TTIP – eine bedrohliche Partnerschaft.
Größte Freihandelszone der Welt.
Schon lange habe die EU eine Tradition, Abkommen und Knebelverträge als „Partnership“ zu bezeichnen, beginnt Salzer. So auch beim Freihandelsabkommen TTIP, das eine Nivellierung europäischer Standards in Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und Demokratie nach unten bedeute.
„Verkauft wird uns TTIP mit den Argumenten, die schwächelnde Wirtschaft werde durch das Abkommen angekurbelt und in den ersten 15 Jahren würden 400.000 neue Jobs entstehen.“ Angesichts 27 Millionen Arbeitsloser in der EU seien 400.000 prognostizierte Jobs, also 1,5 Prozent weniger Arbeitslose, kein starkes Argument. „Die EU und die USA haben derzeit 47 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung“, sagt Salzer. Ein Grund mehr, sich das Abkommen und seine streitbaren Ziele näher anzusehen.
TTIP konkret.
Die Kernthemen des Abkommens lauten bis jetzt:
1. Abbau von Zöllen
2. Gegenseitige Anerkennung von Gesetzen und Regeln
3. Klagerecht für Investoren
4. Regulatorische Kooperation/Konvergenz
Den ersten Punkt hält Salzer für eine Farce, denn „es gibt kaum mehr Zölle außer in der Landwirtschaft“.
Punkt zwei lässt sich da schon kritischer an, denn er bedeutet: „Wenn ein Produkt in den USA erzeugt wird, das in der EU so nicht erzeugt werden dürfte, ist mit TTIP sein Import dann straffrei möglich.“ Dies könne zum Beispiel Lebensmittel, Chemikalien, Sicherheit, Nachhaltigkeits-, soziale und demokratische Standards, Datenschutz oder Kennzeichnungen betreffen. Die US-Gentechnikindustrie beispielsweise wittere jetzt schon Vorteile für ihre Produkte in der EU, informiert Salzer. Auch erlaube die EU derzeit keinen Import von Hormonfleisch. Mit TTIP wäre er strafzollfrei möglich.
Klagerecht für Investoren plündert Staatskassen.
Besonders heikel beurteilt Alexandra Strickner das Klagerecht für Investoren auf entgangenen Gewinn. Einen Vorgeschmack darauf bietet das zurzeit noch anhängige Verfahren des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, der gegen den deutschen Atomausstieg klagt. Klagekosten: 3,7 Milliarden Euro zuzüglich Verfahrenskosten. „Gewinnt Vattenfall, so wird der Betrag dann aus deutschen Steuergeldern bezahlt“, sagt Strickner. Auch wenn in einem Land Mindestlöhne beschlossen oder angehoben werden, können dann ausländische Investoren auf entgangenen Gewinn klagen, betont die Attac-Obfrau.
Schiedsgericht statt Richter – keine Berufungsmöglichkeit.
Ebenso kritisch ist der Umstand, dass die Klage bei einem eigenen Schiedsgericht, zum Beispiel bei der Weltbank eingereicht werden soll. „Dort entscheiden keine Richter, sondern drei juristische Experten im Handelsrecht“, sagt Strickner. „Und es gibt keine Berufungsmöglichkeit.“ Dieses Sonderklagerecht der Konzerne und der Schiedsgerichtsprozess seien als Privatisierung der Demokratie zu bewerten.
Auswirkungen, Chilling Effekt.
Die Folgen dieser neuen Klagemöglichkeit wären laut Strickner das Schröpfen der Staaten und die Plünderung der Staatskassen, deren Steuergelder in anderen Bereichen dringend gebraucht würden.
Außerdem warnt sie vor dem sogenannten Chilling Effekt, der bedeutet: „Die Regierungen werden sich aus Angst vor Klagen gut überlegen, ob und welche Gesetze sie sich noch beschließen trauen.“ Gemeint sind Gesetze im Sinne einer besseren Regulierung für die Menschen und nicht für profitmaximierende Konzerne.
„Regulatorische Kooperation“
Hinter diesem scheinbar positiven Ausdruck verbirgt sich laut Strickner, dass ein ständiger Rat eingesetzt werden soll, um die permanente „Harmonisierung“ von Gesetzen und Regeln zu fördern. Wobei Harmonisierung nichts anderes als Nivellierung nach unten bedeutet, wie kritische Stimmen im Publikum bemerken. Für das Recht zu lobbyieren, sollen Ansprechpersonen und eigene Stellen für Akteure, die ein spezielles Interesse an einem Gesetz haben, installiert werden.
Verhandlungsprozess.
Die EU-Kommission verhandelt mit den USA seit Beginn 2013 im Auftrag aller Mitgliedsstaaten. „Der Rat mit den Regierungschefs beziehungsweise zuständigen Ministern muss zustimmen“, sagt Strickner. Die Verhandlungen finden im Geheimen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, obwohl es laut der Attac-Obfrau dafür keine Grundlage in den Lissabon Verträgen gibt.
„Was wir wissen, wurde geleaked. Vieles wissen wir nicht. Und wer weiß, was noch kommen wird.“ Daher fordert Attac einen Stopp der Verhandlungen und eine Offenlegung der Verhandlungsdokumente, solange Demokratie und Transparenz im Prozess nicht erfüllt sind. „Nationale Parlamente und das EU-Parlament müssen mitbestimmen dürfen. Zurzeit wissen hierzulande nicht einmal die Abgeordneten, was bei den alle zwei Monate stattfindenden Verhandlungsrunden in Brüssel und Washington beschlossen wird.“ Laut EU ist ein Ende der Verhandlungen für 2014 geplant. Attac geht aber aufgrund der EU-Wahlen im Mai und sich formierenden Widerstands von einer Verzögerung aus.
Was tun?
„Öffentlichkeit schaffen“, sagt Strickner. Zum Beispiel durch den Aufbau von Netzwerken, eine öffentliche TTIP-Konferenz mit den Kollegen aus den USA oder Diskussionsveranstaltungen vor den Europaparlamentswahlen. Regierung, Abgeordnete, Gemeinderäte und Bürgermeister gehören ebenso informiert wie Freunde, Familie und Bekannte. Was sagen Landwirtschaftsminister, Gesundheitsminister oder Arbeitsminister dazu? „Um eine Offenlegung der Verhandlungsergebnisse zu erreichen, müssen wir den Druck auf die Regierung erhöhen“, sagt Strickner. Protestmail-Aktionen wurden bereits gestartet.
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner gibt sich in der Pressestunde unbeeindruckt. Für ihn überwiegt „das Positive“ (für wen?), Befürchtungen hinsichtlich Verschlechterungen von Verbraucherschutzstandards teile er nicht und die Transparenz von Zwischenergebnissen hält er für „nicht zweckmäßig“, aus Angst, sie könnten „zerredet“ werden.
Wenn aber etwas positiv für die Menschen ist, warum sollten sie es dann zerreden wollen?
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Links.
Attac TTIP
Via Campesina
Attac-Protestmail an Regierung
Mitterlehner Pressestunde
Appell
Vattenfall