Warum wir von Sexarbeit sprechen.

GBW
Helga Amesberger vom Institut für Konfliktforschung, Maria Hörtner vom Verein LEFÖ und drei Sexarbeiterinnen der Organisation sexworker.at begleiteten die Veranstaltung. Moderiert hat Faika El-Nagashi, Referentin für Sozialpolitik der Grünen in Wien.
Zunächst stellt Helga Amesberger vier Modelle vor, nach denen Staaten Sexarbeit regeln. Sie unterscheidet zwischen prohibitiven Regimen, abolitionistischen Regimen, regulativen Regimen und dem Sexarbeitsregime.
USA: Sexarbeit verbieten.
Staaten mit einem prohibitiven Zugang verbieten Sexarbeit generell. Dadurch werden alle Beteiligten, Sexarbeiter*innen, Kund*innen, Bordellbetreiber*innen kriminalisiert. Als Beispiele nennt Amesberger die USA, Kanada und einige osteuropäische Länder wie Rumänien.
Schweden: Sexarbeit verunmöglichen.
Das in Schweden angewandte abolitionistische Regime kriminalisiert jene, die Sex kaufen, oder direkt oder indirekt vom Verkauf sexueller Dienstleistungen profitieren. Die Prostitution an sich ist nicht verboten. Langfristiges Ziel sei jedoch deren Abschaffung. Denn die Rahmenbedingungen lassen Sexarbeit nur bedingt zu oder verunmöglichen diese.
So ist in Schweden das Betreiben eines Bordells oder das Mieten von Wohnungen oder Hotelzimmer zum Zweck der Prostitution verboten. „Faktisch darf nur im Eigenheim der Sexarbeit nachgegangen werden“, so Amesberger. Weil Kunden fürchten müssen, festgenommen zu werden, hat sich der Straßenstrich vielfach an abgelegene und daher unsichere Orte zurückgezogen. Strafbar machen sich auch Taxifahrer*innen, die Sexarbeiter*innen chauffieren oder Webdesigner*innen, die Sexarbeit bewerben, profitieren sie doch indirekt aus den Einnahmen der Sexarbeiter*innen.
Sehr problematisch seien auch die steuerlichen Regelungen für Sexarbeiter*innen, weiß Amesberger. Wie jedes Einkommen sind auch solche aus der Sexarbeit steuerpflichtig. Gleichzeitig wird Sexarbeit aber nicht als Gewerbe anerkannt. Sexarbeiter*innen müssen daher ein anderes Gewerbe anführen, um Steuern abführen und Teil des Sozialsystems sein zu können. Oder aber sie üben ihren Beruf illegal aus, ohne Zugang zu Sozialversicherungen.
Österreich: Sexarbeit regulieren.
Bei regulativen Regimen wie in Österreich ist Sexarbeit grundsätzlich erlaubt. Anbahnung und Ausführung von Prostitution sowie Bedingungen, unter denen Bordellbetriebe arbeiten dürfen, sind jedoch gesetzlich geregelt.
Es gebe vielfältige Vorschriften für Sexarbeiter*innen, die von der wöchentlichen Untersuchung bis zur Meldepflicht bei Polizei oder Gemeindeamt reichen. Viele dieser Regelungen seien aber problematisch, ist Amesberger überzeugt. So gebe es in Österreich sowohl nationale, als auch länderspezifische Gesetze zur Prostitution. Diese unterschiedlichen Gesetze in den Bundesländern widersprechen aber dem Verfassungsprinzip von Gleichheit vor dem Gesetz und Rechtssicherheit. Auch die wöchentlich vorgeschriebenen Untersuchungen und die Registrierung bei Polizei oder Gemeinde, seien für die Betroffenen belastend. „Solche Regelungen gibt es für keine andere Berufsgruppe und sie widersprechen dem Recht auf freie Berufswahl und -ausübung“, so Amesberger.
Neuseeland: Sichere Rahmenbedingungen für Sexarbeit.
So genannte Sexarbeitsregime wie in Neuseeland erkennen Sexarbeit als Arbeit an. Sexarbeit ist ins Gewerberecht integriert, Sexarbeiter*innen sind arbeits- und sozialrechtlich abgesichert. „Wesentlichster Pfeiler ist die Anerkennung der Sexarbeit als Erwerbstätigkeit“, so Amesberger.
In Neuseeland gibt es keine Registrierungspflicht für Sexarbeiter*innen. Registrierungspflichtig sind jedoch Bordelle, sobald sie mehr als vier Sexarbeiter*innen beschäftigen. Straßen- und Wohnungsprostitution sind erlaubt. Ebenso Hausbesuche und Escort-Services.
