Soziales Geschlecht und Nachhaltigkeit.
Fred Luks, Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der WU und Moderator der Kooperations-Veranstaltungsreihe „Wirtschaft trifft Umwelt“ bittet um 19 Uhr das Publikum noch um fünf weitere Minuten Geduld: „Wir haben 100 Anmeldungen bekommen!“ Das Oktogon, ein Raum der mehr hoch als breit wirkt, will gut gefüllt sein, bevor die beiden Professorinnen in medias res gehen.
Schließlich tritt Helga Kromp-Kolb vors Mikro. Die bekannte Wiener Meteorologin, Klimaforscherin und Leiterin des Zentrums für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der BOKU, spricht einleitende Worte zu der seit mehreren Jahren bestehenden Bank Austria-Vorlesungsreihe zur Nachhaltigkeit. Diese sei inzwischen ein „Ort der Begegnung“ geworden für Wirtschaft, Umwelt und Bank, aber vor allem für Menschen. Moderator Luks übernimmt: Heute, bei der 13. Begegnung, seien den zahlreichen Anmeldungen zufolge Vertreter*innen aus Ministerien, NGOs, Banken und Studierende im Publikum. Sie hören jetzt das Impulsreferat von Edeltraud Hanappi-Egger, Leiterin des WU-Instituts für Gender und Diversität in Organisationen (und ab Oktober 2015 Rektorin der WU).
REFERAT 1: GENDERMYTHEN IM MANAGEMENT.
Die promovierte Informatikerin beginnt mit dem Gender Gap Report 2012. Dieser stellt die Genderbalance diverser Staaten dar: Es geht um gleichen Zugang der Geschlechter etwa zu Managementpositionen, Bildung, Ausbildung und Bezahlung. Die Genderbalance sei in keinem Land voll erfüllte Realität, zeigt Hanappi-Egger auf der Folie, vielmehr herrsche eine Genderimbalance zu Lasten des weiblichen Geschlechts. Die asymmetrischen Geschlechterverhältnisse und -ungerechtigkeiten würden sich in unseren Organisationen widerspiegeln. Organisationen seien Abbilder der jeweiligen gesellschaftlichen Formen mit ihren stereotypen Zuschreibungen. Die Referentin legt eine Folie mit allgemein bekannten Jobbeschreibungen auf: „logisch, abstrakt, analytisch denken“ und „kommunikativ, sozial, beziehungsorientiert“ stehen sich als typisch männliche und weibliche Zuschreibungen gegenüber.
Patriarchales Management.
So sei Management seit der industriellen Revolution eine männliche Domäne, weil Kontrollaufgaben und Handhabung Männern vorbehalten waren und zugeschrieben wurden. Hanappi-Egger erklärt: „Struktur ist der Rahmen für Handlung.“ Gleichzeitig seien Strukturen aber durch Handeln veränderbar.
Die Expertin weist auf folgendes Dilemma in patriarchalem Management und Wirtschaft hin: „Frauen können so sein wie Männer, dann sind sie aber keine Frauen mehr. Sind sie anders als Männer, sind sie unprofessionell.“ Obwohl Frauen heute höhere und bessere Bildungsabschlüsse als Männer vorweisen, seien sie nicht aliquot in Führungspositionen vertreten.
Mythos: Führung in Teilzeit geht nicht.
Üblicherweise bekomme man als Erklärung für die Unterrepräsentanz von Frauen im Topmanagement den allgemein akzeptierten Mythos zu hören: Führung in Teilzeit gehe nicht. Dem hält Hanappi-Egger einen handfesten, empirischen Studienbefund entgegen: Nämlich dass in Österreich einige Topmanager in bis zu fünf Aufsichtsräten sitzen, und der Arbeitsaufwand für ihre Führungsaufgaben sich nur in Teilzeit bewerkstelligen lässt. Daraus folgt: „Führung in Teilzeit geht. Das ist ein empirischer Befund.“
Mythen seien oft politisch motiviert, erklärt Egger. Sie würden so oft wiederholt, „bis sie niemand mehr in Frage stellt und daraus allgemein akzeptierte Verhaltensregeln geworden sind.“ Individualverhalten wirke dabei systemerhaltend. Umso wichtiger sei es daher, solche Mythen zu entlarven und zu demaskieren. Dadurch könne ein „Change Management“, ein positiver Veränderungsprozess eingeleitet werden.
