Ungleichheit in der gegenwärtigen Gesellschaft.
GBW
Ungleichheit ? Ungleichheit.
Birgit Schatz leitet mit der Diskrepanz zwischen rechtlichem Rahmen und erlebten Ungleichheiten ein. Sie betont, dass es im österreichischen Recht zwar einen Anspruch auf Gleichbehandlung aller Menschen gibt, dies aber nicht die vielfältigen Lebensrealitäten widerspiegele. Angefangen bei Umständen unserer Geburt und Art der Kinderbetreuung, über das Schulsystem, die Berufswahl bis hin zu Einkommens- und Wohnverhältnissen leben wir in einer sehr ungleichen Gesellschaft, so Schatz.
Gleichzeitig eröffnet die grüne Politikerin den Zuhörer*innen ihre ambivalente Einstellung zum diskutierten Begriff. Ungleichheit könne im Sinne von Individualität, Kreativität und Selbstbestimmung auch positiv und erwünscht sein, und sei nicht immer mit Ungerechtigkeit gleichzusetzen.
Lieselotte Wohlgenannt kehrt hingegen zu Fragen von materieller Ungleichheit zurück. Sie erweitert Schatzs Perspektive, indem sie den europäischen und globalen Rahmen miteinbezieht. So seien in Österreich 14 Prozent der Gesamtbevölkerung armutsgefährdet und die Einkommens- und Vermögensschere gehe weiter auseinander. Im globalen Vergleich sei die ansässige Bevölkerung jedoch gut gestellt: „Die Unterschiede der Lebensmöglichkeiten in dieser Welt sind so enorm, dass wir es überhaupt nicht nachvollziehen können.“ Statt von einer anzustrebenden Gleichheit zu sprechen, wünscht sich Wohlgenannt globale Gerechtigkeit. Alle Menschen sollen die gleichen Rechte haben und in Würde leben können.
Wer hat das Zepter in der Hand?
Inwieweit die Politik der Steuerung materieller Ungleichheiten erfolgreich nachkommen kann, ist eine der heiß diskutierten Fragen dieser Veranstaltung.
Wohlgenannt und Schatz teilen die Auffassung, dass Bekämpfung von Ungleichheit durch Umverteilungspolitiken eine der wichtigsten Funktionen des Staates sei. Die Steuerungsfähigkeit liege jedoch nicht allein in der Hand der Politik: Andere mächtige Akteur*innen wie Vermögende, Konzerne, Medien oder die Kirche beeinflussen die gesellschaftliche Regulation von Ungleichheiten. Laut Schatz seien deren Interessen nicht immer am Abbau von Benachteiligungen orientiert: „Alle diese Einrichtungen tendieren dazu, ihre Vorteile weiter auszubauen.“
Nichtsdestotrotz wehrt Schatz die These ab, die Politik habe das Zepter aus der Hand gegeben. Politiker*innen haben bewusst Sozialsysteme marktwirtschaftlichen Logiken unterworfen oder Entscheidungsmöglichkeiten abgegeben. Dennoch behalten sie Handlungsfähigkeit und beeinflussen durch ihre tägliche Arbeit Fragen von Ungleichheit.
Wohlgenannt hält dem entgegen, dass die politökonomischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte den Sozialstaat zunehmend in die Bredouille bringen und politische Spielräume einschränken. Der Finanzmarktkapitalismus mit seinem primären Interesse aus Geld mehr Geld zu machen, setze viele Staaten unter Druck: Sie kämpfen mit Finanzierungsengpässen und sind Sparauflagen unterworfen – häufig auf Kosten von Sozialleistungen.
Auch das Publikum gibt sich gegenüber den bestehenden Handlungsfähigkeiten der Politik skeptisch. Beispielsweise wird am Freihandelsabkommen TTIP der beschränkte Zugang zu Informationen und der daraus resultierende mangelnde Einfluss der Politik kritisiert.
Zivilgesellschaftliches Engagement ist gefragt!
Abseits von staatlicher Umverteilung liegt die Bekämpfung von Ungleichheit für Wohlgenannt in der Verantwortung aller Menschen. Neben der Unterstützung regionaler Wirtschaftskreisläufe oder dem Kaufen von Fairtrade-Produkten sieht die Sozialwissenschaftlerin in politischem Engagement Wege zu mehr Gerechtigkeit. So sei es sinnvoll, sich für Menschenrechte einzusetzen und europäische Volksbegehren, wie die Initiative gegen das TTIP, zu unterschreiben.
Seit Jahrzehnten kämpft Wohlgenannt außerdem für ein Grundeinkommen: „Würden wir in Europa einen niedrigen Sockelbetrag, ein minimales Einkommen für alle ermöglichen, dann könnte dies vieles sehr viel leichter machen!“ Ein Grundeinkommen könne wesentlich zur Armutsbekämpfung und zum Abbau von Ungleichheiten beitragen, so Wohlgenannt.
Mehr Gerechtigkeit auf lokaler sowie globaler Ebene, mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten aller Menschen und die Offenheit für vielfältige Lebensentwürfe – das wünschen sich Schatz und Wohlgenannt, und dem pflichten auch die Zuhörer*innen bei.
Die Autorin Marlene Illers hat in Wien und Montevideo Politikwissenschaften und Internationale Entwicklung studiert und ist Mitglied im Redaktionsteam der GBW Wien.