des Abends erklärt Amesberger, welche vier Arten von Prostitutionspolitiken unterschieden werden können: (1) Prohibitionistische Regime wie in den USA oder Rumänien kriminalisieren Sexarbeit. (2) Abolitionistische Regime wie in Schweden bestrafen als ’Erziehungsmaßnahme’ die Profiteure und Kunden von Sexarbeiter*innen – die Ausübung ist legal. (3) Regulative Modelle wie das österreichische erlauben Sexarbeit mit Einschränkungen. Die Ausübung ist durch viele Vorgaben geregelt. (4) Das liberalste Modell sei das Sexarbeiter*innenregime, dem bisher Neuseeland am nächsten komme. Hier werde Sexarbeit als Dienstleistung gesehen und mit anderen Berufen gleichgestellt. „Die Art des Prostitutionsmodells hat kaum Effekte auf Angebot und Nachfrage von Sexarbeit. Die Größe des Marktes bleibt annähernd gleich. Das Modell beeinflusst aber die Arbeitsverhältnisse“, fasst Amesberger eines der Ergebnisse zusammen. Andere Faktoren wie Fremdengesetze und allgemeines Sexualverhalten der Bevölkerung beeinflussen die Größe des Marktes viel stärker als die genannten Regime.
(Schlechtes) Vorbild Schweden.
Seit 1999 werden in Schweden unter der Prämisse „Prostitution = Gewalt gegen Frauen“ Profiteure und Kunden von Sexarbeiter*innen mit Bußgeldern bestraft. „In Finnland verloren mehr als 500 Frauen durch ein ähnliches Gesetz ihre Wohnungen, weil auch Vermieter zu den Profiteuren zählen“, so eine Publikumsmeldung. Auch Hilfsorganisationen, die Kondome verteilen, machen sich in Schweden strafbar. Obwohl die Ausübung von Sexarbeit legal ist, werden die Betroffenen de facto bestraft. Einige Folgen des Modells: Die Arbeit verlagert sich auf abgelegene Gegenden; Sexarbeiter*innen nehmen sich aus Angst vor der Polizei weniger Zeit, ihre Freier ’abzuchecken’ bevor sie ins Auto steigen: Die Gewaltrate stieg.
Das Ziel, Prostitution zu verringern, sei nicht erreicht worden. Trotzdem befürworten drei Viertel der Schwed*innen diese Politik und der Ausschuss für Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung der EU empfahl das schwedische Modell in seinem Bericht als Vorbild für ganz Europa. Die Teilnehmer*innen reagieren fassungslos und fragen nach, wie es dazu kommen kann. Dahinter stecke eine starke Lobby1, erklärt Amesberger. Stigmatisierung und Gewaltanstieg würden als Kollateralschäden hingenommen.
Gegenbeispiel Neuseeland.
Nach der Prämisse „je weniger Regeln, desto leichter sind sie zu befolgen“ wurde in Neuseeland ein Prostitutionsgesetz erlassen, das Amesberger zur Gruppe „Sexarbeitsregime“ zählt. Ziel dieses Regimes sei die Stärkung der Menschenrechte und die Förderung von Gesundheit. Sexarbeit gilt als Gewerbe wie jedes andere und sei durch das Arbeitsrecht geregelt. Bordellbetriebe müssten dieselben Qualitätsstandards wie andere Betriebe erfüllen, die Weisungsbefugnis der Bordellbesitzer*innen sei eingeschränkt. Einzige Ausnahme: Minderjährige und Personen mit beschränktem Aufenthaltsrecht dürfen nicht legal in der Sexarbeit tätig sein. Die große Befürchtung, dass das Angebot durch die vollständige Legalisierung explosionsartig ansteige, sei nicht wahr geworden. Die große Errungenschaft des neuseeländischen Prostitutionsregimes sei die Einbindung von Sexarbeitsorganisationen in alle Schritte der Gesetzeseinführung. Eine Evaluierung im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2013 zeigte Vorteile und Herausforderungen dieses Modells auf: Die Zurückweisung von Freiern sei leichter, das Verhältnis zur Polizei besser und der Dialog mit anderen Akteuren möglich.
Situation in Österreich.
In Österreich ist die Ausübung von Sexarbeit streng geregelt. Arbeitsrechtlich gelten Sexarbeiter*innen als neue Selbstständige. In den meisten Bundesländern ist die Ausübung nur in Bordellen erlaubt. In Oberösterreich und Wien auch in Laufhäusern und in Straßenzonen, wenn auch hier oft nur theoretisch. Die durchschnittliche Arbeitswoche von Sexarbeiter*innen beträgt 60 Stunden. Die in der Öffentlichkeit positiv konnotierten Laufhäuser seien durch die hohen Fixkosten am unbeliebtesten bei den Befragten, so Amesberger. Der Druck Geld zu verdienen und gegebenenfalls ohne Pausen zu arbeiten, sei höher, weshalb manche Frauen die Arbeit auf der Straße bevorzugen. Beschränkt die Gesetzgebung die legale Ausübung auf Bordelle, erhöht das die Abhängigkeit der Sexarbeiter*innen von den Bordellbesitzern. Es zeigt sich, dass die von der Öffentlichkeit favorisierten Modelle meist jene sind, bei denen die Sexarbeiter*innen am schlechtesten aussteigen.
„Was können wir tun, damit sich die Situation verbessert?“, fragte eine Teilnehmerin. „Zeigen Sie Solidarität, wo immer Sie können. Schreiben Sie einen Brief an den Bezirksvorsteher!“, war die Antwort eines Vertreters der Sexarbeiter*innenorganisation sexworker.at. Er berichtete aus seiner langjährigen Erfahrung: Das ideale Modell für die Sexarbeiter*innen seien Stundenhotels. „Die Frauen könnten vor den Hotels anbahnen und im relativen Schutz der Hotels arbeiten. Die Zimmerkosten tragen die Freier“. Leider setzen sich die besten Lösungen für die Sexarbeiter*innen politisch meistens nicht durch – im Gegenteil. Daher wäre ein wichtiger und richtiger Schritt die Gestaltung des österreichischen Prostitutionsgesetzes unter Einbeziehung von Betroffenen.
Die Autorin, Nadine Mittempergher, arbeitet im Paulo Freire Zentrum, studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement auf der BOKU und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Fußnote:
1Eine eigens für die Lobbyarbeit des schwedischen Prostitutionsgesetzes eingerichtete Arbeitsgruppe mit einem Jahresbudget von 20 Mio. € versucht das Modell in der EU zu verbreiten.