SonnenZeit – ökosoziales Wirtschaften plus Lebensqualität.

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Gerhard Zwingler ist ein interessanter Mensch. Der hagere Mann mit den hohen Backenknochen fragte schon als Kind seine Eltern: „Warum müsst ihr so viel arbeiten?“ Als Land- und Gastwirte schufteten sie rund um die Uhr. Es gehe nicht anders, erklärten ihm damals die Eltern. Doch Gerhard hörte nicht auf Fragen zu stellen, ging an die Uni, studierte Volkswirtschaft, schrieb seine Doktorarbeit über nachhaltige Gemeindeentwicklung. Auch als Südwind-Referent beschäftigte er sich mit Nachhaltigkeit und kam zu dem Schluss: Biologisch reicht nicht, soziale Standards seien mindestens genauso wichtig und notwendig für ein gutes Leben.
Nets.werk – Nachhaltig leben.
Also gründete Zwingler mit Gleichgesinnten in Steyr das „Nets.werk - Nachhaltig leben“. Der Verein fördert nachhaltigen Konsum und Lebensstil. „Unsere Kriterien und Anliegen lauten: gesund, regional, biologisch und fair bezahlt.“ Zwinglers Vision ist ein Versorger-Verbraucher-Netzwerk, das sozial und ökologisch wertvolle Betriebe und Produkte stärkt. Das „s“ im Namen „Nets.werk“ steht bereits für „Sonnenzeit“ – die Weiterentwicklung der Initiative zu einem alternativen Wirtschaftssystem mit dem Ziel: „Erhöhung der Lebensqualität in Harmonie mit der Natur.“
Ökonomie – Oikos und Nomos.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssten wir erkennen: „Unser derzeitiges Wirtschaftssystem hat zwei Systemfehler. Erstens hat es ein kaputtes Dach und zweitens ist es auf Sand gebaut.“ Zwingler veranschaulicht den Begriff „Ökonomie“ und die Dach-Sand-Metapher: „Oikos ist Griechisch und bedeutet Haus. Nomos heißt übersetzt Regel oder Gesetz“. Es habe keinen Sinn, unter ein kaputtes Dach ständig Töpfe zu stellen. „Das Dach gehört repariert.“ Auf Sand gebaut sei unser Schuldgeldsystem, und ferner zahlt derzeit drauf, wer Natur und Menschen gut behandle. Dabei müsse es umgekehrt sein. Die Politik sei für Veränderungen viel zu langsam, wir müssten selbst damit anfangen.
Zeithoheit und Lebensqualität.
Im Wirtschaftssystem der Sonnenzeit spielen Zeit und Lebensqualität eine große Rolle. „Die Sonnenzeit ist ein zeitbasiertes System“, erklärt Zwingler. „Die Lebenszeit ist ein stabiler Maßstab.“ Jede Arbeitsstunde sei gleich viel wert, egal um welche Tätigkeit es sich handelt. Derzeit hätten Menschen nämlich neben der Erwerbsarbeit zu wenig Zeit für Familie, Gemeinnütziges oder eigene Interessen, so der Volkswirt. Das wirke sich nicht nur auf den einzelnen Menschen und sein Umfeld negativ aus, sondern auf die Gesellschaft insgesamt. Im Sonnenzeit-System könne jeder seine Interessen und Stärken zur Verfügung stellen, müsse dies aber nicht. Die zentrale Frage laute dabei immer: „Wie kann ich meine Lebensqualität erhöhen?“ Die Antwort darauf ändere sich im Laufe der Lebensphasen, genauso wie „Herzens-Berufungen“, meint Zwingler. Er selbst habe schon unterschiedliche Phasen durchlaufen.
Komplementärwährung: Sonnenstunden.
Grundsätzlich werden Sonnenstunden konsumiert und angeboten, ähnlich dem Prinzip vom Tauschkreisen. „Auf der Sonnenzeit-Homepage können Private und Unternehmen Konten eröffnen, Dienstleistungen und Produkte anbieten, sich zu Kleingruppen von fünf bis sieben Menschen zusammenschließen.“ Der „Marktplatz“ stehe auch Nichtmitgliedern offen, die noch kein Konto hätten.
Eine Sonnenstunde entspricht einem Wertäquivalent von zehn Euro. „Es gibt ein ausgabenbezogenes Grundeinkommen von 80 Sonnenstunden pro Monat für jeden. Ich bekomme jede Monatsausgabe an Stunden wieder im nächsten Monat ersetzt – damit ich wieder ausgeben kann“, erklärt Zwingler. Zusätzliche Einnahmen würden transparent ausgewiesen: „Damit jeder sehen kann: Der hat schon viel für die Gemeinschaft getan.“
Inzwischen habe er sich bei der Finanzmarktaufsicht erkundigt, ob mit den Sonnenstunden auch alles rechtens sei. „Solange ihr keine systemrelevante Parallelwährung werdet, ja“, antwortete die Behörde.
