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Wachstum und Auswüchse

Wien morgen. Was kann der Markt – was macht die Stadt?

 

Eine Podiumsdiskussion zum Thema Wiener Immobilienmarkt mit Alisa Beck, Kunsthistorikerin (mo.ë und IG Kultur Wien), Elke Rauth, Stadtforscherin (dérive), Koen Smet, Ökonom (Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie, WU Wien) und Hans-Jörg Ulreich, Immobilienentwickler (Ulreich Bauträger GmbH), moderiert von Michael Schmid (GBW Wien).

Ob es gut sei, ob Wien wächst und was es mit dem Mythos der „unsichtbaren Hand des Marktes“ auf sich hat, fragt Michael Schmid einleitend:

Alisa Beck stellt den Kulturraum mo.ë in der Thelemanngasse 4  vor und zeigt an diesem Beispiel die immense Preissteigerung, die Immobilien in den letzten Jahren erzielten.

Das Haus, in welchem sich mo.ë befindet, wurde bereits zwei Mal verkauft und ist heute wieder auf dem Markt. Mo.ë mietete 2010 von der ersten Eigentümerin. Diese kaufte das Haus um 900.000 Euro. Die zweite Eigentümerin bezahlte schon 1.900.000 Euro und heute ist das Haus um 2.700.000 Euro auf dem Markt. 

Wie wächst Wien und was hat das mit Urbanität zu tun?

Was ist Urbanität, fragt Elke Rauth und beantwortet es auch gleich: unterschiedliche Räume mit verschiedener Nutzung in den Nischen der Stadt. Wohnen, arbeiten, sich im öffentlichen Raum bewegen und aufhalten, das verbindet sich zu Stadt. Urbanität braucht aber auch Zeit, die Zeit der gemeinsamen Nutzung und der gemeinsam geteilten Geschichte des Alltags. Das unterstützt zum Beispiel ein partizipatives Bauprojekt in Zürich: Die Allgemeinflächen werden vorerst nur mit dem Grundlegenden wie Wegen und Rasen ausgestattet. Erst nach einer Weile und mit den sich herausbildenden Nutzungen wird die Infrastruktur angepasst. Jugendliche halten sich zum Beispiel immer gerne an einer bestimmten Stelle auf. Sie eigenen sich diesen Platz an und die baulichen Anlagen werden erst aufgrund dieser Inanspruchnahme und deren Bedürfnissen geschaffen. Auch der Immobilienentwickler braucht Urbanität.

Hans-Jörg Ulreich erreicht sie durch belebte Erdgeschoßflächen und baut Büros, Geschäfte und Gastronomie in solche. Leerstand unterminiert Urbanität. Viele Geschäftslokale stehen heute leer, in jedem Bezirk. Zwischennutzung wäre eine Möglichkeit zur Wiederbelebung. 

Aber die VermieterInnen haben Angst, die ZwischennutzerInnen halten die vereinbarte Nutzungsdauer zu günstigeren Konditionen nicht ein und ziehen nicht mehr aus. Da werden die Geschäftsflächen lieber leer gelassen. Ein weiterer wichtiger Faktor, Leben in die Altstadt zu bringen, ist die leistbare Verfügbarkeit von Mietwohnungen. Ulreich erzählt aus seinen Erfahrungen: Einen Altbau sowie die Wohnungen darin zu sanieren und kostendeckend zu vermieten, ist derzeit aufgrund des dort geltenden Richtwertmietzinses nicht möglich. Jedenfalls nicht für Private.

In Wien darf derzeit etwa EUR 6/m² für unbefristete Altbauwohnungen verlangt werden. Neuer, öffentlich geförderter Wohnraum bewegt sich um die EUR 9/m² und neue Genossenschaftswohnungen gar bei EUR 12/m². Aufgrund der Möglichkeit der freien Mietzinsvereinbarung bei Neubauwohnungen liegt die Überlegung der privaten Investorin oder des Investors nahe, das Althaus abzureißen und neuzubauen oder die Wohnungen im sanierten Altbau zu verkaufen. Steuererleichterungen oder freier Mietzins für sanierte Altbauwohnungen, noch dazu solche, die z.B. den Wärmebedarf senken, würde hier lenkend eingreifen.

Wohnen ist ein Menschenrecht und immer eine sozial-politische Frage

Koen bringt die Diskussion wieder auf eine mehr theoretische Ebene und schaut sich die Grundsätze an, warum Wohnraum zum Spekulationsobjekt wird. Wohnraum zu schaffen, bedarf eines immensen Kapitaleinsatzes und birgt großes Risiko. Damit Private das überhaupt tun können, bedarf es zweierlei Konzepte. Zum einen das Konzept Eigentum an Grund und Boden und zum anderen das Konzept der Rente. Spekulation basiert dann auf der Erwartung der Preissteigerung.

