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Wiener Wohnprojekte – Gelebte Utopien

Kollektive Eigentumsformen anhand des Wohnprojekts Wien im Nordbahnviertel, von Elisabeth Kittl (GBW Wien)

Wohnimmobilien wurden zu Objekten der Spekulation, ja der Finanzmarkttransaktionen. Betongold ist das Stichwort. Greifbar wird es für jede Einzelne und jeden Einzelnen in den hohen Wohnungskosten. In manchen guten Lagen Wiens sind die Preise für Wohnungseigentum in den letzten 15 Jahren um mehr als das Doppelte gestiegen. Auch wenn die Mietpreise keinen so hohen Anstieg verzeichneten, bezahlen Mieter*innen nach sieben Jahren doch durchschnittlich um 25 Prozent mehr. Im Vergleich zum Haushaltseinkommen stiegen die Mieten sogar um 30 Prozent.

Umso wichtiger ist es, dass es die Bewegung der Baugruppen gibt, die sich in konkreten Wohnprojekten manifestieren. Menschen, die in gemeinsamer Anstrengung und solidarischer Motivation ein Haus bauen, um darin gut und günstig zu leben. Einerseits sind sie Ausdruck und Lehrbeispiel für gelebte Demokratie schlechthin, andererseits unterstreichen sie die Verantwortung, die mit Eigentum einhergeht (vgl. die Sozialpflichtigkeit des Eigentums wie es das deutsche Grundgesetz schon kennt).

Bisher stellte die Grüne Bildungswerkstatt Wien Que(e)rbau in der Seestadt als Beispiel für soziale Diversität und Empowerment und das Gleis 21 im Sonnwendviertel als Beispiel für ökologisches Bauen vor. Dieses Mal diente das Wohnprojekt.Wien im Nordbahnviertel der Information über kollektive Eigentumsformen und wie diese umgesetzt und gelebt werden.

Soziokratische Entscheidungsfindung

Helmut führt durch das Haus am Rudolf-Bednar-Park im zweiten Bezirk und erklärt das Zusammenleben und gemeinsame Entscheiden. Lösungen findet die Gemeinschaft mit Hilfe der Soziokratischen Methode1. Die Vorarbeit wird in Arbeitsgruppen ausgelagert, in denen eine kleine Gruppe die Entscheidungen vorbereitet. Alle kommen zu Wort, entschieden wird schließlich im „Konsent“. Das bedeutet, es darf keinen schwerwiegenden Einwand geben, der das vorher definierte Ziel ad absurdum führen würde. Schwerwiegende Einwände kommen selten vor, aber wenn, haben sie die Lösung eindeutig verbessert.

Kollektiver Besitz tut allen gut.

Das Haus gehört dem Verein Wohnprojekt Wien. Verein für nachhaltiges Leben. Die Bewohner*innen mieten nur, sind aber gleichzeitig die Vereinsmitglieder. Die Idee, kein spekulatives Wohnungseigentum zu schaffen, findet sich auch in den Vereinsstatuten. Wird dennoch entschieden – was derzeit nicht vorstellbar ist -, das Haus zu verkaufen, darf es nur von Gemeinnützigen erworben werden. Das Ziel des Vereins ist, die Wohnimmobilie dauerhaft den spekulativen Kräften des Marktes zu entziehen, um leistbares Wohnen zu garantieren.

So ein Wohnprojekt ist immer auch ein Experimentierfeld, gespeist aus der Kraft der Gemeinschaft. Das Solidarische, das Überlegte strahlt auch in die Nachbarschaft aus und tut dem Grätzelleben gut. Ein Viertel der Nutzfläche ist Gemeinschaftsräumen vorbehalten, zum gemeinsam kochen, lesen, saunieren, garteln oder Rad reparieren. Ökologie ist hochgeschrieben. Die Pflanzen wachsen wilder als anderswo und die meisten Bäume und Sträucher tragen essbare Früchte. Im Haus gibt es eine Food Coop und eine Greisslerei, die auch von der Nachbarschaft genutzt wird. In der Früh, wenn die Kinder in den Kindergarten oder zur Schule gebracht werden, wird es knapp mit den fünf gemeinschaftlichen Lastenrädern. Ein kollektiv nutzbares E-Auto soll angeschafft werden.

Raus aus der Spekulation, rein ins kollektive Eigentum

Aus verschiedenen Gründen wird von Baugruppen oft ein Verein gegründet, welcher dann der Eigentümer der Immobilie ist. Der Idee der Baugruppenbewegung liegt zugrunde, die Wohnhäuser aus der üblichen Spekulationskette herauszunehmen, um dauerhaft qualitätsvolles und leistbares Wohnen zu garantieren. Die Konstruktion eines Vereins birgt die Gefahr, dass diese Idee aufgegeben wird und die Generalversammlung entscheidet, das Haus zu verkaufen.

Die Konstruktion einer gemeinnützigen Bundesstiftung unterstützt die Idee einer dauerhaften leistbaren Wohnform am besten. Der gewählte Stiftungszweck, z. B. eines „achtsamen Umgangs mit Grund und Boden“, kann nicht geändert werden und verhindert damit die Kommodifizierung des Wohnhauses.2 Solche Stiftungen werden auch vom Staat gefördert. Vor kurzem wurde die erste solche Stiftung gegründet, die gemeinnützige Munus Stiftung – Boden für gutes Leben. Vorbilder für Munus waren die Edith Maryon Stiftung und die Trias Stiftung. Erfreulicherweise gibt es immer wieder philanthrope Grundstückbesitzer*innen, die ihren Grund und Boden einem gesellschaftlich wertvollen Zweck widmen wollen. Die rechtliche Konstruktion der Stiftung garantiert ihn dauerhaft. Interessant hier ist auch diese Kombination: die Stiftung erwirbt das Grundstück und vergibt ein Baurecht an den Verein.