Unternehmer.
In Gersthof, im 18. Bezirk, gibt es bereits den Schuster Franz Triebl, bei dem auch in Sonnenstunden bezahlt werden kann. „Für Unternehmen empfiehlt es sich, zumindest 40 Prozent noch in Euro einzunehmen, da Sozialversicherung und Steuern derzeit nur so bezahlt werden können“, informiert Zwingler. Bei Privaten hingegen spreche nichts dagegen, ganz und gar in Sonnenstunden zu konsumieren und zu leben. Ideal wären möglichst viele unterschiedliche Betriebe des täglichen Bedarfs, bei denen mit Sonnenstunden bezahlt werden kann. Das Wiener Netzwerk befindet sich nach Vorbild Steyrs gerade im Aufbau. „Jeder kann mitmachen und mitgestalten!“
Kritik am Geldsystem – ein Raubzug.
Mit dem Zins-Schuldgeldsystem geht Zwingler durchaus hart ins Gericht: „Wir Österreicherinnen und Österreicher zahlen pro Stunde eine Million Euro nur an Zinsen. Für wen und wofür?“ Die Antwort gibt der Volkswirt gleich selbst und verweist auf den Buchtitel: „Der größte Raubzug der Geschichte – Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden“ Und: „Wir zahlen an Banken und Privatpersonen.“ Das sei ein unhaltbarer Zustand, der gehöre „ins Museum gestellt“. Das „Verrückte“ am jetzigen System sei: „Die EZB stellt Geld her, aber wir als Staat dürfen nicht mehr darauf zugreifen – private Banken schon. So kommt das Geld in Umlauf. Aber nach welchen Kriterien? Für die Fleißigen? Nein!“
Wir würden das Schuldgeldsystem als selbstverständlich hinnehmen, dabei gebe es Alternativen, zum Beispiel Sonnenstunden.
„Wir werden an Zeit beraubt, weil wir dauernd schaffen, schaffen, schaffen müssen, damit wir zu genug Geld zum Überleben kommen. Die Bank hingegen kann mir quasi aus dem Nichts Geld geben – aber ich muss Hypotheken, Realitäten, Lohnpfändungen geben“, zeigt Zwingler auf.
Volkswirtschaftlich gesehen sei eine stabile Ausstattung mit Geld sinnvoll, auch hinsichtlich Kaufkraft. Deswegen müssten wir Ökonomie neu denken und ein solides Fundament samt Entwicklungspotenzial auf die Beine stellen. „Mit der Sonnenzeit ersetzen wir das Zins-Schuldgeldsystem durch eine zeitbasierte Leistungsbestätigungs- und Dankeswährung namens Sonnenstunden. Ohne Zinsen, dafür aber mit Grundeinkommen und Schöpfungsrechten für Staat, Gemeinden, Unternehmen und Private“, fasst Zwingler zusammen.
Über 90 Prozent der Kaufentscheidungen sind Fehlentscheidungen.
„Durch unsere Kaufentscheidungen finanzieren wir wissentlich oder unwissentlich ständig, was wir eigentlich nicht wollen“, sagt Zwingler. „Zum Beispiel Leid anderer in asiatischen Textilfabriken oder Pestizid-Lebensmittel.“ Wollen würden wir biologische und fair bezahlte Äpfel, „aber kaufen tun wir die billigsten“, weiß Zwingler. Weil fast immer allein der Preis ausschlaggebend sei, „stellen sich über 90 Prozent der Kaufentscheidungen als Fehlentscheidungen heraus.“
Doch nichts sei gottgegeben, „alle Wirtschaftsspielregeln sind veränderbar!“ Wenn konventionelle Produkte einen hohen Aufschlag bekämen, würden biologische Äpfel automatisch billiger. So könnten die Menschen sich wie gewohnt auch weiterhin am Preis orientieren. „Das Gute wird günstiger werden“, sagt Zwingler, „ein internationaler Wettbewerb um beste Arbeitsbedingungen und ökologische Produktion wird losgehen.“
Für ihn sei sonnenklar: „Wir müssen wieder ein Wirtschaftssystem schaffen, das uns Menschen dient, mit einer höheren Lebensqualität für jeden einzelnen.“ Das Leben sei ein Spiel, „spielen wir es zum Wohle aller“, lädt der Gestalter und Veränderer das Publikum zur Teilnahme ein. Denn: „Je mehr wir werden, umso mehr sind wir aus dem Schneider, brauchen weder auf EU-Beschlüsse noch nationale Gesetze warten.“
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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