Wer hat Platz in Meidling?
Das Klublokal der Grünen Meidling füllte sich an diesem Abend mit interessierten Besucher*innen. Auf dem Programm stand die Veranstaltung „Platz für alle? Herausforderung Zusammenleben in der Stadt“. Moderator Raphael Kiczka begrüßte auf dem Podium Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Grünen Wien, Dr. Marc Diebäcker, Verein kritische Sozialarbeit, Andrea Jäger, Sucht- und Drogenkoordination Wien, Elena Osenstätter, Assistentin der Leitung im VinziRast-CortiHaus Meidling und Uli Zimmermann, Bezirksrätin und stellvertretende Klubvorsitzende der Grünen Meidling.
Stadt als verdichtete Unterschiedlichkeit.
In einer Vorbemerkung verweist Kiczka auf die Werke des französischen Soziologen Henri Lefebvre. Dessen Bild von der Stadt als Ausdruck verdichteter Unterschiedlichkeit kann einen Rahmen liefern für Debatten rund um die Herausforderung Zusammenleben in der Stadt. „Uns beschäftigen heute Macht- und Herrschaftsfragen im Zusammenhang mit der Nutzung von urbanem Raum, aber auch das Thema subjektiver Sicherheit und Unsicherheit“, betont Kiczka und eröffnet das Podium.
Konfliktzone Migazziplatz.
Zimmermann gibt einen Überblick über Problemzonen in Meidling. Drogengeschäfte am Migazziplatz werden von Bewohner*innen derzeit zum Thema gemacht. Mehrere Parteien haben die Problematik verstärkt in den Blick genommen. Aktuelle Rückmeldungen der Anrainer*innen bestätigen eine Verbesserung der Situation. Es besteht jedoch ein Widerspruch zwischen dem Wunsch nach einer Aufwertung der Gegend und der Angst vor einer verstärkten Präsenz von Drogenkonsument*innen und Dealern. „Denen machen wir es nicht auch noch schöner im Bezirk! Solche Aussagen fallen leider immer wieder“, so Zimmermann. Jäger schildert die Situation folgendermaßen: „Wenn Drogenhandel in die Wohngegend schwappt, entsteht Unsicherheit und es mehrt sich eine Störung des individuellen Schutzgefühls der Bewohner“. Aufgabe der sozialen Arbeit sei es deswegen Drogenabhängige in das Gesundheitssystem zu integrieren. Gleichzeitig brauche es aber auch Polizeipräsenz. „Eine feste Szene und Umschlagplätze müssen nicht sein“, betont sie. Aufwertung könne auch zu einer Verdrängung von Umschlagplätzen führen.
Die Figur der subjektiven Sicherheit.
Den Fokus auf das verletzte Sicherheitsgefühl von Anrainer*innen zu legen, hält Diebäcker für problematisch. Die Politik bediene das Gefühl subjektiver Sicherheit mit kriminalpräventiven Strategien und lenke so von der Notwendigkeit zur Fürsorge von Drogenabhängigen und Obdachlosen ab. „Dieser Zirkel vermittelt den Menschen das Gefühl, dass es völlig legitim ist sich aufzuregen“, so Diebäcker. „Wir müssen uns anders über die Prekären verständigen - nicht jede Angst ist legitim“, betont er. „Es hilft aber nichts den Leuten zu sagen, dass sie sich bitte nicht fürchten sollen“, entgegnet Jäger. In der Stadt müssen alle befähigt werden mit Situationen umzugehen, die nicht immer einfach sind. Es fällt das Stichwort der urbanen Kompetenz. Wehbein teilt diese Ansicht von Jäger: „Der öffentliche Raum gehört allen und es gibt auch Leute, die wenig Erfahrung mit Andersartigkeit haben und daher Unterstützung brauchen“. Sie bekräftigt aber auch die kritischen Aussagen Diebäckers zur Ordnungspolitik im öffentlichen Raum. Problematisch sei es zudem, dass die FPÖ das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger*innen instrumentalisiert. Es wird mit Verboten reagiert. „Diese Abwehr von Menschen ist keine Lösung“, so Hebein.
Erfahrungen des Miteinanders.
„Die Erfahrungen mit dem Projekt VinziRast-mittendrin zeigen, was es auslösen kann, wenn Obdachlose und Studierende miteinander leben und sich aneinander gewöhnen“, meint Osenstätter. Das Projekt bezieht die Nachbarschaft mit ein. Die Gründung erfolgte proaktiv. Etwaige Ängste konnten frühzeitig debattiert und letztlich auch minimiert werden. „Man darf von den Leuten ruhig fordern, dass sie sich öffnen“, so Osenstätter. „Die Politik wird überwiegend für diejenigen gemacht, die es gerne ruhig haben wollen“, wirft Zimmermann ein und plädiert für mehr Gelassenheit im Umgang mit Problemen. Die Leute müssten zusammengeführt werden. Das Partizipationsprojekt Wiener Charta ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie mit Hilfe von Moderation Konflikte gemeinsam gelöst werden. Konfliktparteien kommunizieren miteinander, anstatt die Polizei zu rufen. Langfristig schaffe dies mehr gegenseitige Akzeptanz im öffentlichen Raum.
Foucault für die Anrainer*innen.
In der anschließenden Publikumsdiskussion meldet sich ein Anrainer zu Wort. Er verweist auf Wortmeldungen im Podium betreffend Konzepte von Macht und Herrschaft: „Jetzt haben wir gehört, dass wir alle ein bisschen mehr Foucault lesen sollten und die AnrainerInnen dazu anhalten, dies auch zu tun. Bei dem Anblick von Urinflecken und Blutspritzern an meiner Hauswand kommt mir aber nur ein Gedanke: Wegziehen!“ Mit seinem kritischen Kommentar entfacht er eine neue Diskussion: Bleiben oder gehen, wenn das Zusammenleben im Bezirk anstrengend erscheint? „Erfolgreiche grüne Bezirkspolitik experimentiert mit Lösungsansätzen und zeigt Beharrlichkeit beim Versuch die Situation zu bessern“, betont Zimmermann. Eine Person, die seit 50 Jahren im Bezirk lebt, fasst es wie folgt zusammen: „Wegziehen ist kein nachhaltiger Lösungsansatz, sondern verlagert Probleme nur von einem Ort zum anderen.“
Den Abend lassen die Teilnehmer*innen mit weiteren Diskussionen bei einem Glas Wein und schmackhaften Häppchen ausklingen. Bei dem geselligen Beisammensein festigt sich der Eindruck, dass die Anwesenden vor allem eine Ansicht teilen: Platz sollte für alle da sein und Meidling ist es uns wert den öffentlichen Raum zu gestalten.
Die Autorin, Meike Siegner, hat Sozioökonomie an der WU Wien studiert und ist Mitglied im Redaktionsteam der Grünen Bildungswerkstatt Wien.