´Yasuní – Two Seconds of Life´
Zunächst überwältigt von der Intensität und Vielfalt des ´prallen Lebens´ im Amazonas bekommt man bald schockierende Hinweise auf dessen mögliche Endlichkeit: Alle zwei Sekunden geht ein Hektar Regenwald durch Rodungen verloren, beklagt ein Wissenschafter. Bilder von Giftschlammbecken lassen das Ausmaß der Verwüstung durch Abfälle der Erdölförderung erahnen. Umweltaktivist*innen und betroffene Urwaldbewohner*innen berichten über die fortlaufende Zerstörung von regionalen Lebensgrundlagen, die sich in Form von Austrocknung, Wassermangel, Artensterben und einer rasanten Zunahme von Krankheiten zeigt. Vertreter*innen einer indigenen Kultur erzählen von den erbitterten Kämpfen mit den ´Eindringlingen´ und ihrer festen Entschlossenheit, ihr Terrain weiter zu verteidigen.

GBW
Die Yasuní – Initiative.
Yasuní, die Initiative zum Schutz des gleichnamigen Nationalparks, steht heute für einen Deal, den der ecuadorianische Präsident Raphael Correa der internationalen Staatengemeinschaft anbot: Wenn Ecuador einen Teil seiner Sozialprojekte künftig über einen Fonds mit Einzahlungen in der Höhe des halben, aus den Erdöleinnahmen erwarteten Profits, finanzieren könne, dann verzichte man auf die Erschließung des Erdöls in Yasuní.
Omann berichtete, dass die Staatengemeinschaft das seit mehreren Jahren bestehende Angebot Correas nicht annahm. Und dies obwohl eine UNO-Organisation die Treuhandschaft über die Mittelverwendung zugunsten von Wiederaufforstung und Sozialprojekten im Amazonasgebiet übernommen hätte. Allerdings konnten sich zuletzt auch jene Gemeinden, welche die Initiative in Kooperation mit ecuadorianischen NGOs entwickelten, mit der entsprechenden Regierungsinitiative nicht mehr identifizieren: Die vormalige Vision zielte zum einen auf den Schutz biologischer Vielfalt und indigener, freiwillig in Isolation lebender Gruppen ab. Zum anderen sollte durch den Verzicht auf Erdölförderung das Klima geschützt und damit – beispielhaft für andere Regionen – ein erster Schritt in Richtung Post-Erdöl-Übergang unternommen werden. Dieses Anliegen sei auf bloße Geldbeschaffung reduziert worden, so die Kritik. Ernüchternd habe man feststellen müssen, dass der intendierte Ausstieg aus dem extraktivistischen Wirtschaftsmodell kein politisches Ziel sei. Viele würden den Deal daher heute als populistische Politik und Erpressungsversuch im Dienste der Machterhaltung bewerten. ´Extraktivismus´ bezeichnet eine Entwicklungsstrategie, die auf exportorientiertem Wirtschaften durch höchstmögliche Ausbeutung von Rohstoffen und Agrarland gründet.
Wer trägt die Verantwortung für das Scheitern?
Einige Teilnehmende hinterfragten zunächst den Populismus-Vorwurf: Können die mit den Einnahmen der Erdölförderung finanzierten Sozialprojekte in Lateinamerika als blanker Populismus abgetan werden, wenn man sich die soziale Situation dieser Länder vor Augen hält? Schließlich erhob sich die Frage nach der Verantwortung: Ist es nicht anmaßend, der ecuadorianischen Regierung die Schuld für das Scheitern der Initiative zuzuweisen, wo sie mit ihrem Angebot doch einen bemerkenswerten Vorstoß zur Lösung eines globalen ökologischen Problems unternahm?
Im Zuge der Diskussion setzte sich die Überzeugung durch, dass die Verantwortung bei den reichen Industrienationen liege, zumal die Entscheidung zugunsten eines ´Systemausstiegs´ unter den gegebenen Bedingungen eine Überforderung für die ecuadorianische Regierung darstelle. Diese Position stützte sich unter anderem auf folgende Argumente: Neoextraktivismus in Lateinamerika ist ein logisches Produkt der Weltmarkt-Integration. Angesichts des vorhandenen Potenzials für hohe Einnahmen aus der Erdölförderung und einer wachsenden konsumfreudigen Mittelschicht erscheint die Kooperation mit Erdölkonzernen alternativlos. Zwar ermöglichten die neuen Linksregierungen eine verfassungsmäßige Verankerung zum Schutz von Natur und indigenen Gruppen, die freiwillig in Isolation leben. Der offensichtliche Widerspruch zwischen Formal- und Realverfassung offenbart aber den Systemzwang einer fortgesetzten ökonomischen Kolonialisierung. Diese zeigt sich beispielhaft in Gestalt von Erdölkonzernen, die sich ihre Macht vor allem auch durch die Abhängigkeit der lokalen Bevölkerung sichern: Durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und Infrastruktur. Aber auch durch die Zerstörung traditioneller Lebensweisen. Unter anderem durch Sicherheitsdienste, die jeglichen Widerstand gegen diese Form der Entwicklung rigoros bekämpfen.
Die Doppelmoral der Industrienationen.
Vor diesem Hintergrund beunruhigt, dass die an die internationale Staatengemeinschaft gerichtete Botschaft „Ökologische Probleme sind globale Probleme“ ungehört blieb. Von den EU-Mitgliedstaaten sagten nur Italien, Spanien, Belgien und Luxemburg ihre Unterstützung für die Initiative zu. Die westlichen Industrienationen dürften sich nach wie vor primär für den Ressourcenreichtum Lateinamerikas im Rahmen von Freihandelsabkommen interessieren. Im Kontext des lateinamerikanischen Neoextraktivismus erweist sich die proklamierte Energiewende führender westlicher Industrienationen daher als doppelbödig: Indem sie einen innovativen Vorschlag der globalen Schadenvermeidung zurückwiesen, offenbarten sie ihre ignorante Haltung gegenüber einem ressourcenintensiven Wirtschaftssystem und seinen sozialen und ökologischen Folgekosten. Kosten, die sie selbst mitzuverantworten und in Form des beschleunigten Klimawandels auch mitzutragen haben.
Links.
Hintergründe und Details zum Thema:
Der neue Extraktivismus
Money and Economics
Save Yasuni
United Nations Development Group
Die Autorin Gerhild Schutti studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Philosophie.