Wütende weiße Männer - Männlichkeit als rechtsextremes Mobilisierungsmittel.
Die Notwendigkeit von Männlichkeitsforschung.
„Sponsoren für die Konferenz zu finden, war schwierig“, so Birgit Sauer, Mitorganisatorin der internationalen Tagung. Den Grund sieht sie in Misstrauen und Abwehrhaltungen, sich kritisch mit Männlichkeiten auseinanderzusetzen. Damit begründet sie gleich die Notwendigkeit, zum zweiten Mal eine Tagung zu diesem Thema zu veranstalten. Diesmal vom 15. bis 17. November 2013 am Politikinstitut der Universität Wien.
Ein geeigneter Ort, da dort vor 20 Jahren Eva Kreisky mit ihrem Konzept des „Männerbundes“ im deutschsprachigen Raum die Basis für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit politischen Männlichkeiten gelegt hat.
Geschlecht rahmt das Weltverständnis der Rechtsextremen.Michael Kimmel, US-amerikanischer Soziologe und Dozent an der Stony Brook University in New York, ist einer der bekanntesten Männlichkeitsforscher. Sein aktuelles Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Bedeutung von Männlichkeit für die Mobilisierung der extremen Rechten in den USA und Europa.
Die Kategorien „class“, „race“ und „gender“ müssen nach Kimmel in ihrem Zusammenspiel untersucht werden. Die Geschlechterkategorie spiele aber bei der Untersuchung von Rechtsextremen eine hervorgehobene Rolle. „Die extreme Rechte hat einen spezifischen Klassenhintergrund, aber die Kategorie Geschlecht bildet für sie den Rahmen, um zu verstehen, was ihnen passiert, um ein fremdes und feindliches Gegenüber zu entwerfen und sich zu mobilisieren.“
Die Relevanz von Männlichkeit für das Weltverständnis und die Praxis der Rechtsextremen entschlüsselt er in drei Schritten.
Soziale und wirtschaftliche Niederlagen werden als Entmännlichung verstanden.
Die rechtsextremen Männer, die Kimmel in den USA interviewt hat, haben eines gemeinsam: Sie gehören alle einer weißen unteren Mittelklasse an, die den sozialen Abstieg vor Augen hat. Als unabhängige Bauern oder Ladenbesitzer haben sie ihren Job verloren. Dies gefährdet ihre soziale Position und ihre Selbstwahrnehmung als starke, unabhängige Familienoberhäupter. „Interpretiert wird diese Entwicklung von den Rechten als ein Raub ihrer Männlichkeit“, so Kimmel.
Sie sehen sich, erläutert er, als Teil eines vergessenen Amerikas, als Gruppe, der niemand mehr Bedeutung zuschreibt und niemand mehr zuhört. Unter der Regierung Bush hatten sie das Gefühl teilweise einen „Freund“ im Weißen Haus zu haben. „Seit der Wahl Obamas haben sie den Eindruck, dass ihre Interessen weniger im politischen System repräsentiert werden“, erklärt Kimmel. Die Mobilisierung von rechtsextremen Gruppen ist ab diesem Zeitpunkt dramatisch angestiegen.
Das Gefühl dieser sozialen Gruppe, nicht gehört zu werden, verschaffte Kimmel Zugang zu den Rechtsextremen. Er stellte sich bei Waffenmessen Verantwortlichen der Informationstische vor und sagte: „Ich will verstehen, wie ihr die Welt seht!“ Dies funktionierte bei fast der Hälfte der Gefragten, obwohl Kimmel als New Yorker, Liberaler, Jude und Soziologe, alle Attribute eines Alptraums der Rechten verkörpert.
Die Männlichkeit der Anderen als Gefahr für den „weißen Mann“.
Auf der einen Seite fühlen sich die wütenden weißen Männer ihres sozialen Status und damit ihrer Männlichkeit beraubt. Auf der anderen Seite scheint es ihnen, dass andere Gruppen ihre soziale Position einnehmen, an Einfluss gewinnen und diesen damit Männlichkeit zugeschrieben wird. Eine Männlichkeit, die nach Meinung der Rechtsextremen aber nur ihnen selber gebührt.
Die Emanzipation von marginalisierten Gruppen wird, nach Kimmel, von den Rechtsextremen mit einem Angriff auf deren Männlichkeit beantwortet. „Während der weiße heterosexuelle Mann die ideale Form der Männlichkeit habe, ist die Männlichkeit der Anderen zu wenig oder zu viel.“
Für Kimmel bildet dies den Hintergrund von Propaganda und Angriffen gegen Homosexuelle und Schwarze und die Bekämpfung der Emanzipation von Frauen. „Die Rechtsextremen sehen sich einer Feminisierung der USA ausgesetzt, die ihre Männlichkeit untergräbt“, erklärt Kimmel das rechtsextreme Weltbild.
Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich zwar im Bereich „gender“, Sexualität und „race“, in den letzten 50 Jahren eine stärkere gesellschaftliche Gleichberechtigung entwickelt hat, dass aber Klassenunterschiede enorm gestiegen seien. „Die Geschlechterdimension ist bei den Rechten das Vehikel, um über Klassenfragen zu reden“, so Kimmel.
Rechtsextreme wollen ihre Männlichkeit zurück.Die rechtsextreme Propaganda greife auf dieses Gefühl sozialer Unsicherheit und die Selbstwahrnehmung dieser Gruppe der „wütenden weißen Männer“ als „das vergessene Amerika“ zurück und benutze den Code der „geraubten Männlichkeit“, um für ihre Zwecke zu mobilisieren. „Die Botschaft ist: Wer bei den Rechten mitmacht, wird wieder stark und kann seine Männlichkeit zurückgewinnen“, bringt Kimmel die Logik auf den Punkt, mit der Männlichkeit als Mobilisierungsmittel benutzt wird.
Unterschiede zwischen den USA und Nordeuropa.
Während die von Kimmel Interviewten in den USA einen Altersdurchschnitt von 34 hatten, lag dieser in Schweden bei 17. Anstatt ideologischer Motive ständen bei ihnen Partys, Musik und Gruppenzugehörigkeit im Vordergrund. „Das Schema und das Ziel, Männlichkeit und Stärke durch rechtsextreme Aktivitäten zurückzugewinnen, ist aber gleichermaßen in den USA wie in Nordeuropa zu finden“, stellt Kimmel fest.
Der Eröffnungsvortrag macht damit deutlich: Wichtige Phänomene der Gesellschaft können ohne die Geschlechterdimension nicht verstanden werden. Ein Grund mehr für die Notwendigkeit der Tagung.
Raphael Kiczka lebt und arbeitet als prekärer Wissensarbeiter in Wien.