REFERAT 2: GENDER UND URBANE FREIRÄUME.
So lautet der folgende Vortrag von Gerda Schneider, Leiterin des Instituts für Landschaftsplanung am Department für Raum, Landschaft und Infrastruktur an der BOKU. Gender brauche bauliche Voraussetzungen für Freiräume, betont die gebürtige Deutsche und ehemalige Leiterin des Amtes für Grünanlagen und Forsten Saarbrücken. Typische Freiräume seien etwa Straßen, Kirchenplätze oder Sportflächen. Ihr gehe es vor allem um ein „friedfertiges Verhältnis der Geschlechter“, betont die Forscherin. Nur so könne mehr Nachhaltigkeit erreicht werden.
Frauenarbeit?
Schneider weist auf die unbezahlte und kaum wertgeschätzte Arbeit von Frauen hin. „Haus, Hof, Garten, Care-Arbeit“, sagt sie. Ganze Frauenstadtteile würden diese Arbeiten ausfüllen. Sie fordert auch für Männer einen barrierefreien Zugang etwa zu Care-Arbeit. Gartenflächen sollten nach Schneiders Meinung wieder aufgewertet werden. Zulange hieß es: „Gärtnern? Haben wir doch gar nicht nötig!“ In diesem Sinne plädiert die Expertin auch für mehr Ernährungssouveränität.
Verödung der Innenstädte.
In Klagenfurt kritisiert Schneider den Bau eines vierten Einkaufszentrums am Stadtrand, während die Innenstadt zunehmend veröde und die Nahversorgung immer weniger gewährleistet sei. Das sei vor allem für wenig mobile Frauen ein Problem. Außerdem sei es nicht gerade nachhaltig, wenn Menschen mit dem Auto zum Stadtrand einkaufen fahren.
DISKUSSION.
In der anschließenden Diskussion fragt Moderator Luks, warum gerade beim Thema Nachhaltigkeit Wunsch und Realität so weit auseinanderklaffen.
Wunsch und Realität.
Schneider sieht die Ursache dafür in mangelnder Vermittlung konkreter, realer Situationen, wie etwa jener in Klagenfurt mit den Einkaufszentren. Solche Realitäten aufzuzeigen und Ideologien abzubauen, sei Aufgabe der Universitäten.
Hanappi-Egger meint, es fehle vor allem ein politischer und demokratischer Diskurs. Der Boulevardjournalismus tue sein Übriges. Um sich eine Meinung zu bilden und zu erkennen, ob man von einer nachteiligen Situation oder Entwicklung betroffen sei, bräuchten die Menschen sachliche und qualitätsvolle Informationen. Viele meinten, sie seien gar nicht betroffen, obwohl das Gegenteil zutreffe. Unter diesen Voraussetzungen würden Menschen nicht aktiv, und es sei schwierig politische Kompromisse auszuhandeln. Erst wenn Bewusstsein und Leidensdruck groß genug wären, käme es zu nachhaltigen Veränderungen. Denn Gewinnergruppen gingen nun einmal nicht freiwillig aus ihren Komfortzonen. Da brauche es schon eine „Revolution“.
Werthaltung und „Philosophie der Differenz“.
Schneider spricht sich etwas vorsichtiger für das „Hinterfragen von Werthaltungen“ aus: „In unserer patriarchalen Gesellschaft wird Frauenarbeit erst aufgewertet, wenn auch Männer sie tun.“
Abschließend betont sie die „Philosophie der Differenz“ und ruft auf: „Schaut und denkt differenziert! Wir haben nicht die eine Lösung, wir haben ja auch verschiedene Gruppen.“ Nur miteinander reden und handeln führe zu Veränderungen.
Damit geht der offizielle Teil der Veranstaltung zu Ende und Fred Luks eröffnet das Brötchenbuffet. Miteinander reden und essen. Oder doch lieber gestärkt in die Revolution gehen?
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Sie ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Links.
Edeltraud Hanappi-Egger
Gerda Schneider
Helga Kromp-Kolb
Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit