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Was haben Ökonom*innen und Alkoholiker*innen gemeinsam?

Auftakt der Grünen Sommerakademie 2013 zu "Burn Out? Slow Down! Zeit für eine radikale Wende" war ein analogienreicher und humorvoller Vortrag Tomáš Sedláceks, welcher das Publikum auf eine historische Wirtschaftsreise, angefangen beim Verlust des Paradieses, weiter zur Entstehung des Wachstumsparadigmas in der Nachkriegszeit bis zur heutigen Fehlbehandlung eines manisch-depressiven Systems mitnahm.

Das schwarz-weiß Denken der Menschen.

Sedlácek verortet eines der Grundprobleme der Menschheit im ständigen Denken in Gegensatzpaaren. Gut-Böse, Richtig-Falsch, Glücklich-Unglücklich; Dieses lässt aufgrund der Vernachlässigung dialektischer Zusammenhänge fatale Kurzschlüsse zu, welche die Wurzeln unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme unberührt lassen. Denn bereits Adam und Eva waren von einer grundlegenden Ungenügsamkeit geprägt: sie lebten im Paradies und wollten noch mehr, sie fragten sich ob es nicht besser ginge und so aßen sie vom Baum der Weisheit. So verlor die Menschheit das Paradies. Auf Grund des inhärenten Wunsches nach mehr, nach etwas besseren! Vielleicht sollte der wirkliche Widerspruch also eher gut - besser heißen?

Ursprung der Krise war die manische Phase der Wirtschaft, nicht die Rezession!

Analog dazu stellt Sedlácek fest: Ursprung der heutigen Krise war nicht die Depression oder der wirtschaftliche Leistungsverlust in Irland, Griechenland oder Spanien. Nein, es war die unerschöpfliche, nach ständig mehr lechzende US-Wirtschaft, die sich in einer förmlichen Manie befand. Wie aus der Psychologie bekannt, folgt auf eine manische Phase meist die depressive. Wo die Psycholog*innen den Ökonom*innen jedoch weit voraus sind, ist die Erkenntnis, dass manisch-depressive Störungen nicht einfach durch Stimmungsaufheller zu behandeln sind, sondern durch sogenannte „Mood-stabilizer“! Denn die manische Phase ist mindestens so gefährliche wie die Depression. Es kommt zur Selbstüberschätzung und der Fall danach wird umso tiefer! Unsere Wirtschaft hingegen wird ausschließlich mit Antidepressiva behandelt, mit mehr Liquidität durch neue Schulden, um schnell wieder Wachstum herzustellen. Was die Gesellschaft will, ist ähnlich dem Verlangen bipolarer Patient*innen: sie wollen wieder zurück in die Manie, in die „happiness“, deswegen verweigern sie sich, ganz ähnlich den Ökonom*innen, auch so oft der wesentlich gesünderen Medikation.

Kapitalistische Wirtschaft scheint notwendigerweise von Ups and Downs geprägt.

Genauso wie wir eine*n Alkoholiker*in nicht mit Alkohol behandeln können, weil der Hang-over am nächsten Tag immer wieder kommen wird, können wir eine Wirtschaft nicht in der Depression mit Wirtschaftswachstum füttern, denn auch darauf wird der Kater notwendigerweise folgen. Insofern sollte es laut Sedlácek vielleicht darum gehen, sich mit den bereits guten Lebensumständen unserer Breitengrade zu begnügen und nicht immer nach mehr und nach etwas besseren zu verlangen, denn das wurde schon Adam und Eva zum Verhängnis! Auch das Buch Genesis berichtet uns laut Sedlácek davon, wie wichtig es in florierenden Zeiten ist zu sparen, den Überschuss nicht leichtsinnig zu verprassen, sondern diesen für spätere, ärmere Zeiten aufzubewahren! Im Moment handeln wir jedoch genau umgekehrt: wir machen mehr und mehr Schulden im Glauben, dass wir sie durch späteres Wirtschaftswachstum wieder ausgleichen können! Doch da beißt sich die Katze selbst in den Schwanz! Denn Schulden zu machen, um mehr Wachstum zu erzielen, führt zu einer massiven Destabilisierung der Wirtschaft, somit in einem Teufelskreis!

Was der kapitalistischen Wirtschaft fehlt ist Stabilität!

Genauso wie bipolare Menschen oder Alkoholiker*innen brauche auch die Wirtschaft eine Behandlung, die für Stabilität sorgt und den Rückfall nachhaltig vermeidet. Ziel sollte nicht die nächste manische Phase oder der nächste Rausch sein, sondern sich zu begnügen mit dem was wir haben! Die ständigen Ups und Downs sind sonst vorprogrammiert und werden von Mal zu Mal schlimmer - irgendwann ist der Absturz so hoch und so hart, dass ein Wieder-aufstehen nicht mehr möglich ist. Bereits Joseph Schumpeter und Adam Smith fragten sich, so Sedláceks Sichtweise, nicht vordergründig wie ein ‚immer mehr‘ oder ‚besser‘ wohl aussehen möge, sondern grundsätzlich wurden sie von der Frage geleitet, wie die Phase des wirtschaftlichen Gleichgewichts aussehe. Heute scheint sich jedoch niemand mehr nach Stabilität in der Wirtschaft zu sehnen, diese haben wir vor allem seit der Nachkriegszeit und der Konkurrenz im Kalten Krieg gegen Wachstum eingetauscht!

Ein Fetischbegriff der etwas anderen Art.

Sedlácek begnügt sich jedoch nicht damit, unsere Wirtschaft mit manisch depressiven oder Alkoholiker*innen zu vergleichen, er führt auch noch einen eigenen Fetischbegriff ein, den er sowohl auf menschliche Bedürfnisse als auch wirtschaftliche Entwicklungen anwendet. So sei der moderne Mensch davon geprägt, sich unvollkommen zu fühlen, immer ist er auf der Suche nach dem fehlenden Teil. Sei es in der Liebe, im Beruf oder im Wohlstand. Diese fetischisierte Suche nach dem Unbekannten hindert uns jedoch daran festzustellen, was wir bereits haben und verdeckt alternative Wege, die wir einschlagen könnten. So verhält es sich auch in der Wirtschaft, ein bisschen mehr Wachstum geht immer noch! Auch sei es ein Irrglaube, die Wirtschaft als natürliche Grundbedingung zu begreifen, die sich selbst reguliert. Nein, sie ist durch Menschen in die Welt gebracht und kann somit auch durch Menschen reguliert und kontrolliert werden, sonst wird sie ihnen zum Verhängnis! Auch hierfür gibt es von Sedlá?ek einen Biervergleich: Stellen Sie sich das Problem dreier Menschen vor, die leider nur zwei Bier haben. Ganz klar, der erste Gedanke wäre: fair aufteilen! Nicht so in der Ökonomie, in derer Logik durch Schuldenaufnahme entweder ein drittes Bier hinzu fantasiert wird oder der/die Reichste der drei kann alle zwei Bier haben!

Der nötige Abschied vom Wachstumsdogma und den Schulden.

Die Antwort auf die momentane Krise sollte laut Sedlá?ek sein, ein nötiges Maß zu finden und den fast schon religiösen Wachstumsglauben zu hinterfragen! Doch hier stockte die Argumentation. Denn wie Wachstum und Schulden abgeschafft werden sollen, lässt Sedlácek offen. So blieb ein schaler Beigeschmack angesichts der Themen, die nicht behandelt wurden: die ökologischen Grenzen unseres Wirtschaftssystems und das soziale Leid, dass Krisen im Kapitalismus produziert.

Was hier eine mögliche Antwort und gleichzeitige Notwendigkeit darstellt, ist die Umverteilung von Ressourcen, Zeit, Einkommen und Reichtum, wie Elmar Altvater schon auf der letztjährigen Grünen Sommerakademie festgestellt hatte: Wenn auf einer Seite Armut wachst, wächst irgendwo anders gleichzeitig der Reichtum. Hier sollte dringend das Gleichgewicht wieder hergestellt und nachhaltige Stabilität sichergestellt werden.

 

Die Autorin Julia Seewald hat Politikwissenschaften studiert und ist stellvertretende Obfrau der Grünen Bildungswerkstatt Wien.

 

Tomáš Sedlácek lehrt an der Prager Karls-Universität Wirtschaftsgeschichte und -philosophie, ist Chefökonom der größten tschechischen Bank und Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrats in Prag. Während der Amtszeit des tschechischen Präsidenten Vaclav Havel war er als dessen Berater tätig. Für seinen internationalen Bestseller "Die Ökonomie von Gut und Böse“ (2012 Hanser Verlag) hat er den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2012 bekommen. Seine jüngste Publikation gemeinsam mit David Orrell trägt den Titel: „Bescheidenheit - für eine neue Ökonomie“, erschienen 2013 ebenfalls im Hanser Verlag.