Sexarbeit und das Recht auf Selbstbestimmung.

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Den Sesselkreis im Grünen Haus in der Lindengasse füllen Studierende, Sozialarbeiter*innen, Vertreter*innen grüner Bezirksorganisationen und andere Teilnehmende. Die Sitzformation sei bewusst gewählt, um für Vertrauen angesichts des sensiblen Themas zu sorgen, betont Faika El-Nagashi (Grüne Wien). Sie moderiert gemeinsam mit Gerlinde Exner-Gibba (Sexualberaterin & Coach) die Veranstaltung „Nur Rechte schützen vor Unrecht! Selbstorganisationen von Sexarbeiter_innen und ihre Forderungen“. Zu Gast sind Vertreter*innen des Vereins sexworker.at.
Nur Rechte schützen vor Unrecht!
Das Abendprogramm startet Faika mit einem Input über Hintergründe des Veranstaltungstitels. Obiger Slogan stamme aus der Selbstorganisation von Sexarbeitenden. Sie hätten ihn bewusst gewählt, um im politischen Diskurs als Berufsgruppe gehört zu werden und Rechte durchzusetzen. Der Begriff Sexarbeit sei ebenso Ausdruck des Wunsches nach Selbstvertretung. Bislang fänden die Forderungen von Sexarbeiter*innen jedoch nicht im gewünschten Maß Eingang in politische Diskussionen und Legislative.
Ein Forum für Sexarbeiter*innen.
Christian ist Administrator des Internetforums sexworker.at und berichtet von dessen Gründung. Ursprünglich hätte ein vom AMS gefördertes Pärchen die Plattform für Sexarbeitende ins Leben gerufen. Er sei aus Sympathie für die Sache eingesprungen, als das Arbeitsamt die Finanzierung vor rund zehn Jahren gekappt habe. Er sei früher selbst Freier gewesen. Dies komme für ihn als Administrator des Forums jedoch nicht mehr in Frage. Er unterstütze die Forderungen von Sexarbeiter*innen nach mehr Rechten, wie jene nach dem Fall der wöchentlichen Untersuchung beim Amtsarzt. Das Forum habe sich mit der Zeit zu einer Art Notfallnummer weiterentwickelt. „Jeder hat eine Meinung, aber keine Ahnung“, bemängelt Christian und betont das Anliegen, den Bereich der Sexarbeit für politische Diskussionen zugänglicher zu machen.
Christine pflichtet dem bei. Sie vertritt sexworker.at in Salzburg. „Ehemalige und aktive Sexarbeiter*innen sollten viel mehr Mitsprache in gemeinnützigen Organisationen haben“, so Christine. Bislang sei genau dies aber nach hinten losgegangen. Christian und Christine berichten von Fällen, bei denen hohe Verwaltungsstrafen gegen Sexarbeitende verhängt wurden, nachdem diese Kampagnen oder Auftritte von sexworker.at namentlich unterstützt hatten.
Sexarbeit als Ausdruck von Vielfalt.
„Zwangsprostitution gibt es nicht! Das ist Vergewaltigung – eines der abscheulichsten Verbrechen, das man einem Menschen antun kann“, bemerkt Christian und stößt eine Diskussion zur notwendigen Auseinandersetzung mit Begriffen an. Er betont, dass sexworker.at ganz bewusst den Begriff Sexarbeit gewählt habe, um die Vielfalt innerhalb dieser Berufsgruppe zu beschreiben. Bei Sexarbeit gehe es um einverstandene, selbstbestimmte Arbeit ohne Zwang, betont er. Faika ergänzt, dass Prostitution moralisch negativ aufgeladen sei, bei Sexarbeit handle es sich hingegen um einen aktivistischen Begriff mit positiverer Besetzung. Dies ermögliche es Allianzen zu bilden und sich mit Akteur*innen aus der Pornoindustrie oder dem Bereich der Erotik-Massagen zu solidarisieren.
Zwangsuntersuchungen für Sexarbeitende.
Anhand eines aktuellen Beispiels beschreiben Christian und Christine die Probleme von Sexarbeiter*innen aufgrund gesetzlicher Regelungen. Österreich sei das einzige Land Europas, das wöchentliche, teils kostenpflichtige, Untersuchungen beim Amtsarzt vorschreibe. Die Behörden hätten ein Stundenhotel im 2. Bezirk nur wegen eines fehlenden Untersuchungsstempels einer Sexarbeiterin geschlossen. Anstatt dass die Freier für ein Zimmer bezahlen, verlagere sich jetzt alles wieder in die Autos. „Diese Untersuchungen sind eine Verletzung der Menschenwürde und gehören abgeschafft“, fordert Christian.
Hohe Verwaltungsstrafen als Form der Diskriminierung.
Was für eine Meinung sexworker.at zur Debatte um den Straßenstrich im 23. Bezirk habe, fragt eine Teilnehmerin. Der Strich gehöre dort nicht hin, meinen Christian und Christine. Beide verweisen auf einen Widerspruch zwischen dem Gesetz, welches die Anbahnung sexueller Handlungen in gekennzeichneten Zonen vorschreibe, und dessen praktischer Umsetzung. Diese Zonen befänden sich in vielen Fällen in großer Distanz zu den Stundenhotels. Eine Person pflichtet dem bei und kritisiert, dass sich der Straßenstrich im 23. Bezirk in einem Industriegebiet befände, ohne jegliche Infrastruktur für Sexarbeiter*innen. Diese Regelungen würden zur Verhängung zahlreicher Verwaltungsstrafen führen, was sexworker.at als Diskriminierung einstuft. Christine nutzt einen Vergleich, um die Problematik zu verdeutlichen. Radfahren ohne Licht koste um die 21 Euro Strafe, für die Anbahnung von Prostitution außerhalb erlaubter Zonen werden hingegen 500 Euro verhängt. Die Lage verschärfe sich durch steigende Kontrollen. In Salzburg wären die Intervalle derart dicht, dass die Kosten für die Einsätze in Wahrheit eine Belastung der Steuerzahlenden darstellten.
In der Abschlussrunde zeigt sich ein Großteil der Anwesenden über die schwierige Lage von Sexarbeitenden bestürzt. Einige Teilnehmende äußern Ratlosigkeit angesichts der problematischen Gesetzeslage im Umgang mit Prostitution. Es gibt aber ebenso hoffungsvolle Stimmen in der Runde, welche Fortschritte bei Durchsetzung der Rechte von Sexarbeiter*innen betonen. Faika nennt ein Radiokolleg von Ö1 zum Thema Sexarbeit als positives Beispiel für die steigende Sensibilisierung. Das größte Lob erhält an diesem Abend sexworker.at für sein Engagement. Man ist sich einig, dass der Verein künftig mehr auf Podien auftreten und in der öffentlichen Meinungsbildung eine größere Rolle spielen sollte.
Die Autorin, Meike Siegner, hat Sozioökonomie an der WU Wien studiert und ist Mitglied im Redaktionsteam der Grünen Bildungswerkstatt Wien.
Links.
Folder zur Veranstaltungsreihe
Initiative Rotlicht statt Blaulicht
Homepage sexworker.at
Ö1-Radiokolleg Sendereihe zum Thema Sexarbeit