„Wir machen Unterstützung nicht von Religion abhängig.“

Markus Schauta
Sie arbeiten seit drei Jahren für UNHCR in Jordanien. Wie hat sich die Lage entwickelt?
Als ich angefangen habe, gab es 700 registrierte syrische Flüchtlinge, jetzt sind es 620.000. Die Regierung spricht von zwei Millionen, das inkludiert aber viele Syrer, die bereits vor dem Konflikt hier waren und nicht mehr zurück können. Hinzu kommen etwa 30.000 Iraker, Somali und Sudanesen und eine sehr große Zahl an Palästinensern, die seit den israelisch-arabischen Kriegen hier sind.
Es wird zusehends schwerer, sowohl für die Flüchtlinge, als auch für die Jordanier. Das Land ist eines der trockensten der Welt, durch das starke Anwachsen der Bevölkerung ist das Wassersystem überbeansprucht. Die Schulen sind überfüllt, in manchen wird in drei Schichten unterrichtet. Und auch der Arbeitsmarkt ist überlastet.
Jordanien ist die letzte Bastion von Stabilität in der Region. Aber je länger die Situation andauert, desto größer sind die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die jordanische Regierung wird nervös.
Jordanien hat die Grenzübergänge bei Ramtha und Mafraq im Westen des Landes für Flüchtlinge gesperrt. Auf welchen Wegen kommen die Menschen ins Land?
Jordanien will keine offenen Grenzen, wie es sie zum Beispiel in der Türkei gibt, wo ein ständiges Kommen und Gehen ist und nicht überprüft werden kann, wer im Land ist. Die einzige Möglichkeit für Flüchtlinge ins Land zu kommen, ist durch die Wüste im Osten, nahe der irakischen Grenze. Das Gebiet dort ist militärisches Sperrgebiet. Kommen sie über die Grenze, werden sie zunächst von der Armee aufgegriffen, registriert und in ein Camp gebracht.
Was berichten die Menschen von ihrer Flucht durch Syrien?
Wir interviewen jeden Flüchtling, der ins Land kommt. Dabei sehen wir, dass sie viele Ortswechsel hinter sich haben, bevor sie nach Jordanien kommen. Ihre Häuser sind meist zerstört, sie kommen mit nichts über die Grenze. Hinzu kommt, dass sie den Fahrern, die sie zur Grenze brachten, oft große Summen bezahlen mussten. Das kann bis zu 1.000 US$ pro Familie kosten.
Viele Familien machen es so, dass Kinder und Frauen unter Tags gehen, während die Männer sich verstecken und nachts nachkommen. Eine große Familie aus dem Süden Syriens hat erzählt, dass sie sowohl den Soldaten der Opposition, als auch Assads Soldaten Schutzgeld bezahlen mussten. Bei Assads Soldaten lief es so, dass alle Männer zwischen 17 und 24 Jahren aus dem LKW aussteigen mussten. Wenn die Familie eine bestimmt Summe pro Kopf nicht bezahlen konnte, wurde der Mann erschossen. In ihrem Fall haben alle das Geld zusammengelegt, um ihren Männern das Leben zu retten. Am Ende kamen sie ohne Geld und Wertgegenstände in Jordanien an.

Markus Schauta
Wie werden die Flüchtlinge in Jordanien versorgt?
Es gibt fünf Flüchtlingscamps in Jordanien. Das Emirati Jordanian Camp, wo 5.000 Menschen leben. King Abdullah Park und Cyber City, wo ein paar hundert Syrer und Palästinenser aus Syrien untergebracht sind. Das Zaatari Camp ist mit 85.000 Menschen das größte Camp im Nahen Osten. Im Azraq Camp, das im April eröffnet wurde, haben wir zurzeit etwa 14.000 Flüchtlinge. Die jordanische Regierung, UNHCR und viele andere NGOs sind sehr bemüht, aber Jordanien unterscheidet sich sehr von Syrien. Syrien ist ein grünes Land, wo es genug Wasser gibt. Selbst wenn die Menschen dort arm waren, hatten sie oft ihr eigenes Land und konnten sich selbst versorgen. Hier sind die Leute unzufrieden, sie sagen: Ihr setzt uns mitten in die Wüste! Der Punkt ist aber: Jordanien ist eine Wüste.
85 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben nicht in Camps. Erhalten auch sie humanitäre Hilfe?
Nachdem die Flüchtlinge die Grenze überschritten haben, bringt sie die Armee zunächst in ein Camp. Dort können sie einen Antrag auf Verlassen des Camps stellen. Das ist zum Beispiel möglich, wenn sie Verwandte in Jordanien haben, oder wenn ein Jordanier im Zuge des „Sponsorship Programs“ die Verantwortung für einen Syrer übernimmt. Aber die Mehrheit von ihnen verlässt das Camp inoffiziell. Und die kommen dann zu einer der Registrierungsstellen wie hier in Amman.
