Wohnen in der Migration.

GBW
Oben/Unten.
Dem zahlreich erschienenen Publikum wurden als Einstieg Filmausschnitte aus dem autobiografischen Filmprojekt von Djordje Ceni vorgeführt. Diese zeigen Linz, die Stadt in der Ceni mit seinen aus Kroatien stammenden Eltern ab den siebziger Jahren aufwuchs. Laute Straßen, enge Wohnungen und Gespräche mit den Eltern, die beide als Gastarbeiter*innen nach Österreich kamen, prägen das Bild. Der Film nimmt Orte seiner Kindheit unter die Lupe und zeigt wie er, teilweise schmerzhafte, Erinnerungen mit den Eltern diskutiert. Das Spannungsfeld zwischen dem bildhaften „oben“ und „unten“ ziehe sich wie ein roter Faden durch sein Leben. „Oben“, das sei die Welt der Klassenkamerad*innen gewesen, die in Einfamilienhäusern lebten, während er sich bis zu seinem achten Lebensjahr das Bett mit seinen Eltern teilen musste. „Unten“ hingegen war die vom Krieg zerstörte Heimat, die trotz der Entbehrungen und der harten Arbeit in Österreich keine Optionen der Rückkehr bot. Oben und Unten können aber laut Ceni auch Metaphern für soziale Klassen sein, die nichts mit einem speziellen Ort zu tun haben.
Welchen Raum bewohne ich?
Amila Širbegovi kritisiert diese Teilung in zwei verschiedene Welten, da diese zwar einerseits Identität schaffe, andererseits aber auch ausgrenze. Sie verwende lieber die Metapher eines einzigen gelebten Raumes, der mit verschiedenen anderen Räumen verknüpft sei. So etwas wie migrantisches Wohnen gebe es nicht: „Ich gehe davon aus, dass MigrantInnen prinzipiell nicht anders wohnen als Menschen, die nicht MigrantInnen sind. Was es sehr wohl gibt, ist ein migrationsbedingtes Wohnen“, so Širbegovi. Damit spricht sie die Tatsache an, dass die Mehrzahl der Arbeitsmigrant*innen und Flüchtlinge aus ökonomischen Gründen in schlecht sanierten Wohnungen, meist in „weniger schönen“ Bezirken leben müssen. Die Migration begrenze damit die Möglichkeiten und Spielräume innerhalb der Gesellschaft. Auch die Art und Weise, wie Migrant*innen in einer Gesellschaft begegnet werde, sei ein wichtiger Faktor, der die Wohnsituation beeinflusse. Insofern stelle sich die Frage, welchen Raum Menschen bewohnen und welche Welten sie mit sich tragen.
Aus den Augen, aus dem Sinn!?
Diese Einschätzung bestätigt und illustriert Djordje Ceni mit Erzählungen aus seiner eigenen Erfahrung mit migrationsgeprägtem Wohnen. Im Rahmen seiner Recherchen für den Film stieß er auf interessante Details. So wohnte sein Vater eine Zeit lang in der ehemaligen „Baracke 47“, einer Barackensiedlung für Zwangsarbeiter*innen der Hermann-Göring-Werke Linz (heutige Voestalpine) während der NS-Zeit. Diese wurde nämlich in den 1970er Jahren den Gastarbeiter*innen zur Verfügung gestellt.
Auch in Wien gibt es einzelne Siedlungen für Migrant*innen. Širbegovi greift den historisch belasteten Begriff „Lager“ auf, den Ceni in seinen Ausführungen verwendet hatte. Sie meint, dass es diese auch heute noch, im Sinne von abgeschotteten Wohnsiedlungen für Migrant*innen gebe. Lisa Mayr wirft als Beispiel die Siedlung Macondo am Wiener Stadtrand ein. Širbegovi bestätigt den Eindruck, dass die Siedlung eine „Lagerposition“ habe, da sie weit weg von den Augen der so genannten Mehrheitsgesellschaft gebaut wurde. Gleichzeitig würden aber auch andere Projekte, wie die „interethnischen Nachbarschaften“ innerhalb der Stadt gefördert. Doch diese Projekte seien meist fern von der Partizipation der Bewohner*innen, da sie ohne deren Einbeziehung geplant und erbaut werden.
Wohnst du noch oder lebst du schon?
Wo die Menschen wohnen, bestimme der soziale Status, da waren sich die beiden Diskutierenden einig. Die meisten hätten nicht die Möglichkeit, sich zwischen reinem Zweck und Luxus des Wohnens zu entscheiden. Gleichzeitig träfen „Gentrifizierung“ und andere soziale Verdrängungsprozesse nicht nur Migrant*innen. Das Problem sei demnach nicht die Migration, sondern die ökonomischen Möglichkeiten und Hindernisse der Menschen, sich ihren Wohnraum selbst auszusuchen und zu gestalten. Andererseits müsse bei Gentrifizierungsprozessen genauer hingeschaut werden, so Širbegovi, da sich die Lebenssituationen der vermeintlich Vertriebenen in vielen Situationen verbesserten. Auch müsse unterschieden werden, ob die Menschen bewusst oder unfreiwillig wegziehen.
Hallo, ich bin da!
Nach der Podiumsdiskussion nutzen einige Interessierte den anschließenden Ausklang der Veranstaltung für Nachfragen und weitere Diskussionen. Auch für Selbstreflexion ist an diesem Abend Zeit, da beide Diskutierende betonen, dass sie nicht die Mehrheit der Migrant*innen vertraten. So erinnert Amila Širbegovi daran, dass die Zeiten der Arbeitsmigration der 70er Jahre und deren Wohnsituationen zwar vorbei seien. Prekäre Wohn- und Lebenssituationen von Flüchtlingen und Migrant*innen in Österreich gehören aber nicht der Vergangenheit an. Es müsse gefragt werden, wo diese Arbeiter*innenheime, diese „Lager“, heute seien. Sie seien nicht einfach verschwunden. Die Medien würden aber nur von Migrant*innen sprechen, die schon lange in Österreich leben und nach und nach das Recht auf eigenen Raum beanspruchen. Es bleibe die Frage offen, wo jene leben, die (noch) nicht die Möglichkeit hatten zu sagen: Hallo, ich bin da!
Die Autorin, Nadine Mittempergher, arbeitet im Paulo Freire Zentrum, studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement auf der BOKU und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.