Eine andere Form, Wohnen dauerhaft leistbar und gemeinschaftlich zu gestalten, ist der Zusammenschluss eines Vereins HabiTAT mit zu einer Hausbesitz-GmbH, so umgesetzt beim Wohnprojekt Bikes and Rails. HabiTAT ist eine, dem deutschen Miethäusersyndikat nachempfundene österreichische Konstruktion mit dem Ziel, selbstverwaltete und solidarische Hausprojekte zu realisieren. Alle Baugruppenmitglieder sind Mitglied im Verein und bei HabiTAT. Im Falle eines angedachten Verkaufs eines der Häuser im Mietshausyndikat hat HabiTAT eine Sperrminorität und kann damit Spekulation verhindern.

Wie finanzieren?

Die Form der Finanzierung ist nicht außergewöhnlich: Eigenmittel, Direktkredite, Bankdarlehen und Förderungen. Die Art der Aufbringung schon, denn es dominiert der Solidaritätsgedanke: Eigenmittel werden kollektiv aufgebracht. Direktkredite werden von Hausfremden gewährt, meist zinsenlos oder mit einem sehr geringen Zinssatz. Die Tilgung ist als eine langfristige angestrebt. Kredite können aber auch kurzfristig zurückgezahlt werden, dann werden neue Kreditgeber:innen gesucht. Als Wohnprojekt.Wien vor mehr als zehn Jahren bei Banken um einen Kredit angesucht hat, stellte sich das in Österreich als schwierig heraus. Die GLS Bank – die Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken half. Sie war damals die einzige Bank, die sich auskannte und unterstützte.

Was braucht es von der Politik?

Grund und Boden, welche der Allgemeinheit gehören, sind auch für das Wohl dieser zu verwenden. Daher sollten Liegenschaften, die der öffentlichen Hand gehören, nicht verkauft werden, sondern nur in Baurecht unter sozialen Bedingungen vergeben werden. Damit könnten auch Gemeinnützige Bauvereine/ Genossenschaften und eben Baugruppen leistbare Grundstücke erwerben. Die öffentliche Hand würde damit aktiv leistbares Wohnen fördern.

Baugruppen sind meist keine Großprojekte, solche wären gemeinschaftlich schwer durchführbar. 4.000 bis 10.000 m² Bruttogeschoßfläche sind ideale Größen, auch um effizient und kostengünstig zu bauen. Daher sollten eigene Flächen für Baugruppen bei der Vergabe reserviert werden und die Parzellierung der Grundstücke auf die Bedürfnisse von Baugruppen Bedacht nehmen.

Viele Baugruppen wählen die Konstruktion „Wohnheim“, um der Stellplatzverpflichtung zu entgehen, denn Garagen verteuern die Baukosten immens. Wohnheime können aber keine Förderung erhalten. Daher wäre es wünschenswert, wenn hier entweder die Stellplatzverpflichtung fallen würde oder auch Menschen, die in „Wohnheim“-Baugruppen leben, Wohnbeihilfe gewährt werden würde.

Da diese gemeinschaftlich errichteten und betriebenen Häuser eben auch gesellschaftlich wertvoll und vorbildlich sind, wäre eine eigene, darauf angepasste Förderschiene schon lange an der Zeit.
In die gleiche Kerbe schlägt die Forderung nach einer zentralen, staatlichen Anlaufstelle für alle Belange rund um Wohnprojekte. Derzeit übernimmt diese Aufgabe die private Initiative für Gemeinsam Bauen & Wohnen. Dort findet sich auch eine Liste der 32 bisher realisierten Wohnprojekte.

Die Grüne Bildungswerkstatt Wien freut sich über den Zuwachs und Zuspruch an solidarischen Wohnprojekten, zu dem sie durch Informationsarbeit gerne einen Beitrag leistet. Denn durch die Förderung von Baugruppen wird leistbares und selbstbestimmtes Wohnen ermöglicht sowie alternativen und solidarischen Lebensformen Raum gegeben.

 

1 Grundlegende Informationen zum Konzept der Soziokratie:

https://soziokratiezentrum.org/ueber-soziokratie/

2 Vgl. "Bodenpolitik - Wiener Werkstattschrift Nr. 16 | 2019 Sammlung bodenpolitischer Argumente und Instrumente mit Schwerpunkt Wien" von Gabu Heindl und Elisabeth Kittl:

BODENPOLITIK – Für leistbares städtisches Wohnen

Weitere Beiträge

Hier geht’s zu zwei weiteren aufschlussreichen Beiträgen zum Thema gemeinschaftliche Wohnprojekte der Autor*innen Beatrice Stude und Heinz Feldmann. Bedeutsame Einsichten des gemeinsamen Diskussionsabends werden hier resümiert und mit weiterführenden Ideen verbunden.

•    https://munus-stiftung.org/2020/kollektive-eigentumsformen/
•    https://www.stape.eu/2020/kollektive-eigentumsformen/