Wohnen aber ist ein Menschenrecht: „Jeder Mensch hat Anspruch auf […] Nahrung, Kleidung, Wohnung ….“ (Art 25 Allg. Erklärung der Menschenrechte). Rauth fragt, wie lange wir uns das Konzept Wohnen als Ware noch leisten können? Die soziale Relevanz zeigt sich zum Beispiel in der Unsicherheit, der MieterInnen aufgrund befristeter Mietverträge ausgesetzt sind. Und wenn ein Zimmer mindestens 400 Euro kostet, wer kann sich studieren dann noch leisten? Wohnen und Wohnraum darf nicht dem Markt überlassen werden, sondern ist immer eine Frage der gesellschaftlichen Aushandlung. Das war auch das Ziel in der Thelemanngasse: leistbarer Arbeitsraum für z.B. kulturelle Nutzung in Gegenüberstellung zum Ertrag aus Immobilien soll bewusst öffentlich diskutiert werden, ergänzt Beck. Interessanterweise bringt es Ulreich auf den Punkt: es geht um soziale Sicherheit. Jede und jeder soll sich eine Wohnung leisten können.

Was kann die Stadt für leistbaren Wohnraum tun?

Ein höheres Angebot an Wohnraum senkt die Preise. Der Markt könnte es durch ein Mehr an Angebot regeln. Die Stadt kann dieses Angebot aber durch entsprechende (De-)Reglementierungen, eigene Bautätigkeit oder Förderung von Wohnbau verstärken. Stattdessen, konstatiert Ulreich, blieben letztes Jahr 70-80 Millionen Euro im Fördertopf übrig. Sie wurden nicht beantragt, weil die daran geknüpften Bedingungen zu rigide waren.

Auch bezieht er sich auf Nachverdichtung als ein Werkzeug, um mehr Wohnraum zu schaffen. Zum Beispiel bieten die großzügigen Grünflächen zwischen den Gemeinde- oder Genossenschaftshäusern, das sogenannte Altbestandsgrün, dafür Platz. Das braucht aber, um reibungslos abzulaufen, die Auseinandersetzung mit allen AltnutzerInnen. Das ist langwierig und oft mühsam und bedarf nach Rauth unbedingt einer Prozessbegleitung. Die Widmung für mehr Kubatur nach oben auf bereits bebauter Fläche erzielt denselben wohnraumschaffenden Effekt. Spannend wäre bei Umwidmungen eine Gemeinwohlprüfung, analog der Umweltverträglichkeitsprüfung, wirft Rauth ein.

Eine weitere Herausforderung sind günstig vermietete, aber nicht verwendete Wohnungen. Zum Beispiel werden viele vermietete Gemeindewohnungen nicht genutzt. Ulreich behauptet, 10-15% der ca. 300.000 Gemeindewohnungen werden gehortet. Mehr als 30-45.000 Wohnungen!

Gemeinsam mit dem Publikum bringt Ulreich die Frage nach dem Zugang zu Sozialwohnungen durch die ärmsten der Armen aufs Tapet. Es gibt derzeit keinen niederschwelligen Zugang zu Gemeindewohnungen mehr. 2015 wurde ein Mindestaufenthalt von zwei Jahren in Wien eingeführt. Erst dann erhält man einen Vormerkschein für eine Gemeindewohnung. Gleichzeitig wurde das Kontingent für sozial Schwache abgeschafft. Nicht die öffentliche Hand kümmert sich um die Armen, sondern es sind die Privaten, die Wohnraum für sie zur Verfügung stellen, vom Neunerhaus bis zum Immobilienverwerter.

Was kann die Zivilgesellschaft für leistbaren Wohnraum tun?

Beck spricht sich dafür aus, Wohn- und Arbeitsräume dem Markt zu entziehen. Rauth bringt dazu ein Beispiel aus Deutschland: Miethäuser Syndikate ( ). Das sind private Baugruppen ohne das Konzept des Eigentums. Vielmehr handelt es sich um ein Art Nutzungseigentum, das weitergegeben werden kann. Es folgt dem Brecht‘schen Spruch „die Häuser denen, die drin wohnen“. Ein Zusammendenken mit Wohnraumschaffung durch die öffentliche Hand ist hier Zukunftsmusik in Rauths Ohren.

Rauth stellt immer wieder die Frage in den Raum: Was wollen wir als Gesellschaft? Denn es ist unübersehbar, dass ein gigantischer Strukturwandel vor uns steht. Diesem wird auch die Stadt gerecht werden müssen. Zum Beispiel wird Arbeit weniger und kürzer. Wo und wie werden Räume für sinnstiftendes Arbeiten entstehen?

Wien wächst und wandelt sich, genauso wie die Gesellschaft das tut und es beeinflusst, wer zu welchen Bedingungen wo wohnen kann. Die Diskussion darüber bedarf des Wissens über Fakten, Zahlen und Instrumente der politischen Lenkung oder der gesellschaftlichen Selbstermächtigung. Danke an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Veranstaltung für ihre Beiträge dazu.

 

Mitschrift von Elisabeth Kittl (GBW Wien)
Fotos von Franziska Klauser (GBW Wien)

  • dérive – Zeitschrift für Stadtforschung 
  • Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie – WU Wien
  • mo.ë
  • Ulreich Bauträger GmbH