Denn die Hilfeleistungen können sie nur in Anspruch nehmen, wenn sie registriert sind. Die Registrierung passiert innerhalb eines Tages. Dadurch erhalten sie jeden Monat Essenscoupons, können ihre Kinder auf öffentliche Schulen schicken und haben Anspruch auf primäre Gesundheitsversorgung.
Pro Tag lassen sich etwa 2.000 Flüchtlinge registrieren, die meisten von ihnen sind Syrer. Aber nicht alle, die hierher kommen, sind zum ersten Mal da. Viele kommen, um ihren Asylstatus zu verlängern. Das geschieht einmal im Jahr. Durch die jährlich vorgeschriebene Neuregistrierung sehen wir, ob ein Baby zur Welt kam, jemand verstorben ist, oder ob es spezielle Bedürfnisse gibt.
Sie sagten, die primäre Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge sei gesichert. Wie sieht es darüber hinaus aus?
Wenn die Flüchtlinge in ein öffentliches Hospital gehen, werden die Kosten übernommen. Davon ausgenommen sind Operationen. Das ist eine sehr ernste Sache, wenn man bedenkt, wie viele Verletzte nach Jordanien kommen. Operationen sind wirklich teuer. Wir versuchen also Menschen in Aufnahme-Programme zu bringen, damit sie nach Schweden oder Deutschland gehen können, wo ihnen die Behandlungskosten bezahlt werden.
Da es uns an Geld fehlt, können wir auch die Rechnungen von Krebsbehandlungen nicht bezahlen. Wir machen es nur in wenigen Fällen, wenn die Aussicht auf Heilung gut ist. Da müssen furchtbare Entscheidungen über Leben und Tod getroffen werden.
Wie sieht das Prozedere aus, wenn Österreich sich bereit erklärt, Syrer aufnehmen?
Einige europäische Länder haben angeboten, christliche Syrer aufzunehmen. Wir sagen dazu nein, wir können das nicht tun. Wir machen unsere Unterstützung nicht von der Religion abhängig, sondern fokussieren unsere Hilfe auf die am meisten Verwundbaren.
Wenn Österreich also zusagt, 1.500 Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, wählt unser Team Familien aus, die in Jordanien nicht sicher wären. Also zum Beispiel Minderheiten, oder Frauen, die vor ihrer Familie geflohen sind. Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden oder deren Leben bedroht wird. Oder Menschen, die hier nicht entsprechend medizinisch betreut werden können.
Um 1.500 Leute auszuwählen, müssen wir etwa 300 Familien finden. Dafür müssen im Schnitt 900 Familien befragt werden, das ist eine Menge Arbeit. Wir müssen außerdem sicherstellen, dass es sich um Zivilisten handelt. Denn wir werden keine Leute nach Österreich schicken, von denen wir wissen, dass sie in Kämpfe verwickelt waren. Um sicher zu gehen, wird die Familiengeschichte aufgenommen, Infos über den Clan gesammelt, gefragt, in welcher Straße die Leute gelebt haben, wann ihr Haus zerstört wurde und so weiter. Das Befragungsteam weiß sehr viel über Syrien. Was die Flüchtlinge uns sagen, wird verglichen und auf Glaubwürdigkeit geprüft. Bis wir mit den Interviews fertig sind, diese an Österreich weitergeleitet wurden, wo sie noch einmal überprüft werden, das kann ein paar Monate brauchen.
Werden die Flüchtlinge auf das Gastland vorbereitet?
Bevor sie ausreisen, sprechen sie mit Sozialarbeitern aus den Gastländern, die ihnen erklären, wie das Leben dort ist. Sie bringen ihnen Bücher mit, zeigen ihnen Fotos, erklären Kultur und Gesellschaft. Aber es bleibt eine Herausforderung in ein Land zu gehen, das du nicht kennst und dessen Sprache du nicht sprichst. Die Flüchtlinge sind abhängig von den Menschen dort, ihrer Freundlichkeit und ihrem Verständnis für die Flüchtlinge.
Ist die internationale Gemeinschaft bereit, mehr Geld für die Syrienkrise aufzustellen?
Wir hoffen es. Aber es gibt zurzeit eine Rekordzahl an Krisen weltweit. Es ist schwierig in Europa zu sagen: Schau, du hast schon auch deine Probleme, aber dennoch müssen wir mehr Geld geben, um die Syrienkrise in den Griff zu kriegen.
Die Wahrheit ist: Was wir hier sehen, ist keine syrische Krise. Es betrifft die gesamte Region und kann sich zu einer globalen Krise auswachsen, wenn Hilfsorganisationen und Aufnahmeländer nicht ausreichend unterstützt werden. Humanitäre Hilfe jetzt zu vernachlässigen, wird zu noch größeren Problemen führen. Auch für Europa.
Link.
Willkommen in der Wüste - Reportage über das Azraq Camp
Der Autor, Markus Schauta, Journalist und freier Reporter mit Schwerpunkt Nahost, ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.