Dadurch, dass die Polizei in Neuseeland nicht mehr als strafende und regulierende Behörde gegenüber den Sexarbeiter*innen auftrete, habe sich das Vertrauen der Sexarbeiter*innen in die Polizei wesentlich verbessert, so Amesberger. „Auch Bordelle darf die Polizei nur mit richterlichem Beschluss betreten.“ Unangemeldeten Zutritt zu Lokalen haben nur Gesundheitsbehörde und NGOs.
Interessant sei, dass seit Einführung der neuen Gesetze im Jahr 2003 die Zahl der Sexarbeiter*innen nicht angestiegen ist, wie eine umfangreiche Evaluierung zeigte.
Bilanz.
„Unsere Studie aus dem Jahr 2013 zeigt, dass keines der Regime Ausbeutung und Abhängigkeit per se verhindern kann“, sagt Amesberger. „Sehr wohl aber beeinflussen sie, unter welchen Bedingungen Sexarbeiter*innen arbeiten können.“ Prohibitive und abolitionistische Systeme drängen in die Illegalität und erhöhen die Abhängigkeit von Dritten. Regulative Systeme tendieren zu übermäßiger staatlicher Kontrolle bei gleichzeitiger unzureichender rechtlicher Absicherung. Hingegen werde durch die rechtliche Integration von Sexarbeit ein weitestgehender Schutz vor Ausbeutung erzeugt.
Daher gelte, was auch bei den Kämpfen der Arbeiter- und Frauenbewegung gilt: „Nur Rechte können vor Ausbeutung und Abhängigkeit schützen“, so Amesberger abschließend.
Auf die Sprache kommt es an.
Als nächstes spricht die Sozialwissenschaftlerin Maria Hörtner vom Verein LEFÖ. Der Verein unterstützt migrantische Sexarbeiter*innen und kümmert sich um Betroffene von Frauenhandel. Aus ihrer Arbeit auf politischer Ebene weiß Hörtner, wie wichtig die bewusste Verwendung von Begriffen ist, um Vermischungen zu vermeiden.
Zunächst sei die Unterscheidung von Sexarbeit und Prostitution eine ganz wichtige. Der Begriff Sexarbeit betone, dass es sich um eine Erwerbstätigkeit handle. „Da geht es um Rechte und Forderungen nach guten Arbeitsbedingungen und arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen“, so Hörtner. Der Begriff Prostitution hingegen habe eine negative Zuschreibung. Er werde nicht mit Arbeit oder Rechten assoziiert, sondern sei eine abfällige Zuschreibung, die stark moralisch aufgeladen sei. Außerdem werde Prostitution oft mit Kriminalität assoziiert.
Wie Hörtner aus ihrer Arbeit bei LEFÖ weiß, werden in Bereichen, wo Prostitution und Migration zusammentreffen, diese oft mit Frauenhandel gleichgesetzt. Hier sei aber klar zu unterscheiden: Werden Frauen zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen oder ihrer Würde beraubt, handelt es sich um Frauenhandel. Bei Migrant*innen, die sexuelle Dienstleistungen freiwillig erbringen, ist von Sexarbeiter*innen zu sprechen. Die Vermischung von Begrifflichkeiten schlägt sich letztendlich in der Gesetzgebung nieder. So kann es geschehen, dass Gesetze, die vorgeblich dazu dienen Frauenhandel zu bekämpfen, benutzt werden, um Prostitution zu verdrängen und letztendlich auch Migration.
Sexarbeiterinnen.
Im dritten Teil des Workshops sprechen drei Sexarbeiterinnen über ihre Erfahrungen. Die Probleme, die ihre beiden Vorrednerinnen aufgezeigt haben, kennen sie aus der Praxis.
Susi, die seit zehn Jahren als Domina arbeitet, wünscht sich einen offeneren Umgang mit Sexarbeit. „Wünschenswert wäre ein Ende der Stigmatisierung“, sagt sie. Vicky, die Tantramassagen anbietet, weiß, dass die übermäßige staatliche Kontrolle in Österreich das Vertrauen zwischen Sexarbeiter*innen und der Polizei belastet.
„Ich empfinde die wöchentliche Fleischbeschau entwürdigend und sinnlos“, sagt Sandra, die als Escort-Dame arbeitet. Bei den vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchungen seien Wartezeiten bis zu vier Stunden durchaus üblich. Die Qualität der Untersuchungen sei meist nicht besonders gut, wenn etwas gefunden wird, gebe es weder Behandlungen noch Befunde, so Sandra. Kolleginnen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, täten sich bei all dem noch schwerer.
Alle drei sind sich einig, dass Sexarbeiter*innen bei den Regelungen der Sexarbeit mit einbezogen werden sollten. Und gemeinsam fordern sie: „Man soll nicht über Sexarbeiterinnen sprechen, sondern mit ihnen!“
Der Autor, Markus Schauta, ist Redaktionsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt Wien und schreibt, u.a. als Freier Journalist mit Schwerpunkt Nahost, für diverse Zeitungen und Magazine.