Wie viel Ethik brauchen Finanz und Politik?

GBW
Das Thema ist ein Dauerbrenner, aber in diesen Tagen besonders gut gewählt. Budgetlochlügen, ein präsidialer Versorgungsposten und die Pensionsprivilegien einiger Ex-Nationalbanker werden aufs Ethik-Tapet kommen. Aber der Reihe nach.
Entschuldigen lassen sich Michael Ikrath, Generalsekretär des Österreichischen Sparkassenverbands und Christoph Matznetter (SPÖ), Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich – wegen Regierungsverhandlungen – wie zu erfahren war.
Gekommen sind Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, Matthias Strolz, NEOS-Chef, Thomas Gehrig, Professor am Institut für Finanzwirtschaft der Uni Wien und wissenschaftlicher Leiter des Zertifikatskurses „Ethical Finance“ sowie Johannes Krall, SEFO (Sustainability Economic Forum e.V.)-Präsident und Bankenfinanzexperte. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Grünen Bildungswerkstatt, Polak, SEFO, Renner-Institut und NEOS statt.
Was ist Ethik?
Diese grundlegende Frage stellt Koller gleich zu Beginn. Gehrig beantwortet sie so: „Ethisches Verhalten ist verantwortliches Verhalten.“ Gesellschaftliche Verantwortung müsse eine freiheitliche und freiwillige Überzeugung sein, der Gesellschaft dienen zu wollen. „Ethik ist nicht durch Normen reglementierbar.“ Sie müsse frei von den Überzeugungen eines Menschen kommen und entspringe rein intrinsischer Motivation.
Wie ethisch handeln Politiker?
„Sehr unterschiedlich“, sagt Strolz. Die Verführungen in der Politik seien zahlreich. Ihm selbst sei in seiner jungen politischen Karriere schon mehrmals Spendengeld zum Beispiel von den Kanalinseln geboten worden. „Nein, mit uns nicht“, habe er abgelehnt. Denn das sei mit den NEOS-Ethik- und Transparenzbestimmungen nicht vereinbar. Bei Ethik gehe es im Kern im Freiheit und Verantwortung: „Wer Freiheit will, muss auch Verantwortung übernehmen.“ Wer Verantwortung will, der brauche auch Freiheit dazu.
Bezüglich NSA-Abhöraffäre meint Strolz: „Wir raffen uns nicht auf, das als unethisch zu benennen.“ Kavaliersdelikt sei das keines.
0% korrupt bei den Grünen.
„Wie ist das schaffbar“, wendet sich Koller an Plass. Dieser meint: „100 Prozent Sicherheit gibt es auch bei den Grünen nicht.“ Für tausende Mitarbeiter*innen könne niemand die Hand ins Feuer legen. Aber: „Parteiintern haben wir einen demokratischen Filter. Bei uns bestimmen sehr viele, wer in Führungspositionen kommt.“
Mehr Frauen, weniger Korruption.
Zudem wirke sich bei den Grünen die parteiinterne Quotenregelung günstig aus. Mehr weibliches Personal führe erwiesenermaßen zu weniger Korruption. „Unsere Quotenregelung ist sehr effektiv“, freut sich Plass. In männerdominierten Parteien gebe es deutlich mehr Korruption.
Vertrauensverlust in Finanzdienstleistungsbranche.
Krall informiert, die Finanzbranche kämpfe immer noch um das in der Krise verloren gegangene Vertrauen der Anleger*innen: „Heute müssen wir zielgruppenspezifisch und persönlich mit einer top Fachkenntnis um das Vertrauen der Kund*innen werben. Ein Werbefolder reicht da nicht mehr aus.“ Eine NGO zum Beispiel habe an ein Finanzprodukt völlig andere ethische Ansprüche als beispielsweise eine kirchliche Organisation. Um diese Ansprüche herauszufinden und ihnen gerecht zu werden, und um die Komplexität der modernen Finanzprodukte zu beherrschen, sei die Ausbildung in diesem Bereich mit dem Ethical Finance-Zertifikatskurs verbessert worden. Nur durch eine bessere Ausbildung könnten Aufholprozess, Bewusstseinsbildung und Paradigmenwechsel zu ethisch verantwortlichem Handeln gelingen.
