Tabuisierte Arbeitswelten: Sexarbeit in Österreich.

GBW
„Sexarbeiterinnen sind Frauen, Töchter, vielleicht Ihre Nachbarinnen, Kolleginnen, Unternehmerinnen, Migrantinnen, Alleinerzieherinnen. Und es geht darum, dass man diesen Frauen mit Solidarität begegnet und mit rechtlicher Anerkennung und nicht mit einer Ausgrenzungspolitik, die die Stigmatisierung nur noch mehr erhärtet“, so Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen, in ihren einführenden Worten. Obwohl Sexarbeit in Österreich seit 1974 legal ist, regulieren zahlreiche Bundes- und Ländergesetze die Branche. Bei den Pflichten und Auflagen für Sexarbeiterinnen (1) handelt es sich zum Teil schlicht um Menschenrechtsverletzungen: So stellt die wöchentlich stattfindende Zwangsuntersuchung auf sexuell übertragbare Krankheiten einen massiven Eingriff in die Intimsphäre dar. Helga Amesbergers kürzlich erschienene Buch „Sexarbeit in Österreich. Ein Politikfeld zwischen Pragmatismus, Moralisierung und Resistenz“ beleuchtet die österreichische Prostitutionspolitik und ihre Auswirkungen auf den Berufsalltag der in der Sexarbeit Tätigen. Das Buch berücksichtigt sowohl die Perspektiven von Sexarbeiterinnen, als auch die Standpunkte von NGOs, Verwaltung, Exekutive und Politik – in Österreich ein Novum. Für die Studie kamen über die beiden Migrantinnen-Selbstorganisationen LEFÖ und MAIZ Gespräche mit 82 sexarbeitenden Frauen in ganz Österreich zustande. Bei 90 Prozent der Befragten handelt es sich um migrantische Sexarbeiterinnen; alle Interviews wurden in der Muttersprache der Gesprächspartnerin geführt. Christine Nagl betont die hohe Relevanz sozialwissenschaftlicher Studien für den bis dato unterrepräsentierten Bereich Sexarbeit, weil Studien im öffentlichen Diskurs Anerkennung erhielten. Die Interessen der Sexarbeiterinnen würden auf diese Weise eher Gehör finden.
Politik und Sexarbeit.
Amesbergers erste Erkenntnis aus der Untersuchung: Die Prostitutionspolitik wirkt sich kaum auf die Anzahl der aktiven Sexarbeiterinnen oder der Bordellbetriebe aus. Nur das Größenverhältnis zwischen legalem und illegalem Markt sei dadurch beeinflussbar. Viel entscheidender für Größe und Gestalt des Sexarbeitsmarktes seien hingegen das Fremdenrecht, Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie und die sich ständig wandelnde gesellschaftliche Akzeptanz verschiedener Sexpraktiken und sexueller Orientierungen. Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt habe großen Einfluss. Nicht zuletzt wirke die in vielen Städten geförderte Gentrifizierung ganzer Viertel – die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen durch Wohlhabendere – stark auf den Sexarbeitsmarkt, vor allem aber auf dessen Arbeitsbedingungen.
Die zweite Feststellung in Amesbergers Studie belegt, dass Prostitutionspolitik sich ganz klar auf die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen auswirkt. In Wien sind drei Felder der Sexarbeit legal: Bordelle, der Straßenstrich und Hausbesuche. Die beiden letztgenannten sind in fast allen anderen Bundesländern verboten. Die Kausalkette liegt auf der Hand: je weniger legale Arbeitsplätze, umso stärkere Konkurrenz zwischen Sexarbeiterinnen und folglich umso größere Abhängigkeiten der Frauen von Vorgesetzten.
Zusätzlich seien die schwierigen Arbeitsbedingungen der Frauen in zu langen Arbeitszeiten, zu niedrigen Honoraren, erzwungenem Alkoholkonsum und belastender Nachtarbeit begründet. Viele können ihrer Arbeit aber auch positive Seiten abgewinnen: Die flexiblen Arbeitszeiten und der sofortige Erhalt des Geldes seien vorteilhaft, so die Sexarbeiterinnen.
Eheliche Prostitution, die Lust der Anderen und das faire Bordell.
Das Publikum in der Hauptbücherei erwies sich als diskussionsfreudig. Viele offene Fragen und unterschiedliche Perspektiven auf Sexarbeit zeigten sich durch die Wortmeldungen der Anwesenden.
Einige Highlights einer sehr diversen, teils auch emotional geführten Debatte zu einem Thema, das doch jede*n irgendwo zu berühren scheint: Was müsste ein „Fair Trade Bordell“ alles bieten? Ist es bedenklich, dass Kinder und Jugendliche, besonders Burschen, die Idee von Sexarbeit als erstrebenswert betrachten? Wo fängt Moralisierung an? Sind Sexarbeiterinnen Frauen, die immer nur der Lust ihrer Kund*innen zur Verfügung stehen, ihre eigene aber ganz außen vor lassen? Wie wirken sich gesellschaftliche Sexarbeitsdiskurse auf die Gewaltbereitschaft von Sexarbeitsgegner*innen aus? Handelt es sich bei vielen Ehen nicht eigentlich um Langzeit-Prostitution und wäre hier eine Kluft zwischen Ideologie und Realität zu diskutieren? Wodurch lässt sich die Absurdität der kontrafaktischen Prostitutionspolitik erklären?
Zu einigen Fragen ließ sich erwartungsgemäß keine Einigung finden. Die Diskussion schloss aber mit einer guten Nachricht: Es gibt mehr und mehr solidarische Zusammenschlüsse, die Interessen von sexarbeitenden Menschen in der Öffentlichkeit vertreten. Veranstaltungen wie diese sind mit Sicherheit ein Beitrag.
Die Autorin, Johanna Bernroitner, hat Kultur- und Sozialanthropologie, Soziale Arbeit und Gender Studies studiert und arbeitet im Asylbereich.
(1) Bei der Zielgruppe der vorgestellten Studie handelt es sich ausschließlich um Frauen, weshalb die gendergerechte Schreibweise hier nicht angewandt wird. Alle erwähnten rechtlichen Bestimmungen betreffen aber natürlich Sexarbeiter*innen