Referenzrahmen ändert sich.
„In Finanz, Wirtschaft und Politik waren vor 100 Jahren noch die 10 Gebote der Referenzrahmen für ethisches Verhalten“, sagt Strolz. Dieser Referenzrahmen ändert sich mit der Zeit. Verantwortungskultur sei aber auch eine Frage der persönlichen Haltung. Welche Haltung steht zum Beispiel hinter einem Ex-Nationalbanker, der 30.000 Euro Monatspension bekommt und auf 3 Prozent Solidarabgabe nicht verzichten will, sondern sein Vertragsrecht eisern einfordert? „Gier!“, ruft jemand spontan aus dem Publikum.
Vorbildwirkung statt Code of Conduct.
Viel effektiver als ein parteiinterner Code of Conduct (Verhaltenskodex) sei die Vorbildwirkung, meint Strolz. „Erziehung funktioniert über Vorbildwirkung, nicht über ein paar Seiten Papier.“ Das gelte nicht nur für Eltern-Kind-Beziehungen, sondern auch in der Politik. Daher sollten Politiker sich mehr ihrer personellen Vorbildwirkung bewusst sein – und entsprechend handeln.
Sesselkleber auf Versorgungsposten ohne Rücktrittskultur.
Beklagt wird im Publikum eine Sesselklebermentalität und fehlende Rücktrittskultur unserer Politiker. Zu Recht, ist sich das Podium einig. „Einen Josef Cap würde es bei uns nicht geben“, sagt Strolz und spielt auf den von der SPÖ für ihren langgedienten Politiker neu geschaffenen, mit knapp 6.000 Euro dotierten Versorgungsposten als geschäftsführender Präsident des Renner-Instituts an. Damit der Nationalratsabgeordnete und nunmehr Vize-Klubchef mit dem Abgeordnetenbezug von 8.000 Euro wieder auf 14.000 Euro Gehalt kommt – so viel wie er zuletzt als Klubchef verdient hat.
Gegen Sesselkleber und mangelnde Rücktrittskultur schlägt Strolz zeitlich begrenzte Funktionsperioden für Politiker*innen vor.
Wähler*innen wollen Lügen.
Bezüglich der Budgetlochdebatte der letzten Tage und dem Schweigen über diese unerfreulichen Zahlen vor der Wahl unterstellt Plass: „Viele Wähler wollen von den Politikern gar nicht die unschöne Wahrheit hören.“ Sie ließen sich lieber belügen. Freilich sei es aber ein Problem, dass für Politiker stets ihre Wiederwahl im Vordergrund stehe. Die schonungslose Wahrheit sei dabei eher im Weg.
Wähler*innen sind selbst schuld.
Laut Strolz seien die Wähler*innen verantwortlich und somit selbst schuld, dass es in der Politik „so ausschaut, wie es eben ausschaut“. „Sie alle haben diese Parteien gewählt!“, sagt Strolz dem Publikum auf den Kopf zu. Eine junge Frau in den vorderen Reihen protestiert. Das könne Strolz so nicht sagen, weil Wähler*innen vor der Wahl nicht wüssten, welche Wahlversprechen danach gebrochen werden und wer mit wem koalieren wird.
Ist Erben ethisch?
Am Schluss möchte ein älterer Herr aus dem Publikum wissen, ob Erben von Vermögen ethisch sei. „Erben ist nicht unethisch, sondern ein Glück“, antwortet Plass. Aber in Form von Vermögens- und Erbschaftssteuer sollte für die Gemeinschaft ein gerechter Anteil geleistet werden.
Schön wär´s. Versprochen hat uns diesen gerechten Anteil zum Beispiel die stimmenstärkste Partei – vor der Wahl.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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